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Erich Moechel

EU-Pläne zur Chat-Überwachung eingebremst

Vor dem EU-Ministertreffen am Donnerstag wird beim Vorhaben totaler Chatkontrolle erstmals zurückgerudert. Das zeigt die Abschlusserklärung, die FM4 im Entwurf vorliegt.

Von Erich Moechel

Am Donnerstag beginnt ein Treffen der EU-Innenminister in Brdo, das die slowenische Ratspräsidentschaft einberufen hat. Dabei wird zwei Tage lang über eine effizientere Bekämpfung von Kindesmissbrauch im Netz diskutiert. Um die für Anfang Dezember angekündigte Verordnung der Kommission zur Chat-Überwachung ist es hingegen ruhig geworden.

Das nahezu einhellig negative Echo aus der IT-Sicherheitsbranche auf den Versuch, Ende-zu Ende-Verschlüsselung (E2E) zu illegalisieren hat diese Pläne offenbar eingebremst. Das zeigt auch die Abschlusserklärung des Ministertreffens, die ORF.at bereits vorliegt.

Pläne EU-Ministerrat

EU Ministerrat

Da die Abschlusserklärung noch im Entwurfsstadium ist, zeigt sie die jüngsten und vermutlich letzten Änderungen im Text, sie sind fett und unterstrichen (siehe unten). Man sieht dadurch, was dem Ministerrat zuletzt zum Thema eingefallen ist und dann mehrheitlich in den Text der slowenischen Ratspräsidentschaft aufgenommen wurde. Das wird in Folge noch von erheblicher Bedeutung sein. (siehe unten)

Überwachungspflichten plötzlich im Konjunktiv

Der vorliegende Text wurde offensichtlich beim letzten EU-Ministertreffen Anfang Oktober in seine nunmehrige Form gebracht

Am Treffen nehmen nicht nur die Minister aus den EU-Staaten, sondern auch jene der Schengen-Staaten des Westbalkans sowie der USA teil. Dazu kommen Repräsentanten von Europol, anderer EU-Institutionen und verschiedener Kinderschutzorganisationen. Es ist also ein regelrechter Großauftrieb zum Thema.

Aus dem Entwurf der Abschlusserklärung, die seltsam vage ausfällt, ist keine eindeutige Vorgabe abzulesen. Wohl heißt es da, dass „im Kontext des Kinderschutzes, die Wichtigkeit angemessener Instrumente wie etwa Vorratsdatenspeicherung, Verschlüsselung, grenzüberschreitender Datenzugriff und die Rolle des Darknets von den Ministern betont wurde“. Die Strafverfolger sollten jedenfalls über die nötigen Zugriffsmöglichkeiten verfügen, um die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten, heißt es weiter. Nirgendwo in den sechs Seiten Text finden sich jedoch Hinweise darauf, welche konkreten Maßnahmen nun ins Auge gefasst werden.

Erst ganz am Schluss, nämlich im Absatz 11 von 12 wird auf konkrete Maßnahmen Bezug genommen. Allerdings wurde das Wording plötzlich weitgehend entschärft. Was davor im Indikativ gehalten war, wurde auf einmal in den Konjunktiv übertragen, aus „wird anordnen“ wird „könnte vorschlagen“, „dass die Service-Provider verpflichtet sind, nach Kindesmissbrauch zu suchen, ihn zu melden und zu entfernen“.

Pläne EU-Ministerrat

EU Ministerrat

Selbst so marginale Änderungen wie hier im letzten Satz sind bei einem Dokument auf so hoher internationaler Ebene von Bedeutung. Hier wurde etwa von „Industrie und Strafverfolger“ auf „Strafverfolger und Industrie“ umgestellt. Die Internetindustrie hatte sich nämlich darüber beschwert, als Hilfspolizisten agieren zu müssen, denen die Hauptlast hoheitsstaatlicher Befugnisse- und -pflichten aufgebürdet wird.

Alle Szenarien der Überwachung durchgespielt

Akademische Experten zerlegen Überwachungspläne der EU, da diese alle roten Linien überschreiten würden.

Auch das neue EU-Zentrum zur Verhütung und Bekämpfung von Kindesmissbrauch ist auf diese Weise nur noch im Konjunktiv angedacht. Spätestens bei der Aussprache der Minister am 10. Oktober muss es also gewichtige Einwände wohl aus mehreren Staaten gegeben haben, denn ѕeit dem Sommer 2020 hatte Komissarin Ylva Johansson (Inneres) keine Gelegenheit ausgelassen, neue Überwachungsforderungen an die Provider aufzustellen. Erst sollten verschlüsselte Datenströme auf Hashes von bereits bekannten Fotos missbrauchter Kinder durchsucht werden, daran hatte sich auch gleich die deutsche Ratspräsidentschaft versucht.

Als das erwartungsgemäß nicht funktionierte, kam Deutschland mit seinem mittlerweile berüchtigten Motto „Sicherheit durch Verschlüsselung, Sicherheit trotz Verschlüsselung“ daher. Mit diesem PR-Slogan war gemeint, dass die Provider sichere Verschlüsselung durch Generalschlüssel aushebeln sollten. Dieses Konzept löste einen Sturm in den Sicherheits-Communities und vor allem bei den Internetfirmen aus. Die bislang letzte dieser Art von „guten“ Ideen war dann, den Serviceanbietern eine Durchsuchungspflicht von Fotos und Videos auf dem Gerät selbst - und zwar vor dem Upload und damit der Verschlüsselung - aufzuzwingen.

Pläne EU-Ministerrat

EU Ministerrat

Auch hier ist eine dieser Formulierungen (lila markiert), die deshalb so seltsam deplatziert wirken, weil keine Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Das gesamte Dokument macht den Eindruck, als hätten Kommission und Ministerrat ihr Pulver jetzt verschossen, denn alle nur denkbaren Methoden der Überwachung wurden mittlerweile durchgespielt.

„Schulhof-Kinderpornographie“

Ganz zu Beginn hatte Johansson mit einer Filterpflicht versucht, die E2E-Verschlüsselung von WhatsApp und Co unmöglich zu machen.

In diesem Absatz ist vor allem eine neu eingefügte Passage auffällig, weil sie so gar nicht zur Tonart des übrigen Dokuments passt, nämlich die Förderung von „Digital Literacy“ also von Medienkompetenz. Warum Medienkompetenz in diesem Kontext eine tragende Rolle spielt, verschweigt diese Resolution genauso wie alle anderen offiziellen Schriftstücke der EU. Inzwischen gibt es eine nämlich Erklärung für die hohen Zuwächse bei derartigen Bild- und Videomaterial in den letzten Jahren.

Während die Zahl der Gerichtsverfahren in Deutschland wegen des Besitzes bzw. der Weitergabe von „Kinderpornographischen Darstellungen“ gegen erwachsenen Täter nur marginal gewachsen ist, gehen die Anzeigen und Verurteilungen von jugendlichen und sogar minderjährigen Täter:innen mittlerweile durch die Decke. Deutsche Kriminalsoziologen schätzen, dass mindestens die Hälfte aller einschlägigen Bilder und Videos von Kindern und Jugendlichen selbst in Umlauf gesetzt und teilweise auch produziert werden. Da wird eine Dreizehnjährige von einem Jugendfilter beim Sexting mit ihrem 15-jährigen Freund erwischt; da ist ein besonders ekelhaftes Vergewaltigungsvideo, das irgendwer aus dem Darknet gefischt hat und ein jugendlicher Tunichtgut, der damit WhatsApp-Gruppen trollt; dann sind da Mutproben und die Pornovideos der Ex-Freundin, die ein rachsüchtiger Bursche verbreitet.

Der totalitäre Coup der EU-Kommissarin

Diese bedenkliche Entwicklung hin zu einem ebenso idiotischen wie gefährlichen Trend unter Jugendlichen muss der EU-Kommission, die über ausgezeichnete Statistiken verfügt, schon seit Jahren bekannt sein. Bekannt gemacht wurde das nicht, vielmehr wurden die großen Zuwächse an „Kinderpornographie“ im Netz von Kommissarin Ylva Johansson zum Versuch benutzt, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aus dem Netz zu drängen und ein Regime totaler Internetüberwachung wie in China und im Iran einzuführen.

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