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Die Zeit der Enzyklopädisten

Todor beobachtet: Nach dem zehnten Bier entdecken viele Menschen in sich ihren eigenen Leonardo da Vinci.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Früher war die Welt voll mit Enzyklopädisten. Persönlichkeiten, die sich mit Philosophie, bildender Kunst, Ballistik, Architektur und Medizin auskannten, solche wie Leonardo da Vinci. Danach wurde das Wissen der Menschheit zu umfangreich und wir Spezialisten in jedem Gebiet brauchten. Bis das Internet kam und die Enzyklopädisten zurückkehrten. Schaut euch nur diverse Zeitungsforen an und seht, wie dieselben Menschen in Fragen von Innenpolitik, Medizin und Finanzen kompetent sind. Jeder hat seinen inneren Leonardo gefunden und will es den anderen zeigen. Man will nicht nur der König seiner kleinen Ecke sein, nein, man will das Universum beherrschen. Der Internetdschungel ist voll mit Tigern, die virtuell brüllen. Und jeder will so ein Tiger sein.

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Stellt euch vor, euer Hobby ist es, Bier im lokalen Wirtshaus zu trinken, und ihr fotografiert euch dabei. Ihr habt einige Follower in den sozialen Netzwerken, denn die Menschen, die gerne Bier im Wirtshaus trinken, sind viele. Irgendwann wird das Wirtshaus eng und man will im Nachbarbezirk Bier trinken. Man trinkt auch dort Bier und fotografiert sich dabei. Im Nachbarbezirk ist das Bier kälter und sie haben einige Sorten mehr. Man bekommt neue Follower. Aber auch die ersten Hater – die vom Ursprungswirtshaus. Man streitet im Internet, ob man nicht vom Nachbarwirtshaus bezahlt wurde, um dort Bier zu trinken. Das kommt euch wie eine gute Idee vor - und schon wird aus euch ein professioneller Biertrinker.

Man geht zu einem dritten Wirtshaus, wo man schon als guter Biertrinker bekannt ist, wird eingeladen und dann schreibt man eine sehr positive Rezension darüber. Von Bier zu Bier wird man zu einem wahren Weltbürger. Man kennt sich aus mit dem Bier in Japan, der Türkei und Madagaskar. Die Brauereien zahlen gut, die Werbung wird so viel, dass man ein Team braucht, das die Werbeanfragen und die Finanzen verwaltet. Der einzige Nachteil ist, dass man immer runder wird - aber man ist kein Biertrinker mehr, sonder ein professioneller Biertrinker.

In den Einträgen über Bier fängt man an, die politische Lage in den einzelnen Ländern zu kommentieren, man wird zu einem Finanzexperten, der nächste Schritt ist, sich mit theoretischer Physik auszukennen. Besonders gerne macht ihr das nach dem zehnten Bier. So wird man zu einem Enzyklopädisten. Der Einfluss, den man über seiner Follower hat, gleicht dem von Leonardo da Vinci. Ihr seid eine Art virtueller (Bier-)Leonardo geworden. Hoffentlich schaltet niemand den Strom ab und die Internetverbindung bleibt stabil.

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