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Karl Lagerfeld 2009

AFP PHOTO DDP / ROLAND MAGUNIA GERMANY OUT

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Ein Deutscher in Paris

Eine Biografie über Karl Lagerfeld versucht, das schillernde Leben von Karl Lagerfeld zwischen zwei Buchdeckel zu pressen.

Von Martin Pieper

Karl Lagerfeld ist auch zwei Jahre nach seinem Tod der bis heute berühmteste Modedesigner der Welt. Sonnenbrille, Fächer, Frisur - Lagerfeld hat sich in den 87 Jahren seines Lebens zunehmend in seine eigene Legende verwandelt. Der Kaiser beherrschte sein sagenumwobenes Reich - unter anderem Chanel, Fendi, Chloe - mit gnadenloser Arbeitsdisziplin. Es war bevölkert von den allerschönsten und reichsten Frauen und Männern, Häusern und Möbeln, Büchern und Katzen und natürlich von Kleidern. Er war sein eigenes Logo, der ideale Talkshowgast, schlagfertig, multilingual, mondän und exzentrisch.

Der deutsche Journalist und Autor Alfons Kaiser hat jetzt eine Biografie von Lagerfeld veröffentlicht, die versucht, den Menschen und die von „Karl“ selbst geschaffene Ikone zu trennen. Hinter Sonnenbrille, Fächer und Katze Choupette stand ein eigensinniger Einzelgänger, ein schwuler Mann mit Bindungsangst, ein Kind der deutschen Kriegs- und Nachkriegszeit, ein Arbeitstier und ein tüchtiger Geschäftsmann.

Lagerfelds Katze Choupette lebt übrigens noch und betreut immer noch ihren Instagram- und Twitteraccount.

Alfons Kaiser hat mit zahlreichen Freundinnen, Gefährten und auch entferntesten Verwandten gesprochen, um an die Fakten zu kommen, die Lagerfeld selbst zu Lebzeiten gerne umgedichtet hat. Dinge wie Geburtsjahr, Herkunft und NSDAP Mitgliedschaft seiner Eltern hat Lagerfeld gerne anders erzählt. Er hat früh begonnen, sich seine eigene Biografie zu erträumen. Alfons Kaiser schildert ausführlich die Lehr-, Schul- und Wanderjahre, die den sehr jungen Karl Otto vom wohlhabenden Hamburger Elternhaus – sein Vater wurde mit der Kondensmilchfirma Glücksklee reich – früh nach Paris führte, wo er fortan seinen Hauptwohnsitz hatte.

Karl Lagerfeld 1987

Rights Managed (RM)

Karl Lagerfeld 1987

Die Biografie trägt nicht umsonst den Untertitel: „Ein Deutscher in Paris“. Dieser Umstand hat Karl Lagerfeld Zeit seines Lebens begleitet. Für Franzosen, die gerade noch von deutschen Nazis besetzt wurden, war es zumindest merkwürdig, einen „boche“ in einer so „überfranzösischen“ Branche wie der Mode reüssieren zu sehen. Den Kontakt nach Deutschland hat er nie abreißen lassen, und so kennen die meisten Deutschen und Österreicher vor allem als Gast bei 80er Jahre TV-Ereignissen wie „Wetten, dass?“ oder gern gebuchte Talkshow-Nummernrevue für Johannes B. Kerner oder Markus Lanz. Was seiner Breitenwirksamkeit natürlich zuträglich war.

Wer hat noch keinen Witz über den berühmtem Sager von der Jogginghose und der Lebenskontrolle gerissen. Es hat aber vor allem auch dem Status der internationalen Mode- und Wunschproduktion geholfen, dass Karl Lagerfeld einfach überall war. Als Exzentriker ist er bis heute der beliebte Punchingball für alle Menschen, die die exzessive Beschäftigung mit Oberflächen und der Ästhetik von Waren verachten.

Cover "Ein Deutscher in Paris" Karl Lagerfeld Biographie

C.H. Beck Verlag

„Karl Lagerfeld - Ein Deutscher in Paris“ von Alfons Kaiser, C.H.Beck Verlag, 383 Seiten

Der Biograf versucht auf über 300 Seiten nicht zum posthumen Hagiographen des Modekaisers zu werden, und meistens gelingt ihm das auch. Insbesondere die frühe Zeit des Aufstiegs, die 60er und 70er Jahre in Paris werden plastisch geschildert und lassen nicht viel aus. Die ewige Konkurrenz zum Lieblingsfeind Yves Saint Laurent, die ausufernde Selbstdarstellung, die Beziehungsdramen, die Partys, Promis und Peinlichkeiten, das alles schildert Alfons Kaiser kenntnisreich und verhältnismäßig schonungslos, ohne in eine Schlüssellochperspektive zu verfallen. Die FAZ, die journalistische Heimat des Autors, lässt mit betont sachlichem Stil grüßen.

Ähnlichkeiten zu Andy Warhols Persona, dem anderen großen Charismatiker und „Menschenfischer“ derselben Epoche, fallen ins Auge. So wie Warhol war Lagerfeld zwar überall dabei, aber nicht unbedingt mittendrin. Drogen und Aids waren die Heimsuchungen, die Gefährten und Freunde von Karl und Andy, alles Menschen, die die Party am Laufen hielten und sich selbst verschwendeten, um dann als „Musen“ und Inspiration Eingang in die Kunst und Modeproduktion zu finden.

Karl Lagerfeld machte einfach weiter, der Blick zurück war ihm verhasst, die ständige Veränderung war seine Mission. In den letzten ein, zwei Jahren seines langen Lebens mutierte Karl Lagerfeld dann doch noch zum „alten weißen Mann“ mit seinen Kommentaren zur Tagespolitik, auch damit lag er gewissermaßen im Trend. Die Nachrufe, die 2019 erschienen, enthielten schon Spuren von Cancel-Culture. Auch das lässt der Biograf nicht unerwähnt.

Was noch fehlt, ist die detaillierte Auseinandersetzung mit der Mode, die Karl Lagerfeld designte. Im Buch von Alfons Kaiser bleibt die Frage nach der eigentlichen Qualität der Entwürfe nur ein Hintergrundrauschen in der Beschreibung dieses seltsamen und seltenen Lebensentwurfs, den Karl Lagerfeld so kompromisslos bis zu seinem Tod verfolgt hat.

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