FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

twenty one pilots

Ashley Osborn

Twenty One Pilots und ihr neues Album „Scaled and Icy“

Das Duo hat sein sechstes Album veröffentlicht und schlägt damit vertraute wie auch neue Töne an. „Scaled and Icy“ ist kein typisches Twenty One Pilots-Konzeptalbum, sondern ein Querschnitt von dem, was die Band ausmacht.

Von Alica Ouschan

"Scaled and Icy"

Fueled By Ramen/Warner Music

Scaled and Icy ist gestern bei Fueled By Ramen/Warner Music erschienen.

Das Musiker-Duo Twenty One Pilots, bestehend aus den Kindheitsfreunden Tyler Joseph und Josh Dun, kommt ursprünglich aus Columbus, Ohio. Den Lockdown haben die beiden aber teilweise in unterschiedlichen Bundesstaaten verbracht. Nachdem Twenty One Pilots sich in den letzten zehn Jahren vom gehypten Underground-Phänomen in die großen Hallen der Welt gespielt haben und quasi ohne Pause auf Tour oder im Studio waren, hat das unzertrennliche Duo im vergangenen Jahr zum ersten Mal ein Album aus örtlicher Entfernung geschrieben.

Die Musik der Twenty One Pilots speist sich aus einem Crossover von Indie-Poprock, Elektro und Rap und zeichnet sich vor allem durch die erzählerischen, teils komplexen Texte über mentale Gesundheit, Selbstzweifel und innere Dämonen aus. „Scaled and Icy“, so der Name der neuen Platte, gliedert sich musikalisch gesehen zwar nahtlos in ihren Stil ein, trotzdem ist es ansonsten ein relativ untypisches Album für die Band.

Ein buntes Puzzle ohne Konzept

Wer Twenty One Pilots schon länger verfolgt weiß, dass Sänger und Songschreiber Tyler gern komplexe Konzepte entwirft, die sich wie ein roter Faden durch die Alben ziehen. Er bedient sich dabei häufig eines erzählerischen Schreibstils und spinnt Geschichten rund um einen oder mehrere Protagonisten, die meist verschiedene Namen tragen, aber alle repräsentativ für Tylers Unsicherheiten und Ängste stehen.

Das bekannteste Beispiel dafür ist das vorletzte Album „Blurryface“, das den Titel mit seiner Hauptfigur teilt. Die Komplexität dieses speziellen Songwritings hat ihren Höhepunkt schließlich auf dem letzten Album erreicht, das 2018 erschienen ist. Auf „Trench“ haben gleich ganze Banden von inneren Dämonen gegeneinander gekämpft, die chronologisch erzählte Geschichte war so verworren wie nie zuvor.

Völlig überraschend machen Twenty One Pilots auf „Scaled and Icy“ nun eine volle Kehrtwende. Die Songs sind keine Kapitel einer zusammenhängenden Geschichte, sondern bunte Puzzleteile, die trotzdem ineinander passen. Wie um jegliche Fan-Theorien, die dem Album vielleicht doch ein Konzept andichten wollen, im Keim zu ersticken, ist der Titel zusätzlich ein Anagramm: „Clancy is dead“ verdeutlicht, dass der Protagonist und somit auch die Handlung des letzten Albums ein jähes Ende gefunden hat.

Zurück zum Ursprung

Für diesen inhaltlichen Wandel gibt es gleich mehrere Erklärungen. Twenty One Pilots schöpfen beispielsweise für gewöhnlich viel Inspiration aus der Interaktion mit ihren Fans bei Konzerten. Viele Songideen entstehen auf Tourneen, die es im vergangenen Jahr nicht gegeben hat. Neben den Inhalten steht für die beiden auch die Live-Umsetzung ihrer Alben im Vordergrund, was dazu geführt hat, dass auf den letzten Alben der erste Song einen relativ klassischen „takeover“-Vibe hatte, mit langem Aufbau und einem großen Knall - es blitzt und donnert, dann fällt der Vorhang und das Konzert geht los, man kennt das ja.

Der Opener auf „Scaled and Icy“ klingt ganz anders und gleichzeitig vertraut. „Good Day“ erinnert an die ganz frühen Tage der Band. Der Song reißt einem nicht den Boden unter den Füßen weg, sondern holt einen sanft ab. Die verspielten, eingängigen Piano-Sequenzen, in späteren Tracks wie „Bounce Man“ dann auch die Rückkehr der Ukulele, sowie die Upbeat Elektro-Rock-Songs („Never take it“), erinnern zudem stark an den Sound von „Vessel“, jenem Album, das vor dem kommerziellen Durchbruch im Jahr 2013 herausgekommen ist. Auch die bewusst erzeugte Spannung zwischen von Optimismus übersättigter Musik und pessimistischen Texten ist ein klassisches Merkmal der früheren Werke der Twenty One Pilots und zieht sich fast durch das ganze Album: Der erste Satz auf der Platte („I can feel the saturation leaving me slowly“), trifft auf lebensbejahende Melodien.

Twenty One Pilots haben sich für „Scaled and Icy“ also auf die Wurzeln ihres Sounds zurückbesonnen. Die Musik ist insgesamt auch einfacher gestrickt, redundanter und poppiger. Sie verliert dabei aber nicht an Originalität, sondern klingt ausgereift und irgendwie erwachsener. Dass die Songs auf der Platte coronabedingt nicht im gemeinsamen Ausprobieren oder auf Tour entstanden sind, sondern durch Ideen, die hin und her geschickt, erweitert und verändert wurden, sowie durch die neue Lebensrealität des ständig tourenden Duos, hatte einen hörbaren Einfluss auf das Album.

twenty one pilots

Ashley Osborn

Tyler, der in seinen Texten oft düstere Gedanken verarbeitet hat, ist im letzten Jahr Vater geworden. Sein veränderter Gemütszustand und ein Shift im Themenfokus ist klar erkennbar: Die Texte beschäftigen sich nun beispielsweise mit Verlustängsten und Zusammenhalt. Man möchte fast schon sagen, die Musik der Twenty One Pilots sei, vor allem im Hinblick auf den Vibe des letzten Albums, harmloser, lieber, ja fast schon „kinderfreundlich“ geworden.

Einfach aber gut

Die beschwingte Leichtigkeit, die „Scaled and Icy“ innewohnt, bildet einen harten Kontrast zum Vorgängeralbum „Trench“, auf dem das Duo gewagte musikalische Experimente von Nu Metal bis Reggae mit einer verschachtelten chronologischen Erzählung kombiniert hat. Tyler hatte sich in den vergangenen Jahren zunehmend in seiner eigenen Gedankenwelt verstrickt, die dabei an Komplexität immer mehr zugenommen hat. Mit „Scaled and Icy“ wagt er jetzt den Befreiungsschlag und besinnt sich zurück auf die Kunst, gute aber einfache Songs zu schreiben. Die Übergänge zwischen den Songs auf der neuen Platte passieren fließend, trotz des vermeintlich fehlenden roten Fadens klingt „Scaled and Icy“ sehr dicht und rund.

Gegen Ende des Albums stehen wie immer zwei eher ruhigere, düstere Songs, die jedoch nicht ganz so tief unter die Haut gehen wie bei den bisherigen Alben. Bei Betrachtung des Gesamtpakets haben Twenty One Pilots es aber auch bei ihrem sechsten Album wieder geschafft, sich neu zu erfinden und einen weiteren Meilenstein in ihre Diskografie eingefügt.

mehr Musik:

Aktuell: