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alte Couch im Freien

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Warum Michael keine Couch mehr angeboten bekommt

Der Freigeist Michael ist glücklich ohne Geld und Regeln, aber genau deswegen eine Gefahr für alle Kinder.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ein Freund von mir, Michael, hält es für den größten Erfolg, wenn er schafft, einen Tag durchzustehen, ohne einen einzigen Euro zu verbrauchen. Die Möglichkeit, Geld zu verdienen, gibt es für ihn nicht. Sein Wertesystem lässt Gewinn nicht zu, Arbeit auch nicht.

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Michael ist glücklich und erfolgreich in seiner Armut. Er übernachtet bei unterschiedlichen Leuten (selten zweimal bei den gleichen), die er mit seiner Theorie des Widerstands durch Geldverweigerung fasziniert. Im ersten Moment mögen ihn alle, bis sie feststellen, dass er eine potentielle Gefahr für ihre Kinder darstellt. Wenn ihn Kinder fragen, was er wohl arbeite, erzählt er ihnen mit einem Lächeln im Gesicht von den Vorteilen des Lebens ohne Arbeit. Das ist nicht besonders pädagogisch.

Bekannte von mir führen mit ihrer Tochter jeden Abend vor dem Einschlafen das folgende Gespräch: „Welches Kind ist das schönste?“ „Ich“, antwortet sie. „Welches Kind ist das klügste?“ „Ich“ „Welches Kind wird erfolgreich sein im Leben!“ „Ich!“ und legen sie schlafen, um schön, klug und erfolgreich zu sein. Dieses Kind traf mal auf Michael und er fragte es: „Und wovon träumst du? Wenn du bereits schön, klug und erfolgreich bist, wovon träumst du noch?“ Das Kind hatte darauf keine Antwort und brach in Tränen aus. „Ich haaaaabe keeeeinee Träuuumeee!“, schrie es laut durch die Wohnung. Seitdem wurde Michael nie mehr in dieses Haus eingeladen.

Ähnlich verlief ein Gespräch von Michael mit einem anderen Freund, der gar kein Kind mehr ist. Sie sprachen über Träume. Dieser Freund meinte, dass er davon träumt, kurz in der Zukunft leben zu wollen, um sich mal anzuschauen, wie wir leben werden. Michael warnte ihn, dass er dann eine Gasmaske brauchen würde. Dieser Freund, der ein Mathematiker ist, versuchte, die Müllmenge, die die Menschen täglich wegwerfen, auszurechnen und entschied sich, dann doch lieber in der Vergangenheit leben zu wollen. Michael warnte ihn, sich den Augenblick in der Vergangenheit genau auszusuchen und den Tag des Attentats auf Erzherzog Franz Ferdinand zu meiden, damit er nicht ins Heer einberufen würde. Auch dieser Freund lud Michael nie wieder zu sich ein.

Bei mir zu Hause setzte sich Michael gemütlich auf den Boden und schaute sich Zeichentrickfilmchen zusammen mit meiner Tochter an. Er machte die Stimme von Papa Wutz ganz gut nach und wusste genau, was in der Episode passieren würde. Hat er sie schon mal heimlich geschaut? Nein, lächelte Michael. Er wusste nur aus Selbsterfahrung, wie schön es ist, sich im Schlamm rumzuwälzen. Außerdem wurde er schon so oft „dreckiges Schwein“ genannt, dass er sich mit der Wutz-Familie ganz gut zu identifizieren wusste. „Nur wenn ich in der Matschepfütze liege, vermischen sich Ideologie und Dasein für mich!“, sagte er. Meine Tochter schaute ihn an mit weit offenen Augen. Ihre autoritäre, einjährige Welt von Verboten („Fass das nicht an, du wirst dich verbrennen!“, oder „Geh runter vom Schreibtisch!“) kollabierte vor ihren Augen.

Es gab keinen Weg zurück. Mir blieb nichts anderes, als dem Freigeist von Michael die Tür zu zeigen. Sonst liebe ich ihn, ich habe euch sogar von ihm erzählt. Passt aber mit ihm auf, falls ihr ihn trefft, er ist ganz schwer los zu werden.

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