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Portraitfoto EsRAP

Tim Cavadini

EsRAP lassen auf „Mamafih“ die Gefühle sprechen

Ein Leben der Migrationsgesellschaft, Erfahrungen mit Rassismus und Fremdenhass, Einschränkungen in der eigenen Community. Das alles haben EsRAP schon immer in ihren Raps mit Kraft und Wut thematisiert. Das neue Album „Mamafih“ zeigt diesmal die verletzliche, weiche Seite dahinter.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Als Esra und Enes Özmen sich zum Rap- und Gesangsduo EsRAP zusammengetan haben, war eines klar: Das Geschwisterpaar wollte sich und ihrer türkischstämmigen Community Gehör verschaffen. Die harten Raps von Esra und der emotionale, oft verzweifelt klingende, arabeske Gesang von Enes haben von Diskriminierung, Klassenkampf, institutioneller Demütigung und Fremdenhass gesprochen.

EsRAP haben es dabei verstanden, auch in den schwierigsten Situationen ihre Energie zu bündeln und Stäke zu demonstrieren, um trotzdem ein „Ausländer mit Vergnügen“ zu sein. Jetzt, elf Jahre später, haben sich viele Dinge für die Musikergeschwister zum Besseren gewandt, und so war während der Pandemie auch die Zeit und Unausweichlichkeit, sich mit den tiefergehenden Gefühlen zu beschäftigen. Das Ergebnis ist „Mamafih“, ein diverses, abwechslungsreiches, streckenweise weiches und sehr gefühlsbetontes Album.

Die Einsamkeit dahinter

Der Song „Aman“, rein auf türkisch gesungen, macht eine bis dahin noch nicht erfahrene Seite von EsRAP hörbar. Sanft und zurückgelehnt singt diesmal Esra und rappt Enes zu weichen Beats und orientalischen Harmonien. Es geht um das Verlorensein, das zwischen den Welten leben. Diese Gefühlsinnenschau hat Max Berner mit dem Unterwasservideo perfekt umgesetzt.

Albumcover EsRAP "Mamafih"

Tim Cavadini

Esra: „In der Coronazeit habe ich sehr viel Wut gespürt. Ich habe nicht gewusst, was mit mir los ist. Es war eine Phase, wo wir alle unsere Themen nicht verdrängen konnten. Zum ersten Mal war ich in mich gekehrt, um zu schauen, woher diese Gefühle kommen. Wir haben immer über unseren Migrationshintergrund und die Probleme gerappt. Aber wir haben uns für dieses Album gefragt: Was haben diese Erfahrungen mit uns gemacht? Sind wir selbstbewusst und selbstsicher? Haben wir unsere Identität gefunden? Habe ich Ängste von meinen Erfahrungen bekommen? Was hat das alles bei mir gemacht? Und so ist unsere eher weiche Seite zum Vorschein gekommen.“

Auf dem zweiten Album „Mamafih“ hat Esra auch zum ersten Mal einen rein gefühlsbetonten Song geschrieben. „Lieb meinen Winter“ ist ein Lied darüber, seine dunklen Seiten zu akzeptieren und Schmerz und Trauer anzunehmen. Ein zutiefst persönliches Stück, das keine vordergründig politische Message bietet.

Esra: „Wir haben bei diesem Album viel ausprobiert. Trap, House, ich hab’ gesungen, Enes hat gerappt. Wir haben über tiefgehende Themen geredet und ein Song wie ‚Lieb meinen Winter‘ ist für mich ein sehr emotionaler Song, den ich so noch nie gemacht habe. Es war wichtig, raus aus der Komfortzone zu gehen. Und irgendwann dachte ich: Enes, das Album ist einfach wie unsere Identität. Es ist ein Mischmasch.“

Vom Leben in Tschuschistan

Es wären nicht Esra und Enes, wenn in diesem „Mischmasch“ nicht auch die politischen Dimensionen ihres Lebens sich widerspiegeln würden. Ein Song wie „Welche Regeln gelten hier“ ist eindeutig ein Aufmerksam-machen auf alltägliche Benachteiligungen, die Migrant*innen in Österreich immer noch erfahren.

Enes: „In Wien ist es sehr schön. Aber leider gibt es Gesellschaftskreise, wo es ganz anders aussieht. Ich bin meinen Cousin im Gefängnis besuchen gewesen. Die einzig ‚weißen‘ Menschen die ich gesehen habe, waren die Justizwachen. Sonst habe ich nur Migranten gesehen. Wir haben auch in einer Sonderschule Workshops gegeben und nachdem die Kinder unserem Anschein nach weder körperlich noch psychisch krank gewirkt haben, habe ich nachgefragt. Die Lehrerin hat mir gesagt, es sind alles Migrantenkinder, die nicht gut Deutsch können. Wir haben uns dann gefragt, wo leben wir jetzt? Draußen am Karlsplatz und Stephansplatz ist alles schön, aber was passiert hier in der Schule?“

Selbst Esra erfährt Schikanen immer noch in ihrem Alltag. Wenn sie bei sogenannten „Stichproben“ mit dem Auto aufgehalten wird, etwa. Vor Kurzem ist es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, weil EsRAP sich zu einer unbedachten Aussage gegenüber der Polizei hinreißen haben lassen. Der Anwalt, der sie vertreten hat, wollte im Anschluss an die Verhandlung kein Geld, sondern dass das Geschwisterpaar einen Song darüber macht, bei Schikanen oder provokativ gestellten Fragen der Polizei keine unbedachten Aussagen zu machen, die später eine Anklage nach sich ziehen könnten. EsRAP planen ein „Aufklärungsvideo“ zu dem Song „Keine Aussage“, damit anderen nicht das gleiche passiert, wie dem Rap-Duo.

Live-Tipp:
EsRAP präsentieren ihr neues Album „Mamafih“ live am Freitag 1. Juli am Yppenplatz, wo sie Ottakring wieder zu ihrer Heimat „Tschuschistan“ ausrufen.

EsRAP können aber auch gut über sich selbst und mit ihrer Community humorvolle Tracks machen. In „Wir haben recht“ spielt Enes mit dem Klischee der gefühlsgetriebenen Auseinandersetzungen, bei denen oftmals der Geduldsfaden reißt.

Enes: „Wir Migranten haben oft nicht so eine Diskussionskultur wie Österreicher. Ich habe bemerkt, dass Wiener sich zu einem Job-Treffen gut vorbereiten und dann kommen sie mit ihren Punkten und Argumenten. Ich habe dann überhaupt keine Chance gehabt. Dann geht halt auch manchmal mein Temperament mit mir durch und dann kommt eben ein Satz wie ‚wir haben recht‘ heraus.“

Kunst kann die Welt verändern

Als Esra 18 und Enes 14 war, meinten viele zur Rapperin, sie solle aufhören und dem „Mann“ das Rappen überlassen, da sie eh bald heiraten würde. Mittlerweile hat Enes geheiratet und Esra ist mit ihrem Rap bekannter und anerkannter als je zuvor. Dazu haben sicher auch ihr Live-Auftritt bei der Eröffnung der Wiener Festwochen und das Kuratieren des Wiener Popfests beigetragen. So hat es sich auch in der türkischen Community herumgesprochen, dass ein „Künstler“ oder eine „Künstlerin“ nicht unbedingt jemand sein muss, der wie ein Besserwisser einem die Welt erklärt. Dieses weitverbreitete Urteil in EsRAPs Umfeld hat sich in den letzten Jahren immer mehr gewandelt.

Lese-Tipp:
2019, als EsRAP ihr Deüt „Tschuschistan“ erscheinen ist, hat Florian Wörgötter das geschisterpaar durch ihren Heimatbezirk Ottakting begleitet. Nachzulesen mit viele schönen Fotos in der Beitrag: „FM4 Im Viertel: Mit EsRAP durch das Brunnenviertel aka Tschuschistan

Esra: „Das hat sicher damit zu tun, dass meine Mutter immer hinter mir und meiner Kunst gestanden ist. Jetzt treffe ich 50- oder 60-jährige Frauen auf der Straße, die mich ansprechen und sagen: Esra, du rappst. Gott sei dank! Mach weiter. Das liegt auch daran, dass ich Kunst studiert habe und meine Umgebung gemerkt hat, dass ich für migrantische Themen kämpfe. So kommen viele auf mich zu und sagen mir, dass ihre Kinder auch im Alltag Probleme haben. Sie merken langsam, dass Kunst etwas bewirken kann. Also bekomme ich zur Zeit sehr viel Unterstützung.“

EsRAP schaffen auf „Mamafih“ sowohl Missstände und Probleme, als auch die Verletzlichkeit und die entstandenen Narben, die ein Leben als Migrant*in mit sich bringen, aufzuzeigen. Zwischen dem Ausdruck des Schmerzes und der geballten Energie, für Veränderung zu kämpfen, pendeln die Songs textlich wie auch musikalisch. Das macht „Mamafih“ zu einem sehr abwechslungsreichen Album, das bei all seiner Schwere immer wieder mit humorvoller Selbstbetrachtung auch eine gewisse Leichtigkeit transportiert. Der Track „Artist“ fasst diese Vielschichtigkeit gut zusammen. Ein pumpender Song, der mit Klischees ebenso spielt, wie auch das gesundete Selbstbewusstsein des Geschwisterpaares hör- und sehbar macht.

EsRAP sind und bleiben einer der wichtigsten Sprachrohre der türkisch-österreichischen Community und haben es darüber hinaus mit ihrem neuen Album geschafft, durch ihre Offenheit auch die verletzliche Seite zu zeigen und haben dadurch wieder mehr an Tiefe gewonnen.

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