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Fleischatlas 2021Grafiken

(c) Fleischatlas 2021 / Heinrich Böll Stiftung

Der Ernst der Lage beim Fleischkonsum wird völlig unterschätzt

62,6 Kilogramm Fleisch pro Kopf aßen die Österreicher*innen im Jahr 2019 im Durchschnitt, und lagen damit im europäischen Spitzenfeld. Global 2000 und Vier Pfoten weisen in ihrem Fleischatlas 2021 auf die Probleme des exzessiven Fleischverzehrs hin und zeigen mögliche Lösungen auf.

By Joanna Bostock

Experten weisen schon lange darauf hin: Wenn die Welt die Klimaschutz-Ziele des Pariser Abkommens erreichen will, müssen sich der Fleischkonsum und die Fleischproduktion erheblich verringern. Aktivisten sagen, dass dies neue Richtlinien sowie eine Änderung der Verbrauchergewohnheiten erfordern wird.

Global 2000 und Vier Pfoten haben gerade eine neue Ausgabe ihres Fleischatlas veröffentlicht, der beschäftigt sich mit der Fleischindustrie in Österreich und auf der ganzen Welt. Dagmar Gordon von Global 2000 erzählt im FM4 Interview, dass es bereits Anzeichen dafür gäbe, dass mehr Menschen weniger Fleisch essen.

Joanna Bostock/FM4: Können Sie anhand von Beispielen erzählen, was passieren wird, wenn wir unseren Ansatz zur Fleischproduktion und zum Fleischkonsum nicht ändern?

Dagmar Gordon/Global 2000: Der Fleischkonsum steigt weltweit immer noch, und er sorgt jetzt schon dafür, dass wir sehr hohe Mengen von Treibhausgasen damit produzieren. Das fängt an bei der Futtermittel-Herstellung, geht über das, was die Tiere von sich geben in unterschiedlicher Form, bis zu dem, was es an Energie kostet, dieses Fleisch zu verarbeiten und kreuz und quer über den Globus zu transportieren.

Aber es ist noch viel schlimmer als das. Wir töten mit den Exkrementen, die die Tiere von sich geben, auch unsere gesamte Biodiversität. Das muss ja irgendwie entsorgt werden und nur sehr wenig davon verschwindet in Biogasanlagen und wird zu Energie. Der größere Anteil wird auf die Wiesen gekippt und macht dort zwar - erfreulich für den Bauern - fette Wiesen, aber - weniger erfreulich für Schmetterlinge und Bestäuber - eintönige grüne Wiesen, die keine Nahrungsgrundlage für die Tiere sind. Diese Tiere, die wir Bestäuber nennen, sind sehr, sehr wichtig für unsere Umwelt und die Umwelt-Leistungen. Das ist das Eine. Das andere ist, und ich denke, das wissen die meisten Leute, die sich irgendwann mit dem Thema schon beschäftigt haben: Die Mengen an Fleisch, die weltweit produziert werden, funktionieren nicht mehr über das, was ein Land selbst am Futtermittel produzieren kann.

Vor allem in Brasilien werden heute noch Urwälder abgebrannt, damit dort genmanipuliertes Soja produziert werden kann, das dann als Sojaschrot nach Europa importiert wird und in vermittelter Form als Fleisch, als Schnitzel wieder auf unseren Tellern landet. Das macht einfach die Lunge unserer Welt kaputt. Man kann sagen, ein sehr hoher Fleischkonsum ruiniert die Welt an allen Ecken und Enden schneller als wir schauen können.

Wenn wir das nicht ändern, dann werden die Lungen der Welt zusammenbrechen. Die Wissenschaftler prophezeien uns, wenn wir 25 Prozent des Regenwaldes abgeholzt haben werden, dann wird dieses System Regenwald kollabieren und nicht mehr funktionieren und auch nicht wieder wachgeküsst werden können. Dann brauchen wir uns über das Klima auf dieser Erde keine Gedanken mehr machen. Dann war’s das.

Fleischatlas 2021Grafiken

(c) Fleischatlas 2021 / Heinrich Böll Stiftung

Wenn wir nichts ändern, wie lauten die Prognosen für die Fleischmengen, die weltweit konsumiert werden?

Wenn wir an diesen Schrauben nicht drehen, dann wird der Mehrverbrauch, der in Entwicklungsländern noch auf uns zukommen wird, noch zusätzlich dazu beitragen, dass sich diese Schraube schneller dreht. Das heißt: Wir müssen weniger Fleisch essen, damit in Entwicklungsländern die Leute genügend Fleisch essen können, um gut ernährt zu sein, und die Welt das trotzdem noch aushalten kann.

Einer der Gründe für die Veröffentlichung des Fleischatlas ist eine kürzlich durchgeführte Umfrage darüber, wie viel Fleisch Menschen essen. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Es hat in Deutschland eine sehr schöne Umfrage gegeben und ich denke, die Zahlen kann man guten Gewissens nach Österreich übertragen. Jugendliche und junge Erwachsene konsumieren deutlich weniger Fleisch als Erwachsene, als ältere Generationen. Die Umfrage war bei 15- bis 29-Jährigen und dort ist der Trend zu weniger bis gar kein Fleisch essen und weniger bis gar keine tierischen Produkte essen, deutlich höher als in der Restbevölkerung. 10,4% der repräsentativ befragten Jugendlichen ernähren sich schon vegetarisch, und 2,3% ernähren sich vegan. Das heißt, gemeinsam sind das ungefähr 13% der 15- bis 29-Jährigen, die jedenfalls auf Fleisch verzichten. Manche von ihnen eben auch noch auf andere tierische Produkte. Auch der Anteil an Flexitariern, nämlich den Leuten, die zu bestimmten Anlässen schon auch mal Fleisch essen, aber sehr, sehr wenig und dann noch sehr bewusst, woher dieses Fleisch kommt, ist mit 25% sehr hoch.

Sehen Sie dies als Grund zur Hoffnung, dass man mehr Dynamik aufbauen kann, um die Fleischindustrie zu verändern?

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(c) Fleischatlas 2021 / Heinrich Böll Stiftung

Der Fleischatlas 2021 ist als Download erhältlich, und die Druckausgabe kann kostenfrei hier bestellt werden: 0800 998 200

Durchaus. Auch, weil die derzeit wütende Pandemie die Leute durchaus ein bisschen bewusster dafür macht, was sie essen, woher das kommt, was sie essen. Beide Dinge - der Umstand, dass die Jungen so viel bewusster sind und so viel bewusstere Entscheidungen treffen und dass die Älteren, die jetzt vielleicht auch durchaus noch für die Versorgung der Familien zuständig sind, auch aufgeschreckt sind durch die Pandemie - diese beiden Faktoren können schon auch ein Punkt sein, dass zumindest in unseren Breiten sich etwas zum Guten verändert. Und es geht letztendlich nicht darum, Hopp oder Drop Fleisch zu essen oder gar kein Fleisch zu essen, sondern es geht darum, sehr viel bewusster Fleisch zu essen, weniger Fleisch zu essen. Und wenn wir Fleisch essen, dann aus biologischer Haltung und aus artgerechter Haltung, und eben so, dass wir nicht die Umwelt massiv schädigen.

Was genau ist der Fleischatlas und wofür steht er?

Der Fleischatlas soll all den Leuten, die sich sowohl für die Tierhaltung als auch für die Ernährung interessieren, Fakten leicht verständlich an die Hand liefern. Er hat eine Menge Text, aber auch eine Menge sehr anschaulicher Grafiken, die zusätzlich noch Informationen bieten. Er soll Bewusstsein dafür schaffen, wo überall Probleme in diesem System Fleischproduktion zu finden sind. Und er bietet aber auch durchaus Lösungsmöglichkeiten im Sinne von Erklärungen Wie kann es richtig ergehen? Wie kann es besser gehen? Und das kann durchaus bei der Entscheidung Wie gehe ich mit meinem Fleischkonsum um? eine Hilfestellung sein. Rezepte gibt es allerdings keine.

Aber wenn es um Veränderungen geht, geht es nicht nur darum, dass Verbraucher ihr Verhalten ändern, sondern auch um Richtlinienänderungen.

Absolut. Es geht auf der einen Seite darum eine Forderung zu untermauern, die wir schon öfter gestellt haben. Sowohl Global 2000 als auch die Vier Pfoten fordern von der Politik auch für die Gastronomie eine Kennzeichnung von Herkunft und Haltungsbedingungen von Fleisch. Für die Gemeinschafts-Verpflegung wird das jetzt kommen. Das ist eine Forderung, die dazu dienen soll, den Konsumenten im Bereich Ich esse noch Fleisch, aber ich möchte kein Fleisch aus Massentierhaltung essen. Ich möchte kein Fleisch aus konventioneller Tierhaltung essen. Ich möchte regionales Fleisch essen - da den Konsumenten tatsächlich das Wissen in die Hand zu geben, was sie auf den Teller bekommen und ihnen die Möglichkeit zu geben, zu entscheiden, was sie essen wollen.

Das ist das Eine. Weil ich kann die Entscheidung nicht auf die Konsumenten abwälzen, ohne ihnen die Informationen, die dazu notwendig sind, zu geben. Das andere ist, dass Global 2000 seit langem fordert, dass die Bauern für ihre Arbeit fair entlohnt werden, was es ihnen dann auch möglich machen würde, mit den Tieren anders umzugehen und mit der Umwelt anders umzugehen. Das klingt jetzt einfach nach einem sehr verträumten Umweltschützer-Wunsch. Das ist es aber nicht. Es geht tatsächlich darum, die Margen anders aufzuteilen. Und das kann nur die Politik.

Nur die Politik kann verbieten, dass es zum Beispiel Preisangebote bei Fleisch gibt?

Das wäre eine gute Möglichkeit, um zu sagen: Rabattaktionen dürfen einfach nicht bei Fleisch stattfinden, weil das ist ein viel zu kostbares Lebensmittel, als dass man damit auf diese Art und Weise werben darf. Es muss eine Förderung von pflanzlichen Alternativen geben. Wenn Sie jetzt einkaufen gehen, ist es sehr viel leichter, billiges Fleisch zu kaufen als billiges Obst und Gemüse. Für all diese Rahmenbedingungen muss die Politik Sorge tragen und sie muss auch für eine andere Art von Landwirtschaft Sorge tragen. Und zwar für eine Landwirtschaft, die nicht im Cent-Bereich die Bauern entlohnt, sondern die den Bauern ein würdiges Auskommen schafft, auch dann, wenn sie nicht immer weiter wachsen. Weil dieser Wachstums-Druck auf die Bauern, der führt zu einer elenden Massentierhaltung und zur Zerstörung unserer Umwelt.

Fleischatlas 2021Grafiken

(c) Fleischatlas 2021 / Heinrich Böll Stiftung

Eines der Dinge, die Sie erwähnt haben, ist die Art und Weise, wie Tiere gehalten werden. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass glückliche, gesunde Tiere gut für die Verbraucher sind.

Absolut. Es gibt natürlich Untersuchungen, die die Stresshormone, die Tiere während des Transports und einer unmenschlichen Schlachtung ausschütten, nachweisen. Es ist ein großes Problem, dass Antibiotika für die Tiermast in großen Mengen und in Breite verwendet werden, und zwar auch - und das ist mir ein besonderes Anliegen und Global 2000 hat auch schon einmal darauf hingewiesen - auch die sogenannten Reserve-Antibiotika. Das sind die Antibiotika, die zurückgehalten werden sollten, wenn bei Menschen die Antibiotika, die im Umlauf sind, nicht mehr anschlagen. Es gibt Wissenschafter, die darauf hinweisen, dass wir in Gesundheits-Krisen bekommen können, gegen die diese Pandemie, in der wir jetzt stecken, nur ein ganz müder Abklatsch war. Wenn es nämlich darum geht, dass wir multiresistente Keime bekommen, mit denen wir dann nicht mehr umgehen können, weil die Resistenzen, nämlich die Widerstandskraft dieser Keime gegen die Antibiotika, durch die Verwendung in der Tiermast schon so gestiegen sind.

Viele Menschen sind ziemlich gut über die Themen informiert, über die wir gesprochen haben. Aber gibt es irgendetwas im Fleischatlas, von dem Sie glauben, dass es einige Leute überraschen könnte?

Ich denke, wir überlegen uns viel zum Thema Mobilität, Reisen, Fliegen. Und ja, das sollten wir sehr viel gründlicher überdenken. Aber ich glaube, nur wenige Leute wissen, dass mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen in Österreich auf das Konto der Nutztierhaltung gehen. Also da geht wirklich was, wenn wir da etwas ändern. Wenn wir an diesen Schrauben drehen und ich kann mich erinnern, als ich ein junges Mädchen war, war die Debatte darum, wieviel Platz ein Lege-Huhn hat, durchaus in aller Munde. Ich glaube, kaum jemand weiß, dass ein erwachsenes Schwein in der Massentierhaltung maximal den Platz einer Duschkabine für sich beanspruchen kann, und dass es Tageslicht sowieso nicht sieht. Dieses Schwein sieht nie den Himmel. Und ich denk mir, selbst für Leute, die gerne Fleisch essen, ist es doch so, dass unter diesen Umständen kein Tier gehalten werden sollte, das unseren Sonntagsbraten liefert.

Schweine sind so intelligente Tiere. Wenn wir sie nicht so gerne am Teller sehen würden, würden sie sich tatsächlich als Alternativen zu Hunde anbieten. Sie sind genauso klug, sie sind unglaublich sozial. Sie lernen gerne. Sie spielen gerne. Sie sind neugierig. Und selbst wenn man sich nach diesem Plädoyer für Schweine nicht dazu entschließen kann zu verzichten, ab und zu mal eins zu essen, sollten sie wenigstens die Zeit, die sie gelebt haben, würdig und ihrem ihrem Charakter und ihren Bedürfnissen entsprechend gelebt haben. Das kann nur gut sein, auch für uns.

Vielen Dank für das Gespräch!

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