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Frau mit einer Keine Ahnung / Verwirrt-Geste

CC0 von Robbin Higgins auf Pixabay

„Parallelgesellschaft“: Warum spricht man immer mit Gesten zu mir?

Wenn ich mich vor die Direktorin des Kindergartens meiner Tochter stelle, erklärt sie mir, erfüllt von guten Gefühlen, den Kindergartenalltag mit Händen und Füßen, als ob ich kein Deutsch sprechen könnte.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Vielleicht seid ihr schon mal in China oder in Ungarn in so eine Situation geraten. Ihr steht vor einem Marktstand und ihr versucht durch Zeichensprache eure Bestellung abzugeben. Wenn man was zum Essen mag, dann zeigt man auf seinem Mund. Wenn man Seife will, dann fängt man, seine Hände zu reiben. Meistens wird man von den Verkäufer*innen verstanden, es liegt ja in ihrem Interesse, die Ware zu verkaufen. Die wenigsten würden glauben, dass man sich über den klugen Gedanken von Konfuzius unterhalten mag, „Wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, verlieren Menschen ihre Freiheit“.

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Ich kenne nur eine Geschichte von einem Freund von mir, der in Finnland Kopfschmerzen hatte und sich in der Apotheke Aspirin kaufen wollte. Um seinen Wunsch zu verkünden, hielt er seinen Kopf und fing an, laute Schmerzgeräusche zu machen, die sich wie eine schwangere Kuh anhörten. Das Personal der Apotheke glaubte, er bekomme einen epileptischen Anfall und rief die Rettung. Das ist aber natürlich eine Ausnahme. Wenn man so eine Kommunikationsmethode verwendet, glaubt man normalerweise, dass sein Gegenüber der eigenen Sprache nicht mächtig sei.

Ich bin in einer solchen Situation. Wenn ich mich vor die Direktorin des Kindergartens meiner Tochter stelle, erklärt sie mir, erfüllt von guten Gefühlen, den Kindergartenalltag mit Händen und Füßen. „Hat das Kind eine Hauu-be?“, fragt sie langsam und zeichnet eine längliche Haube in die Luft. „Bringen Sie Wiiiindeln“, und zeigt auf den Hintern des Kindes (zum Glück nicht auf meinen oder ihren eigenen) und wedelt mit der Hand vor ihrer Nase, um mir schlechten Geruch vorzuspielen. „Kommen Sie morgen früüüher!“, und zeigt auf ihre Uhr, und so weiter.

Ich nicke mit dem Kopf, versteckt hinter meiner Maske. Da ich ein pathologisch schüchterner Mensch bin, komme ich nicht dazu, der Dame zu erklären, dass ich der deutschen Sprache mächtig bin und eigentlich damit meinen Unterhalt verdiene. All das bleibt versteckt hinter dem Mund-Nasen-Schutz. Ich nicke freundlich, bringe eine Haube mit, kaufe Windeln und bemühe mich, pünktlich zu sein. Das bestätigt sie, dass ihre Kommunikationsmittel zum Erfolg geführt haben und die Kindergartendirektorin macht weiter so.

Ich hoffe, dass sich dieses Kommunikationsmodell nicht in die Schule überträgt, wo sich die Lehrer auch sicher sind, dass Kinder von Migrant*innen und ihre Eltern kein Deutsch sprechen können. Die Gefahr besteht, wenn man Kinder in „deutschsprechende“ und „anderssprechende“ Klassen aufteilt.

Wie könnte ich es der Regierung erklären, dass ich es geschafft habe, die Sprache zu lernen, weil man mich als Kind eben nicht in eine spezielle Klasse abgesondert hat und mir niemand imaginäre Gegenstände in die Luft vorgezeichnet hat? In der modernen Welt kann man nicht mehr Wilde mit Glitzerzeug täuschen. Meine Tochter fängt gerade zum Sprechen an und macht es gleichzeitig auf Deutsch und auf Bulgarisch. „Ich tat und verstand“, sprach Konfuzius mal.

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