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Vulvastatuen

Claudia Plattner, Träumerherz Fotografie

Mit Vulvastatuen gegen das Tabu

Zu lang, zu dunkel, zu faltig? Diese Fragen hört Viktoria Krug in ihrer Arbeit häufig. Mit Vulvarium macht sie „Vulvacastings“, also Gipsabdrücke von den Vulven ihrer Kund*innen und erlebt die Unsicherheit und Scham um dieses Körperteil fast täglich. Mit Vulvarium will Viki das Stigma um die Vulva aufbrechen, einen entsexualisierten Blick auf ein sexualisiertes Körperteil ermöglichen.

Von Diana Köhler

Lange war das Thema Vulva für Viktoria, Viki, Krug sowas wie ein blinder Fleck. Heute ist die Auseinandersetzung mit dem Körperteil ihre tägliche Arbeit. Mit Vulvarium hat sie in fast 3 Jahren um die 900 Vulven abgeformt, in Gips gegossen, kleine Statuen daraus geschliffen und bemalt. Die erste war ihre eigene, ein Selbstversuch aus Neugierde – aber auch Empörung: „Ich musste erst 27 Jahre alt werden, um zu checken, was ich in der Hose habe und wie unterschiedlichen Vulven ausschauen können. Das hat mich echt geschockt!“

Das Ergebnis ihres Experiments postet sie in einer Gruppe auf Facebook in der sich Frauen vernetzen können. Nach und nach haben sich immer mehr Personen bei Viki gemeldet und wollten auch eine Statue der eigenen Vulva haben. Aber warum soll man das wollen?

Viktoria Krug

Claudia Plattner, Träumerherz Fotografie

Viktoria Krug hat Biologie studiert und betreibt seit drei Jahren das Vulvarium in Graz. Regelmäßig geht sie auch auf Tour durch Österreich und Europa.

Die Gründe sind sehr unterschiedlich erzählt sie. Manche kommen, um sich eher selbst zu feiern, sind zufrieden mit ihrem Körper, wissen über Anatomie und Sexualität Bescheid und wollen das durch eine Vulvastatue ausdrücken. Andere Personen sind eher unsicher, haben schon über eine Operation nachgedacht oder fühlen sich unwohl beim Sex. Auch einige Transmänner sind bei Viki schon auf der Couch gesessen, erzählt sie. Ihr ist es wichtig zu betonen, dass eine Vulva nichts mit dem Gender einer Person zu tun hat. Jede Person mit einer Vulva sei willkommen.

Für Viki selbst ist die Statue eine kleine Rebellion: „Die Vulva ist ein Körperteil, das immer versteckt wird, immer in ein Eck gestellt tabuisiert und mit Scham besetzt wird. Die Vulvastatue steht für mich für ganz viel Mut und Wertschätzung meinem Körper gegenüber. Es hilft mir, meine Vulva als was Schönes zu sehen, etwas, das ganz viel Power geben kann.“

Vulva-OPs nehmen zu

Die Vulva sei ein Körperteil, das viel Lust, viel Freude aber auch ganz viel Sorge beschert. Gleichzeitig werde wenig darüber gesprochen. Bei den Vulvacastings soll all diesen Themen Raum gegeben werden, für die sonst eher weniger Platz ist: Masturbation, Sexualität, der Zyklus, Dinge wie Ausfluss, Zervix, Schleim, alles, was dazugehört. Die Verunsicherung wie eine Vulva auszuschauen hat, ist riesig, sagt Viki.

Vulvastatuen

Claudia Plattner, Träumerherz Fotografie

Die International Society of Aesthetic Plastic Surgery sammelt jedes Jahr Daten von mehr als 1000 ästhetischen Chirurg*innen aus 106 Ländern. Labioplastik, also das Kürzen und Modellieren der inneren Vulva-Lippen hat extrem zugenommen. Von 2015 bis 2019 ist die Häufigkeit der Labioplastik sogar um 73% gestiegen. Für Viki Krug ist das ein Symptom von Unwissen und fehlender Aufklärung.

Schaut man sich in der Wohnung von Viki Krug um, dann merkt man: Lange innere Vulvalippen sind absolut nichts Seltenes. Überall stehen fertige oder halbfertige Statuen in den verschiedensten Variationen.

Vulvastatuen

Claudia Plattner, Träumerherz Fotografie

Porno oder Aufklärung?

Mit Vulvarium ist Viki selbstständig, bürokratisch gab es so einige Hürden für sie und ihre Tätigkeit. Sie fällt damit immer noch in die Kategorie Pornografie. Hat sie rechtliche Fragen zum Selbstständig-sein oder zum Beispiel Datenschutz trifft sie oft auf fragende oder beschämte Gesichter. Auch auf Instagram werden ihre Fotos häufig zensiert oder es wird gedroht, ihren Account zu löschen. „Es wird leider immer noch nicht unterschieden zwischen Pornografie und Aufklärung“, sagt Viki.

Jede Person muss vor dem Vulvacasting ein Datenschutzformular ausfüllen und kann angeben ob und wo ein Foto oder eine Kopie der Statue verwendet werden darf. Immer wieder würden sich auch Lehrpersonen bei ihr melden und nach Statuen für den Unterricht fragen. Aber auch das kann heikel sein, da nicht viele Eltern dieser Art von Aufklärungsunterricht zustimmen.

„Kann ich dir ein Foto von meiner Vulva schicken?“

Fast täglich bekommt sie DMs über Instagram, in denen ihr vor allem jüngere User ihre Probleme rund um die Vulva erzählen: „Ich bin da unten falsch, ich will mit niemandem schlafen, das schaut nicht gut aus. Das sind Nachrichten, die ich bekomme.“ Manche fragen sogar, ob sie Viki ein Foto ihrer Vulva schicken können, damit sie beurteilt, ob auch alles stimmt, „da unten“. In solchen Fällen lehnt Viki ab und schickt stattdessen ein paar Links von vertrauenswürdigen Aufklärungsseiten. Aber man sehe an diesen Nachrichten gut, wie sehr das Gespräch und der Raum für solche Fragen fehle: „Ich frage mich dann, warum haben diese Leute niemanden, mit dem sie darüber reden können? Da sind einfach so viel Angst und Scham.“

Über diese Angst und Scham müsse gesprochen werden, findet Viki. Die Statuen sollen dafür einen Raum eröffnen. Nicht nur öffentlich, sondern auch für jede Person selbst. Vikis Statue steht neben ihrem Schreibtisch und auch sie selbst bringt das immer wieder zum Nachdenken: „Sie ruft dann richtig zu mir herüber! Viki, Viiiiki, denk doch mal daran, wie geht’s mir zurzeit, hast du dir schon deinen Gynäkologinnen-Termin ausgemacht? Dabei will ich vieles vielleicht selbst lieber verdrängen!“

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