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Schnapsglas vor schwarzem Hintergrund

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mit akzent

Gestern war immer schöner

Kennt ihr den alten Witz wo ein Alkoholiker eine Helpline für Alkoholiker angerufen hat, um nach dem Mochitorezept zu fragen?

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ich wohne in einem modernen Wiener Bezirk in Zentrumnähe. In diesem Bezirk fahren Menschen gern Rad. Es gibt einen Wettbewerb, wer sich das schönste und teuerste Fahrrad kauft. Es gibt aber selbst in diesem Bezirk eine Insel der Seligen, wo niemand Rad fährt. Hier trinken alle weißen Spritzer von früh am Morgen bis zum spät am Abend und ihre Seelen reisen durchs Universum. Man kann diese Menschen als Alkoholiker wahrnehmen, aber sie haben ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Welt. In dieser Welt haben Geschichten ihre eigene Moral. So wie im alten Witz, wo ein Alkoholiker eine Helpline für Alkoholiker angerufen hat, um nach dem Mochitorezept zu fragen.

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Ich kenne zwei Arten von Alkoholikern. Die einen sind arm, die anderen reich. Beide trinken die ganze Zeit. Die reichen Champagner „Veuve Clicquot“ – die armen hausgemachter Schnaps. Aber beide verweilen im hedonistischen Nebel und erzählen oft, dass gestern besser als heute war. Immer wenn ich versucht habe nachzufragen, warum der gestrige Tag schöner war, wenn er sich kaum vom heutigen unterscheidet, bekomme ich die Antwort, dass ich nichts verstehe, da ich nicht zum inneren Kreis gehöre. Es ist ein bisschen wie in einer Freimaurerloge.

In einem weit entfernten Balkandorf, wo ich als Kind oft war, hatten wir einen Nachbarn. Er trank hausgemachten Schnaps. Sein Jahr war streng aufgeteilt. Ein Monat produzierte er Schnaps, im nächsten trank er. Er hatte das alles so brillant aufgeteilt, dass ihm für nichts anderes Zeit blieb außer für Schnaps. Seine Haut und sein Atem rochen nach diversen Früchten. Es gab etwas Schönes an diesem Geruch von Pfirsichen, Äpfeln, Birnen, Quitten und Zwetschken, die er ständig kochte und dann austrank. „Schnaps ist alles!“, sagte er weise. Das ist seine Version des altrömischen „In vino veritas“.

Ein Freund von mir ist ein reicher Geschäftsmann, der in Pasadena, USA lebt. Er ruft mich immer wieder an, um mir zu erzählen, dass er jeden Sonntag ein Croissant mit einer Mimosa frühstückt. Mimosa ist Cocktail aus Champagner und Orangensaft. Er meint, er isst das Croissant nur, damit die Leute nicht sagen, dass er ein Alkoholiker sei, der nur trinkt ohne zu essen. Und dann erzählt er, dass es gestern genauso wie heute war. „Ich bin ein glücklicher Mensch“, sagt er. Ich frage ihn, was ihn glücklich macht. „Dass ich mit dir reden kann, während ich meinen Morgenchampagner trinke!“

Ich frage nicht weiter, ich will seine schöne Welt, wo die Sonne durch den Mimosa hindurch auf seine Hand scheint, nicht zerstören. Schließlich ist das sein Leben. Und den Menschen mit den Fahrrädern ist dieses Leben egal. Sie treten in die Pedale und fliegen durch die Stadt.

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