FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Eine Frau und ein Mann in einem Café, der Mann greift zum Bezahlen in eine Brieftasche

©WAG Assistenzgenossenschaft/Martin Datzinger

Schwerpunkt Inklusion

Ein ganz normaler Alltag durch Persönliche Assistenz

Früher war es selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderung in eigenen Einrichtungen untergebracht wurden - auch wenn sie eigentlich mit etwas Unterstützung gut zu Hause zurechtkämen. Seit einiger Zeit ändert sich das: Durch Persönliche Assistenz gestalten behinderte Menschen ihren Alltag selbst und nehmen am gesellschaftlichen Leben teil.

Von Jenny Blochberger

Martina Dragojevič ist Bürokauffrau und hat zwei Kinder: einen 6-jährigen Buben und ein 10 Monate altes Mädchen. Momentan ist sie in Karenz. Ihr Mann arbeitet wochentags und manchmal auch samstags in Salzburg. Im Haushalt ist viel zu tun, außerdem müssen nicht nur die Kinder versorgt werden, sondern auch der Hamster und der Kater. Martina Dragojevič hat spinale Muskelatrophie, eine neuromuskuläre Erkrankung, die sie in ihrer Bewegungsfähigkeit einschränkt.

Christina Gottlieb arbeitet bei Martina Dragojevič als Persönliche Assistentin. Sie führt Tätigkeiten unter Anleitung aus bzw. teilt sich die Aufgaben mit ihrer Auftraggeberin: die Kinder morgens versorgen, den Buben in den Kindergarten bringen, das Haus putzen, Begleitung zu Terminen oder Unterstützung bei Freizeitaktivitäten. Es gibt auch noch eine zweite Assistentin; die beiden arbeiten 23,5 bzw. 30 Stunden die Woche für Martina Dragojevič.

Was macht ein*e Persönliche Assistent*in?

Das ist nicht normiert, sondern Vereinbarungssache zwischen den Auftraggeber*innen und dem*der Persönliche*n Assistent*in. Manche Menschen brauchen Assistenz beim Waschen, Klogehen und bei der Mobilität, andere bei der Kommunikation nach außen oder bei Freizeitaktivitäten. Die Anforderungen sind so unterschiedlich wie die Menschen und ihre Lebenssituationen. Wichtig ist: Der*die Auftraggeber*in bestimmt. Der*die Assistent*in führt aus. Welche Assistenzleistungen genau benötigt werden, wann und wie oft sie geleistet werden, machen sich Auftraggeber*in und Persönliche Assistent*in aus. Und: Persönliche Assistenz ist keine Pflege. Zwar können Pflegetätigkeiten auch im Rahmen persönlicher Assistenz durchgeführt werden, bei der Pflege bestimmen aber in der Regel die Pfleger*innen, was wann wie gemacht wird. Bei der PA bestimmt das der Mensch, der die Assistenzleistung in Anspruch nimmt.

Bei Martina Dragojevič geht es bei etwa der Hälfte der Assistenztätigkeiten um Kinderbetreuung. Die rollstuhlfahrende Studentin Carolina Csöngei dagegen braucht ihre Assistentin Berina Muratovic vor allem auf der Uni: Zwar ist die WU Wien barrierefrei gestaltet, aber zum Aufklappen des Laptops, zum Umblättern oder um in der Pause ein Sandwich zu kaufen hat Carolina Csöngei ihre Assistentin dabei.

UN-Behindertenrechtskonvention

Die UN-Behindertenrechtskonvention hält in Artikel 19 das Recht auf Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft fest. An dieser Stelle wird auch auf die Notwendigkeit der Persönlichen Assistenz verwiesen, die die Ausgrenzung und Isolation von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft verhindern kann. Der Unabhängige Monitoringausschuss überwacht die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich; er hält bundeseinheitliche Regelungen zur Persönlichen Assistenz für dringend erforderlich.

Welche Qualifikationen brauchen Persönliche Assistent*innen?

Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben. Gefragt sind Empathie, Flexibilität, Verlässlichkeit und Aufmerksamkeit. Bei vielen Assistenztätigkeiten ist eine gewisse körperliche Eignung erforderlich, wenn etwa der*die Auftraggeber*in gehoben werden muss. Ein Führerschein ist kein Muss, wird aber oft benötigt. Prinzipiell lernt der*die jeweilige Auftraggeber*in die PA an. Als PA ist man ausführendes Organ; man bestimmt nicht selbst, was zu tun ist, sondern wartet auf konkrete Aufträge des Menschen, der einen anstellt.

Der Slawistik-Student Matthias Schmuckerschlag etwa ist sehbehindert und hört zunehmend schlecht. Sein Assistent Martin unterstützt ihn bei Einkäufen, Haushaltserledigungen und in der Freizeit. Im Supermarkt hilft er Matthias bei der Suche nach Produkten und liest für ihn die Liste der Zutaten oder Preisschilder. Die Bezahlung hingegen macht Matthias selbst mit seinem Smartphone. Gemeinsam lesen sie auch Briefe und Magazine.

