FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Zug in den Schweizer Alpen

CC0 via Pixabay

interview

Nachhaltiges Welterleben: Wie geht klimafreundliches Reisen?

Jeder Mensch dürfte nur einen einzigen Flug in seinem Leben machen, wenn wir unser CO2-Budget einhalten wollen. Doch können wir auch nachhaltig reisen, um das Klima und die Welt zu bewahren? Maria Kapeller, Autorin des Buches „Lovely Planet“ hat Antworten darauf.

Von Gersin Livia Paya

Die Texterin, Journalistin und Autorin Maria Kapeller lebt am Land in Salzburg. Die nächste S-Bahn-Station liegt zwei Kilometer entfernt und das ganz ohne Auto. Sie ist auch Langsamreisende aus Leidenschaft. „Ich mache alles zu Fuß, mit dem Rad und mit dem Zug.“ Trotzdem: Die Zeit der Billigflieger hat sie „absolviert“ und letztlich zum Nachdenken gebracht. Denn als Reisejournalistin war sie viel mit Blogger:innen unterwegs und hat sich irgendwann gefragt „Was machen wir da eigentlich? Wir behaupten ja so gern, wir schauen uns die fremden Kulturen an, aber würden wir uns Thailand genauso gern anschauen, wenn dort die Preise auf westlichem Niveau wären? Ich glaube nicht.“ Es ist nicht nur der persönliche CO2-Fußabdruck sondern auch das eigene Werteverständnis, das man von zu Hause in die Ferne mitnimmt. Was können wir also in Zukunft besser machen, um die Welt zu bewahren? Wir sprechen mit der Autorin von „Lovely Planet“ darüber.

Maria Kapeller vor einem Fluss

Jasmin Walter

Gersin Livia Paya: Du schreibst in deinem Buch davon „mit dem Herzen zu reisen und die Welt zu bewahren“, wie meinst du das?

Maria Kapeller: Wir sind beim Reisen immer mit sehr viel Begeisterung unterwegs. In Anlehnung an einen Philosophen, mit dem ich gesprochen habe, müsste man dem Herzen erlauben, auch den Verstand einzuschalten und das Reisen nicht nur über die Begeisterung definieren. Es geht nicht nur um die persönliche Bereicherung. Die Eigenschaft, beim Reisen begeisterungsfähig und offen zu sein, kann man auch nutzen, um das Reisen neu zu denken. Also mit dem Herzen reisen heißt natürlich auch erst einmal dankbar sein für das, was ich überhaupt schon gesehen habe, und dass ich überhaupt reisen kann. Weil ganz viele Menschen können das einfach nicht. Der Großteil der Weltbevölkerung hat nie einen Flieger von innen gesehen. Dieser Zugang ist die Idee dahinter, mit dem Herzen zu reisen.

Stichwort Flugzeug: Das neue Buzzword „terran“ - also ohne Flugzeug zu reisen, ist das schon lange in deinem Sprachgebrauch?

Ich werde in letzter Zeit immer wieder darauf angesprochen und halte es für einen passenden Begriff. Und glaube auch, dass sich das etablieren kann und dass ich mich dann vielleicht auch daran gewöhnen werde. Ich persönlich brauch solche Begrifflichkeiten nicht, aber ich glaube viele Menschen brauchen das einfach, damit sie sich an etwas halten können, dass sie vielleicht Teil eines Trends sind. Es wirkt entlastend für das eigene Gehirn wenn man weiß, der Flieger kommt jetzt nicht in Frage weil ich bin jetzt „Terranerin“ oder „Terraner“. Ich glaube, es ist schon sinnvoll.

Ohne Flugzeug zu reisen ist nichts Neues. Ist „terran“ nur ein neues Marketing-Wort? Wieso braucht es ein neues Wort dafür?

Das ist etwas, das in meinem Buch vorkommt, dass wir Menschen immer das tun, was alle tun, was unser Umfeld tut. Da kommen wir gar nicht richtig aus. Unser Gehirn orientiert sich immer an dem, was schon da ist und was der Standard ist, auch wenn es bedeutet, um die Welt zu fliegen und sich nicht um die Folgen zu kümmern. Und unser Gehirn hat ja nur eine gewisse Kapazität, die wir für den Alltag brauchen. Deswegen ist es schon wichtig, neue Standards zu setzen, weil eine Verhaltensänderung ohne diese scheinbar nicht gelingt. Und am Beispiel Veganismus kann man das sehen, Das hat ja auch eine Weile gedauert, bis er jetzt zumindest ein Stück weit etabliert ist.

Manche Leute brauchen das, sich nach Trends zu richten. Und das ist zumindest ein Trend, der der Umwelt mal nicht schadet, sondern eher das Gegenteil.

Aber es geht nicht um Trends. Es geht schon darum, eine Gegenerzählung zu machen. „Du fühlst dich nur dort wohl am Strand, wo dieser Film gedreht wurde“, - das sind ja total gängige Klischees, die kommen ja auch vom Marketing, also muss man quasi diese „Marketing-Waffen“ aufgreifen. Es ist psychologisch betrachtet wahrscheinlich die bessere Herangehensweise es positiv zu besetzen also anstatt dem Flug Shaming einfach „terran“ zum Trend zu machen.

Buchcover von "Lovely Planet" von Maria Kapeller

Kremayr & Scheriau

„Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren“ von Maria Kapeller ist bei Kremayr & Scheriau erschienen.

Mehr zum Thema:

Fliegen und das schlechte Gewissen„Terran“ – ein neues Wort soll eine neue Realität schaffen, so ähnlich wie „vegan“. Es bedeutet Reisen ohne Flugzeug aus ökologischen Gründen. Es stellt sich die Frage, ob sich fortan alle schämen müssen, die noch fliegen – und was der mögliche Wegfall von Fernreisen für das kulturelle Selbstverständnis der Menschen bedeutet.

In deinem Buch „Lovely Planet“ und in deiner Arbeit sprichst du mit Philosoph:innen, Psycholog:innen, Forscher:innen und du rufst auch alle dazu auf, Fragen zu stellen. Welche ist denn die wichtigste Frage, wenn ich nachhaltig reisen möchte?

Die allerwichtigste Frage ist nach den eigenen Werten. Bin ich ein Mensch, dem Umweltverträglichkeit wichtig ist? Ich muss schon meine eigenen Werte kennen. Und wenn mir das wichtig ist und ich mich z.B. auch mit den Fakten des Fliegens beschäftige, dann komme ich womöglich zu einer anderen Entscheidung, als ich es vielleicht jetzt noch mache. Warum reise ich und was bewirken eigentlich meine Reisen? Reisen ist ja ein sehr egomanisches Verhalten. Wenn man sinnvoll reisen möchte, muss man immer auch fragen: Ja, was bewirkt eigentlich meine Reise? Also nicht nur einseitig wahrzunehmen, was ich selbst davon habe.

Du sprichst auch die Kosten an: Wer kann es sich leisten, so lange Strecken im Zug oder Übersee per Schiff in den Urlaub zu fahren? Also wer hat dieses Privileg der Zeit? Oder ist es nur etwas, das eben nur Privilegierte haben können?

Reisen ist ein Privileg. Auch in Österreich können nicht alle Menschen reisen. Ein Teil der Bevölkerung kann sich mehrere Fernreisen im Jahr gönnen und andere können sich vielleicht alle zwei Jahre einen Flug nach Mallorca leisten. Die einen sind da viel privilegierter und durch ihr Handeln richten sie sozusagen auch mehr Schäden an. Ich finde, sie sind auch mehr in der Verantwortung. Diese vielreisende Elite nennt man jetzt sozusagen „die umweltbesorgten Klimasünder“. Sie sind zum Teil sehr oft gut gebildet, haben vielleicht ein Auslandssemester gemacht, kaufen Bio-Gemüse, und machen sich viele Gedanken ums Klima.

Aber gerade sie leben oft in unsanierten, großen Altbauwohnungen und steigen oft ins Flugzeug. Das heißt, die Privilegierten wären aus meiner Sicht sowieso schon mehr in der Verantwortung. Sie haben auch mehr Zeit und Geld, können es sich besser einrichten, um eben solche langen Reisen zu machen, mit dem Zug, mit dem Schiff und so weiter. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir sowieso zu mobil sind, dann sollten wir einfach auch ein Stück weit weniger reisen und wenn dann viel länger und gezielter. Dann können sich das nicht nur ökonomisch privilegierte und digitale Nomaden leisten. Und darüber hinaus ändert sich ja auch die Arbeitswelt: Stichwort Homeoffice. Man kriegt mal länger am Stück frei, man kann mal ein Sabbatical machen. Also alle paar Jahre eine längere Reise zu planen, wäre ein guter Zugang. Und derjenige, der sowieso nur eine Woche im Jahr Zeit hat fürs Reisen, sollte überlegen, in welchem verträglichen Radius er unterwegs sein kann und möchte.

Wir haben alle die Erholung verdient aber es ist kein Menschenrecht zu fliegen.

Du bist selbst mit Zug und Schiff nach Marokko gereist und dann zurück geflogen. Wann sind die Momente, wo du sagst, da kann man jetzt fliegen oder kann man das überhaupt so sagen?

Ja, ich glaube schon, dass das jeder selbst wissen muss. Deswegen plädiere ich dafür, die eigenen Werte zu kennen. Rein rechnerisch darf man sowieso pro Menschenleben fast gar nicht fliegen, also vielleicht einmal einen Fernflug im Menschenleben oder 2, 3, 4 kürzere Flüge. Das wäre alles, wenn man die Klimaziele erreichen möchte und das weltweite CO2-Budget sozusagen fair auf jeden Menschen in der Welt aufteilt. Es geht nicht um unser Ego und nicht um die persönliche Bereicherung, sondern um den Planeten.

Auszug aus dem Buch „Lovely Planet“: "Laut Pariser Klimaziel soll die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden. Um das zu erreichen, dürfte jeder Mensch auf der Welt nur mehr rund zwei Tonnen CO2 pro Jahr emittieren. EU-Bürgerinnen und -Bürger konsumieren mit acht bis neun Tonnen pro Jahr durchschnittlich vier Mal so viel CO2. Der weltweite Durchschnittsverbrauch liegt bei rund vier Tonnen CO2 pro Jahr, also immer noch doppelt so hoch wie das berechnete Maximum.

Ich glaube, jeder kann da seinen eigenen Zugang finden: Vielleicht fliegt man weiter so, wie man möchte, und setzt sich dafür ein, dass das CO2-Konto geschaffen wird oder gegen Überreichtum. Weil die Reichen ja auch sehr viel zu den CO2-Emissionen beitragen. Und die Frage ist auch: Warum ist uns das Reisen so wichtig? Ich glaube, da stimmt einfach etwas nicht in unserer Gesellschaftsstruktur und in unserer Lebensgestaltung. Wir verhalten uns einfach nicht artgerecht und deswegen wollen wir dann irgendwie immer weg, weil wir da endlich mal Sein dürfen, sozusagen. Der wichtigere Ansatz wäre die Reise nach innen.

Was forderst du noch an konkreten Verbesserungen für terranes Reisen?

Strukturelle Veränderung. Dass man sich irgendwann nicht mehr an eine Flugsuchmaschine setzt und ganz selbstverständlich nach einem Flug sucht, sondern dass es dann halt die Zugsuchmaschine ist. Grenzüberschreitendes Reisen und Buchen auf dem Landweg muss einfacher und übersichtlicher werden. Daran wird aber auch gearbeitet.

Zug fährt entlang einer Küste

CC0 via Pixabay

Aber ich glaube, man kann nicht immer nur alles auf „die da oben“ schieben, sondern es geht auch um eine Veränderung im Bewusstsein. Wir können nicht nicht immer nur Forderungen stellen.

Der Umweltpsychologe Sebastian Seebauer hat mir erklärt, dass es immens wichtig ist, konkret ins Tun zu kommen und zu sehen, dass es funktioniert. Dann geht es darum, Gelungenes weiterzuerzählen und es nochmal zu probieren. Es ist normal, auch mal dabei zu scheitern.

Aber wenn man nicht ins Tun kommt und immer nur darauf wartet, dass alles möglichst supertoll funktioniert, kann man wahrscheinlich ewig warten.

Für eine systemische Änderung braucht es ein Fordern von uns und ein Mittragen. Hier sind wir als reisende Gesellschaft gefordert.

FM4 Auf Laut: Was hältst Du vom „terranen“ Reisen?

Ein neues Buzzword geistert durch die Medien: „terran“ leben. Mit dem Klimaschutz im Blick soll terranes Reisen den eigenen CO2-Fußabdruck verringern und mehr Klimagerechtigkeit schaffen. Möglich werden soll dies durch die ausschließliche Fortbewegung mit terranen Verkehrsmitteln wie Zug, Bus, Fahrrad oder gar zu Fuß, selbst auf weiten Strecken.

Doch wie gut funktioniert aktuell das länderübergreifende Bahnfahren nach Portugal, Schottland oder ans Schwarze Meer? Oftmaliges Umsteigen, hohe Fahrtkosten, umständliche Zugticketbuchungen: Wie attraktiv ist das terrane Reisen im Zug über weite Strecken, solange es in Europa etwa kein einheitliches Schienennetz gibt? Unter welchen Umständen wäre es vorstellbar, heuer im Sommer aufs Fliegen zu verzichten und terran zu verreisen? Was hältst du davon und wie vereist du?

Claudia Unterweger spricht in FM4 Auf Laut mit Elias Bohun von Traivelling, mit Bernhard Rieder von ÖBB und mit Anrufer:innen über den terranen Lebensstil und nachhaltige Mobilität. Anrufen und mitdiskutieren am Dienstag, 17.5. ab 21 Uhr. 0800226996 ist die Nummer ins Studio, ruf an und diskutier mit!

mehr Umwelt:

Aktuell: