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Portraitfoto Mira Lu Kovacs

Hanna Fasching

Mira Lu Kovacs: Songs übers Scheitern und die Selbstliebe

Die begnadete Sängerin Mira Lu Kovacs hat ein Überlebensalbum geschrieben, ehrlich, offen und unglaublich berührend. „What Else Can Break“ ist ein zartes Popalbum mit therapeutischer Wirkung.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Ein schleppender Schlagzeug-Beat, eine leicht scheppernde Akustik-Gitarre und die einnehmende, zerbrechliche Stimme von Mira Lu Kovacs eröffnen das neue Soloalbum „What Else Can Break“. Der Song „Stuck“ steht nicht grundlos an der ersten Stelle des neuen Songzyklus.

Mira Lu Kovacs: „In dem Lied geht es darum, dass man das Gefühl hat, nicht weinen zu können, obwohl man möchte. Es ist ein unangenehmes und schreckliches Gefühl und man steht neben sich, wenn man merkt, dass etwas rausmöchte, aber kein Ventil hat. Ich habe für mich herausgefunden, dass es mir hilft, wenn ich ekstatisch tanze und mich schüttle, um wieder weinen zu können.“

Es hilft auch, so einen zarten, dunklen Popsong zu schreiben. Denn durch das Lösen dieses blockierten Gefühls und dem sich Öffnen durch dieses Lied können auf „What Else Can Break“ alle Emotionen raus, die Mira Lu Kovacs in den letzten Jahren mit sich herumgetragen hat.

Die sich abwechselnden Energien

Mira Lu Kovacs ist eine wandelbare Musikerin. Während sie mit ihrer Avantgarde-Jazz-Pop-Truppe 5K HD die Brüche in der Musik und die grenzenlose Fusion verschiedenster Stile zelebriert und sich als Gitarristin und Sängerin von My Ugly Clementine dem Indierock eher im Hintergrund hingibt, hat sie als Frontfrau von Schmieds Puls schon immer zwei grundlegenden Emotionen mit ihren Songs nachgespürt: Wut und Trauer.

Mira Lu Kovacs: „Schon beim ersten Album ‚Play Dead‘ von Schmieds Puls ging es um die Wut, allerdings gepaart mit Traurigkeit. Diese beiden Emotionen sind bei mir eng miteinander verwoben. Weil sich die Energien abwechseln. Nach der Wut gebe ich mich erschöpft der Traurigkeit hin und dann kommt die Kraft der Wut, dass ich wieder aufstehen kann.“

So wechseln die Energien auch bei dem vermeintlichen Liebeslied „Most Beautiful Boy“ ab - zwischen Hass und Liebe, zwischen Enttäuschen und Verehren, ist es auch in Beziehungen für Mira Lu Kovacs meist ein Ringen mit den Gefühlen. Es sind die verschiedenen Extreme, die hier in dem recht reduzierten, dahinfließenden Song anfänglich einander gegenübergestellt und schlussendlich miteinander verschmolzen werden. Schließlich ist der Mensch ein komplexes Wesen mit widersprüchlichen Gefühlen und Seiten.

Auch der Song „Want You“ erforscht die Dynamiken von Beziehungen. Das hin und her gerissen Sein zwischen jemanden begehren und sich nicht abhängig fühlen wollen.

Mira Lu Kovacs: „Ich will eigentlich nicht in Dynamiken sein, in denen ich jemandem zeigen muss, dass die Person mir egal ist, damit sie auf mich zugeht. Das ist für mich so dumm, berechnend und anstrengend. Darin finde ich mich leider oft wieder, in verschiedensten Beziehungen. Und mir ging es darum, auch einmal zu sagen: I Want You. Sei mein Freund, sei meine Freundin und ich möchte nicht herumeiern.“

Intime Schlafzimmeratmosphäre

Alle Songs von „What Else Can Break“ haben eine ganz intime Atmosphäre. Die Stimme von Mira Lu Kovacs ist ganz nah. Man scheint jede kleinste Gefühlsregung, jede klitzekleine Schwankung des Gemüts herauszuhören. Teils umspielt uns eine gehauchte Gesangslinie, wie in dem herzzerreißenden, vom Beat her fast schon beschwingten „Human“, bei dem Mira Lu Kovacs sich über das Ego erhebt und sich in all ihrer Verletzlichkeit zeigt.

Auch bei dem mehrstimmigen und fast am meisten „ausproduzierten“ Lied „Dove On A Bench“ scheinen wir direkt neben der charismatischen Sängerin im Schlafzimmer zu stehen, wie sie den Song einsingt. Denn auch wenn ihre Bandkollegin Sophie Lindinger von My Ugly Clementine, auch Teil des Elektronik-Duos Leyya, ihr Album mitproduziert und gemischt hat, ist es das erste richtige Soloalbum, das Mira Lu Kovacs komplett anders aufgenommen hat als Platten, bei denen sie bisher federführend war.

Albumcover "What Else Can Break" von Mira Lu Kovacs

Play Dead/Ink Music

Mira Lu Kovacs: „Jegliche Stimmen- und Gitarrenaufnahmen sind bei mir im Schlafzimmer entstanden. Das war neu für mich, denn ich bin gewohnt, dass ich ewig probe und dann gehen wir ins Studio ganz brav und klopfen die Songs rein und fertig. Diesmal war es ganz anders und ich liebe diesen Prozess. Ich fühl mich wohl zuhause und singe viel entspannter. Ich frühstücke und denke mir dann: Hm, heute fühl ich mich nach dem Song ‚Want You‘. Oder nein, ich mach lieber den Refrain von ‚Stay A Little Longer‘ nochmal, weil die Stimme gerade so klingt. Und diese Freiheit zu haben, das ist ein künstlerischer Bonus, den ich nie wieder hergeben möchte.“

So geht auch der Song „84“, ein Stück über die alte Seele, die in Mira Lu Kovacs schlummert, in seiner Direktheit sofort unter die Haut. Harmonisch wechseln sich nur ein paar zart schwingende, glitzernde Gitarrenakkorde ab und erzeugen durch dieses loopartige Arrangement einen richtig hypnotischen Song. Es entsteht eine verträumte Atmosphäre, die den akustischen Höreindruck der Intimität noch verstärkt.

Lernen, das Scheitern zu lieben

Ein zentraler Song des Albums ist „Stay A little Longer“, der wohl „wichtigste Song“, den Mira Lu Kovacs je geschrieben hat, wie sie es selbst ausdrückt. Sie hat ihn geschrieben, als sie mit einer Corona-Infektion im Bett gelegen ist und das Mikrophon ganz nah zu sich gestellt hat, um die Ideen und Skizzen aufnehmen zu können.

Mira Lu Kovacs: „Es ging bei diesem Song um alles andere als um einen Virus, der meinen Körper angreift. Es ging vielmehr um ein anderes Virus, das mich schon seit Jahren im Griff hat. Ich glaube viele Menschen kennen das, es sind Depressionen und Selbstzweifel.“

„Stay A Little Longer“ ist ein Song, den sich Mira Lu Kovacs selbst hat vorsingen müssen, am Tiefpunkt einer Krise. Denn in diesen Momenten hilft es oft nicht, wenn die Menschen um einen herum versuchen, dich mit liebevoller Art zu unterstützen. Wenn das Herz und die Ohren nicht offen sind, um diese Zuwendungen zu hören, dann helfen sie auch nicht, aus diesem Strudel herauszukommen. In dem Song kommt auch die Phrase „What Else Can Break“ vor, nach der das Album benannt worden ist.

Mira Lu Kovacs: „Es geht darum, das Scheitern lieben zu lernen. Zu versuchen, es nicht als den Untergang der Welt zu sehen. Die ganze Phrase ist ja: ‚Stay a little longer to see what else can break, to see what else can ache, to make another mistake.‘ Es ist eine Ode daran, da zu bleiben und zu schauen, wie du noch scheitern kannst. Das Scheitern zeigt uns unglaublich viel über unsere Menschlichkeit, über unsere eigenen Gefühle und unsere Abgründe. Wenn wir das nicht lieben und ehren, dann haben wir auch keine Höhepunkte und kein Glück.“

Insofern ist „What Else Can Break“ auch ein hoffnungsvolles Album. Schließlich schafft man durch das Akzeptieren und Annehmen der eigenen, dunkleren Seiten die Möglichkeit für Veränderung und den Aufstieg nach einem tiefen Fall. Dazu braucht es auch manchmal die Konsequenz, sich aus toxischen Beziehungen zu lösen, die einem oder einer nicht gut tun. Der Song „Pull Away“ thematisiert das Sich-Entziehen einer Situation, auch wenn es sehr schmerzlich ist und passt sehr gut in die Grundaussage des Albums: Take care of yourself!

Mira Lu Kovacs hat mit ihrem neuen Album ihre verletzliche Seite in den Vordergrund gestellt. Die Songs sind „brutal ehrlich“, wie sie es gerne ausdrückt. Da gibt es nichts zu deuten, nichts hineinzuinterpretieren. Es gibt keine Schutzschicht mehr gegenüber uns Hörer*innen. Im Verlauf ihrer musikalischen Karriere hat Mira Lu Kovacs nun den Mut gefunden, sie alle abzulegen. Dadurch gewährt uns die Ausnahmekünstlerin einen tiefen Einblick in ihre Seele, und indem sie die Songs für sich und ihre eigene Heilung singt, macht sie auch uns damit ein großes Geschenk. Sie erinnert uns daran, dass es okay ist, nicht perfekt zu sein. Dass es okay ist, Fehler zu machen und unvollkommen zu sein. Und dass es wichtig ist, sich gut um sich selbst zu kümmern, um im eigenen Leben ganz anwesend zu sein.

Mira Lu Kovacs: „Es geht darum, mit sich selbst okay zu sein. Dass ist zwar eine Verantwortung gegenüber sich selbst, aber in Wahrheit gibt man den anderen Menschen, die einen umgeben auch die Chance, einem überhaupt zu begegnen. Weil wenn du nicht bei dir bist, dann können dir andere Menschen nicht begegnen. Wenn man sich dann alleine fühlt und das Gefühl hat, niemand reagiert auf mich, dann liegt das oft daran, dass man nicht bei sich ist. ‚Taking care of yourself‘ verschafft einem diese Präsenz, im Moment und bei sich zu sein. Das ist meine Lektion, die ich zu lernen habe.“

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