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08.03.23 Neues Sleaford Mods Album "UK Grim"

Ewen Spencer

Sleaford Mods und ihr neues Album „UK Grim“

Schimpfen und Poltern für das Gute. „UK Grim“ ist das neue Album des Elektro-Punk Duos Sleaford Mods aus Nottingham. Im Frühsommer kommen sie für einen Gig nach Österreich

Von Christian Lehner

Die Situation ist absurd und auch ein wenig aussichtslos. Je steiler es mit dem United Kingdom bergab geht, desto steiler zeigt die Karriere der Sleaford Mods nach oben. Sänger und Texter Jason Williamson hat sich im Pop längst als ein wortgewaltiger Kritiker der britischen Verhältnisse etabliert. Das neue und 12. Album der Sleaford Mods mit dem Titel „UK Grim“ wird international gefeiert. Währenddessen zeigt der Fall Lineker, wie tief die regressive Politik der Post-Brexit-Regierungen mittlerweile in die Institutionen des Landes eingesickert ist. „Das Land und seine Politiker waren immer schon korrupt“, erzählt Jason Williamson im FM4-Interview, „aber ich glaube, niemand hat damit gerechnet, wie ungeniert sich dieser neue Rechtsaußenkonservatismus an den Schatzkammern der Gesellschaft bedient. Sie versuchen es nicht einmal mehr zu verbergen. Es ist wie in einer schlechten Serie.“

„In England nobody can hear you scream!“ UK-Grim

Im Titel gebenden Stück „UK Grim“ skandiert Williamson: „In England nobody can hear you scream. You are just fucked, lads!“ Dabei reflektiert “UK Grim” nicht einmal das gegenwärtige UK der leeren Gemüse und Obstregale und der Regierung Rishi Sunak, denn das Album wurde bereits Ende 2021 aufgenommen. Aber vom Sitz des englischen Regierungschefs an der berühmten Adresse „Downing Street 10“ erwartet Williamson schon länger nichts Gutes mehr. So heißt es weiter im Titel-Track: „Big banger, number 10 can’t gimme that Bruce Banner /I got crisis stamina, full marathon, four poo breaks /I can feel the shit from your crisis rays”.

Immerhin blieb noch genug Zeit, Sunak in das begleitende Musikvideo von „UK Grim“ zu montieren. Hier erwartet den Zuseher eine Gruselparade in Collagenform. Am Anfang sieht man die Klischees eines idyllischen alten Britanniens mit Bobbies auf Rädern und Picknicks am kurz geschnittenen Rasen. Dann taucht mit Nigel Farage ein wesentlicher Initiator der Brexit-Kampagne auf und schon öffnet sich der Abwasserkanal.

Von Teekesseln und Abwasserkanälen

Was wäre eigentlich, so die Frage, wenn sich die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf einen Schlag verbessern würden? Wären die Sleaford Mods nicht ihrer Existenzgrundlage beraubt? Klar, die Frage ist eine theoretische, denn so wie es aussieht, wird der britische Teekessel noch lange aus dem letzten Loch pfeifen. Und eine sich dezidiert als links verstehende Band kann sich doch nur die Verbesserung der sozialen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wünschen.

Williamson antwortet dennoch etwas vage, dass man sich immer der gegenwärtigen Situation stellen müsse und die Mods ohnehin keine aktive Agenda hätten. Außerdem ist da ja auch noch ein gewisser Jason Williamson, sollte der externe Bullshit zu stinken aufhören. Der Sleaford-Mods-Kopf ist eine fixe Größe in den Lyrics der Sleaford Mods geworden. Auf keinem anderen Album fällt der Vorname „Jason“ so oft wie auf „UK Grim“.

08.03.23 Neues Sleaford Mods Album "UK Grim"

Ewen Spencer

Sleaford Mods: Andrew Fearn (Produktion) und Jason Williamson (Text, Gesang

Williamson reflektiert seine Funktion und seinen Status in dem ihn umgebenden Grind. Das war bereits am letzten Album „Spare Rips“ (2021) hörbar. Das Album kletterte bis auf die Nummer vier der britischen Charts. Da war das schmucke Familienhäuschen in Nottingham längst gekauft. Williamson muss sich nicht mehr von Baked Beans aus der Dose ernähren. Der 52-jährige Familienvater bäckt jetzt lieber Kuchen und lässt seine Fans via Instagram als „Baking Daddy“ daran teilhaben.

„Ich bin ja nicht anders wie die anderen“, sagt er. „Auch ich habe meine Taktiken, mich im Alltag zu betäuben. Früher waren das Drogen, heute sind es Klamotten.“ Williamson und Fearn haben diversen Rauschmitteln abgesagt und sogar die Bierdose aus dem Logo der Band verbannt – gelegentliches Microdosing ausgenommen. Der Saft der Sucht hört jetzt auf den Namen Kaffee.

Selbstgespräche und DIY-Phonies

Zurück zur Jason-Sache. „Ich glaube, jeder redet mit sich selbst“, sagt Williamson. „Für mich ist es auch eine Form des Songwritings. Es hilft mir, Szenarien zu kreieren und es spart Zeit (lacht). Es ist aber auch ein Zeichen von Angst, Beklemmung und Einsamkeit.“ Eines dieser Selbstgespräche ist im Song „Force 10 From Navarone“ zu hören. Den Gegenpart hätte Gastsängerin Florence Shaw von der Post-Punk-Band Dry Cleaning übernehmen können, aber Williamson singt lieber zu sich selbst: „Jason, why does the darkness elope?“

Ob er jemals mit dem modischen Begriff der toxic masculinity bedacht worden ist? Immerhin schwellen beim Vortrag die Adern an, der Kopf verwandelt sich in eine Tomate und Williamson verteilt spuckend Verbalfaustwatschen wie Mike Tyson linke Haken. „Nein, weil unser Ding Substanz und Inhalt hat. Es ist keine blinde, zerstörerische Wut“, sagt Williamson. Was seinen Blutdruck derzeit besonders hochgehen lässt, ist die allgemeine Resignation angesichts der beklemmenden Verhältnisse, die der Sleaford-Mods-Chef an jeder Straßenecke zu spüren meint. „Es ist wie bei Mobby Dick. Die Politik ist der Wal, wir sind Captain Ahab - angebunden an diesen Wal, der uns in den Abgrund mitreißt. Und wir winken dazu.“

„UK Grim“ ist bei der Beggars Group erschienen. Hier geht es zum aktuellen Interview-Podcast mit Jason Williamson.

Was man bei all dem Zorn, dem Schimpfen und Fluchen leicht vergessen kann: die Sleaford Mods haben Humor. Sehr viel Humor. Zum Beispiel wenn sich Williamson im Stück „DIwhy“ über Rockbands lustig macht, die sich unabhängig und rebellisch geben, aber aus den privilegierten Schichten kommen. Da fragt das ehemalige Arbeiterkind im Songtext schon mal spöttisch:„ Excuse me, mate / You’ve just dropped one of your tattoos / Yeah, just over there!“ Das sagt viel, das tut weh. Die folgenden Zeilen lesen sich dann aber wieder verbittert und auch etwas verbohrt: „You’re not DiY, you’re a fucking twat /You look like Fred Dibnah and your haircut’s crap.“

Langjährige Fans wissen, dass Williamson damit fortgesetzt vor allem gegen Bands wie Idles oder Shame schießt. Dass er seinen neuen, privilegierten Status auch mit meint, geht aus diesen Zeilen hervor: „Oh yeah, not another white bloke agro band /Oh yeah, we’re all the fucking same.“ Aus diesen Lines sprechen auch Minderwertigkeitsgefühle, die den überwiegend bürgerlichen Fans der Sleaford Mods wohl für immer fremd sein werden. Diese Komplexe liegen in einem Gesellschaftssystem begründet, das per Geburtsrecht an bestimmte Bevölkerungsschichten Privilegien verteilt, die sie anderen vorenthält.

Dass Williamson in seinem Zorn selbst den Klassismus-Boogie tanzt, weiß er genau und bleibt doch unerbittlich: „I hate them! They are all a bunch of talentless elitists", schimpft er im FM4-Interview.

Sound of Fury

Die Rezeptur des Sleaford-Mods-Sounds ist dieselbe geblieben – zumindest wenn es um die Grundzutaten geht. Andrew Fearn programmiert trockene, etwas schrottig klingende Beats, Basslines und Samples. Jason Williamson rotzt und wütet ins Mikrophon – manchmal auch etwas mellow und melancholisch.

Alles wie gehabt also, nur dass es immer besser wird, immer detaillierter und deeper. Doch es gibt auch Überraschungen. Zum Beispiel ein Gesangs-Feature von unerwarteter Stelle. Parry Farrell von den kalifornischen Alt-Rock-Veteranen Jane’s Addiction darf sich mit Jason Williamson im Stück „So Trendy“ über aktuelle Social-Media-Hypes lustig machen. „Wir sind jetzt nicht die großen Jane’s Addiction-Fans“, sagt Williamson, „aber Perry ist ein verdammt interessanter Typ und er hat uns einfach angerufen und wir haben ja gesagt.“

Am Ende dann nochmal Selbstgespräche: Was sagt ein Jason Williamson, wenn er sich im Spiegel sieht? Antwort: „Stop panicking!“ Am 18.06.2023 spielen die Sleaford Mods im Rahmen des Lido Sounds Festival in Linz.

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