Bereits im Jahr 2014 hatten wir einen Schwerpunkt zu Persönlicher Assistenz: Da hat FM4 im Rahmen von Licht ins Dunkel den Verein reiz (jetzt: Persönliche Assistenz Vorarlberg) in Vorarlberg unterstützt, der Persönliche Assistenz angeboten hat.

Im Jahr 2017 war das Projekt P.I.L.O.T. unser Licht-ins-Dunkel-Projekt. Die Spenden der FM4-Hörer*innen wurden u.a. für Persönliche Assistenz im Rahmen des Projekts eingesetzt.

Wie ist das Arbeitsverhältnis von Persönlichen Assistent*innen?

In vielen Fällen sind die Auftraggeber*innen die Arbeitgeber*innen und stellen ihre Persönlichen Assistent*innen selbst an. Die Arbeitgeber*innen sind damit auch für die Einhaltung aller arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Grundlagen und die rechtzeitige Bezahlung des Gehalts an die Persönlichen Assistent*innen verantwortlich.

Es ist aber auch möglich, einen Dienstleister zwischenzuschalten. Diese Unternehmen haben einen Pool an Persönlichen Assistent*innen, aus dem Menschen mit Behinderungen PAs auswählen können. Die Verträge (meist freie Dienstverträge) laufen dann zwar über den Dienstleister, die Rahmenbedingungen des Assistenzverhältnisses – Dienstpläne, Tätigkeiten etc. - klären aber Auftraggeber*in und PA miteinander.

Martina Dragojevič erstellt den Dienstplan einen Monat im Voraus, aber manchmal passieren eben Dinge spontan, vor allem mit Kindern, oder es wird jemand krank. Diese Situationen sind sehr schwierig, denn ohne Assistenz funktioniert der normale Tagesablauf plötzlich nicht mehr. Flexibilität und vor allem Verlässlichkeit sind also gefragt.

Eine Frau streicht in einem Badezimmer für eine zweite Frau Zahnpasta auf die Zahnbürste

©WAG Assistenzgenossenschaft/Martin Datzinger

Wie finde ich einen Job als Persönliche Assistent*in?

Oft inserieren Menschen mit Behinderungen direkt auf Jobplattformen, Stellenangebote findet man aber auch auf den Webseiten der Dienstleister (s. Linkliste unten).

Am 03. Mai ist Inklusions-Schwerpunkt auf FM4. In FM4 Auf Laut von 21-22 Uhr bei Claus Pirschner kommen Menschen mit Behinderungen zu Wort, die über ihr Leben mit Persönlicher Assistenz sprechen.

Wir freuen uns, wenn ihr anruft, mitdiskutiert und mit uns eure Geschichten teilt. Die Nummer ins Studio ist 0800 226 996.

Arbeit, Schule, Freizeit

Persönliche Assistenz in Arbeit und Schule wird unter bestimmten Voraussetzungen finanziert; dafür gibt es eine österreichweit gültige Regelung. Die Finanzierung von Persönlicher Assistenz im Privatleben ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Wie viele Assistenzstunden jemand bekommt, hängt in der Regel von dessen Unterstützungsbedarf ab.

Martina Dragojevič versteht sich sehr gut mit ihren beiden Assistentinnen - eine Grundvoraussetzung für ein Arbeitsverhältnis, das vorwiegend in einem derart intimen Bereich stattfindet wie dem eigenen Haus. Eine wichtige Anmerkung hat sie aber: Persönliche Assistenz ist trotz allem eben ein Arbeitsverhältnis und sollte nicht zu freundschaftlich werden. Denn sonst verschwimmen die Grenzen. Der Assistentin sagen, wie sie das Klo putzen soll, ist Arbeitsalltag; bei der Freundin hat man schnell Skrupel. Das Wichtigste ist also: Vertrauen sollte da sein, aber auch eine deutliche Abgrenzung zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in.

Wer vermittelt Persönliche Assistenz?

Die folgenden Stellen sind eine Auswahl von Dienstleistern, die Persönliche Assistenz vermitteln. Dorthin kann man sich wenden, wenn man Assistenz braucht – oder wenn man seine Dienste als Persönliche*r Assistent*in anbieten möchte.

Wien, NÖ, Burgenland: WAG Assistenzgenossenschaft
Wien
Niederösterreich
Burgenland

Salzburg: Verein Knackpunkt

Oberösterreich: Persönliche Assistenz GmbH
Miteinander GmBH

Kärnten: Beratungs-, Mobilitäts- und Kompetenzzentrum (BMKz)

Tirol: Selbstbestimmt Leben Tirol

Vorarlberg: Servicestelle Persönliche Assistenz

Steiermark: Selbstbestimmt leben Steiermark
Online-Plattform ava
Verein Wegweiser

Wien, NÖ, Burgenland & Steiermark: Assistenz24

Österreich: Selbstbestimmt Leben in Österreich

Wien: PAV persönliche assistenz gemeinnützige GmbH

mehr Politik:

Aktuell: