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Übergriffe an Filmsets: Interview mit einer Maskenbildnerin

Aktuell werden in der Filmbranche neue Me-Too-Vorwürfe diskutiert, wie sie bei der Verleihung des Österreichischen Filmpreises geäußert worden sind. Ein Beispiel betrifft übergriffiges Verhalten gegenüber einer Maskenbildnerin. Wie steht es um die Strukturen am Filmset und warum werden Übergriffe selten thematisiert?

Von Lena Raffetseder

Ein Schauspieler soll masturbiert haben, während er von einer Maskenbildnerin geschminkt wurde. Ohne Namen zu nennen, hat Regisseurin Marie Kreutzer vergangene Woche von diesem und weiteren Me-Too-Fällen in ihrer Rede bei der Verleihung des Österreichischen Filmpreises berichtet. Daraufhin hat sich die Interessenvertretung der österreichischen Film-Maskenbildner*innen zu Wort gemeldet: „Wir müssen leider bestätigen, dass solche und ähnliche Situationen tatsächlich vorkommen.“

Regina Breitfellner ist seit zehn Jahren als Maskenbildnerin tätig, hat bei Produktionen wie „Vienna Blood“, „Breaking the Ice“, einer Staffel „Vorstadtweiber“ und bei Landkrimis mitgearbeitet. Bei der Interessenvertretung Filmmakeup ist Breitfellner im Vorstand aktiv.

Radio FM4: Regisseurin Marie Kreutzer hat von Vorfällen berichtet, die wohl in der Branche bekannt waren, aber Außenstehende doch schockieren. Sie hat da zum Beispiel von einem Darsteller erzählt, der masturbiert hat, während er von einer Maskenbildnerin geschminkt worden ist. Ihr habt in einem Statement auf Instagram bestätigt, dass es solche Fälle gibt. Wie kann man sich das vorstellen? Was passiert da bei eurer Arbeit?

Regina Breitfellner

Regina Breitfellner | filmmakeup.at

Regina Breitfellner: Ich glaube, viele Leute können sich nicht gut vorstellen, wie viel Zeit wir teilweise auch alleine mit Darstellerinnen und Darstellern verbringen. Wir arbeiten mobil in einem umgebauten LKW, im Maskenmobil. Wenn wir jemanden betreuen, ist diese Person täglich in unserem Sessel, von einer halben Stunde bis zwei Stunden oder länger, wenn Spezialeffekte gemacht werden. Das geht teilweise über viele Wochen und Monate. Es ist eben schon so, dass eine gewisse Nähe herrscht. Ich muss mich dem ja annähern und an der Person arbeiten und da ist natürlich nicht immer jemand dabei. Also das ist so ein Detail, das vielleicht erklären kann, wie sowas zustande kommen kann.

Radio FM4: Ihr habt diese Fälle bestätigt, wie oft kommt das vor, dass hier Grenzen überschritten werden wie eben in dem gerade diskutierten Fall?

Regina Breitfellner: Ich würde denken, dass das schon ein Extremfall ist, der nicht häufig vorkommt. Wir tauschen uns untereinander natürlich aus. Ich sage zu einzelnen Fällen absichtlich nichts, das können nur die Betroffenen ansprechen. Ich kann sagen, dass es glücklicherweise nicht an der Tagesordnung steht, dass wir Übergriffen ausgesetzt sind. Aber wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen spreche, würde ich schon sagen, mehr als die Hälfte kann von solchen Vorfällen berichten. Nicht vielleicht so krass wie jetzt dieser Fall. Aber verbale und teilweise auch körperliche Übergriffe finden schon statt.

Radio FM4: Was sagen Kolleg*innen, wie gehen sie dann in der Situation damit um?

Regina Breitfellner: Die Schwierigkeit ist natürlich, dass man in solchen Situationen meistens allein ist und auf sich selbst gestellt. Da gibt es Menschen, die sehr souverän reagieren können und gleich ihre Grenzen aufzeigen. Dann gibt es aber auch viele Menschen, die in solchen Situationen überhaupt nicht reagieren können. Das weiß ich auch aus eigener Erfahrung. Manchmal ist man eben nicht souverän, sondern ist erst mal geschockt und versucht aus der Situation rauszugehen, sammelt sich später und realisiert auch vielleicht später erst, was da gerade abgelaufen ist. Wenn man mit so etwas konfrontiert ist, ist einem sofort klar: Man selbst ist ersetzbar. Wir stehen nicht vor der Kamera, sondern dahinter, und sobald ein Darsteller oder eine Darstellerin „angedreht“ ist, also die Rolle hat und schon gefilmt wurde, ist es sehr schwer, diese Person noch auszuwechseln, weil das einfach wahnsinnig viel Geld kostet und viel Aufwand bedeutet. Menschen hinter der Kamera können hier natürlich leichter ausgetauscht werden. Das ist uns allen klar und das spielt natürlich mit.

Radio FM4: An wen kann man sich am Set wenden?

Regina Breitfellner: Die Besonderheit bei uns ist, dass, obwohl wir in großen Teams zusammenarbeiten, von 30 bis zu 100 Personen, wir nicht die Möglichkeit haben, einen Betriebsrat zu gründen. Wir haben keine gewerkschaftliche Vertretung oder Ansprechperson. Es gibt auch keine Personalabteilung. Wir sind für jedes Projekt befristet bei einer Produktionsfirma angestellt. Das dauert dann vielleicht sechs Wochen, wenn es ein kurzes Projekt ist, vielleicht sind es ein paar Monate, wenn es eine Serie ist. Man wird zusammengewürfelt und geht dann wieder auseinander. Jedes Projekt bringt neue Ansprechpartner mit. Was man vielleicht auch sagen muss, ist, dass wir durch diese befristeten und eigentlich prekären Anstellungsverhältnisse immer den Gedanken im Hinterkopf haben: „Naja, ich möchte ja noch mal angestellt werden von der Firma.“ Also ich möchte meine Position nicht gefährden und hier nicht Probleme kreieren, die mein Weiterkommen im Job in Gefahr bringen könnten.

Radio FM4: Ihr schreibt in eurem Statement, „dass die meisten Kolleg*innen darüber schweigen, hat gute Gründe und ist als Selbstschutz oft notwendig“.

Regina Breitfellner: Genau, ich würde es schon damit erklären, dass wir als befristet Angestellte das Gefühl haben, am kürzeren Ast zu sitzen. Es ist einfach so, dass das ein Teil der Überlegung ist.

Radio FM4: Ihr werdet angeheuert, um eine Dienstleistung am Set bereitzustellen. Verantwortlich dafür, wie es am Set abläuft, ist die Produktionsfirma. Du sagst, jede Zweite erlebt Übergriffe. Wird diese Verantwortung für die Atmosphäre am Set in euren Augen also nicht wahrgenommen?

Regina Breitfellner: Prinzipiell hat die Produktionsfirma, die uns anstellt, eine Fürsorgepflicht uns gegenüber. Wenn wir etwas aufzeigen und aufmerksam machen auf Verhalten, das nicht korrekt oder eben übergriffig ist, hätte die Produktionsfirma die Pflicht einzuschreiten. Ich kann schon auch aus eigener Erfahrung sagen, dass ich erlebt habe, dass nicht darauf reagiert wurde. Dass dann gesagt wird: „Naja, man weiß ja eh, wie der ist.“ Das entmutigt natürlich und ist frustrierend. Wenn man nicht damit rechnet, dass einem geholfen wird, oder wenn man nur Angst hat, sich selbst zu gefährden, was jetzt die nächsten Jobs betrifft, dann entsteht ein Schweigen.

Radio FM4: Was habt ihr bisher als Interessenvertretung gemacht, um diese Situation zu verbessern? Seid ihr auf Produktionsfirmen zugegangen?

Regina Breitfellner: Wir versuchen, Mitglieder zu unterstützen, wenn sie mit Anliegen zu uns kommen. Es gibt jetzt auch die Idee, eine Rechtsberatung spezifisch für solche Fälle einzurichten. Das hat es in verschiedener Form auch schon gegeben. Der Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden hat eine Beratungsstelle eingerichtet. Diese Stelle heißt #we_do!. Die bieten Workshops an, da haben wir auch schon mal einen spezifisch für Maskenbildner*innen und auch für Garderobier*innen organisiert. Es ist ja schon so, dass das Bewusstsein wächst und auch Produktionsfirmen von sich aus #we_do! einladen und dass auch angedacht wird, verpflichtende Workshops zu machen, um da einfach das Bewusstsein zu steigern.

Radio FM4: Letzte Woche ist Helene Lang mit dem Österreichischen Filmpreis für das beste Maskenbild ausgezeichnet worden. In ihrer Rede sprach sie von Respektlosigkeit am Set, wenn der Druck steigt. Gerade für Maske und Garderobe sei das dann ein extremes Problem und dass es extrem würdelos sei, dass das Normalität ist. Kannst du etwas über diese Schilderung sagen, erlebst du das ähnlich?

Regina Breitfellner: Ich erlebe es schon auch so, dass diese nicht-technischen Departments, also Maske und Kostüm, oft respektloser behandelt werden als die technischen Departments. Und es stimmt, was Helene sagt, zufällig sind das eben die frauenlastigen Departments. Das sind die Jobs, wo eine Meinung vorherrscht von „Ja, ja, das sind die, die schminken gerne.“ Das wird nicht so ernst genommen. Das empfinde ich schon so, dass es da unterschiedliche Wertigkeiten gibt.

Radio FM4: Was würdet ihr euch wünschen? Wie könnten andere Strukturen oder Lösungen aussehen?

Regina Breitfellner: Ich würde mir definitiv mehr Bewusstsein wünschen. Eine wirkliche Schulung der ganzen Crew, aber auch vom Cast, was ein Übergriff überhaupt ist. Ich glaube, da gibt es einen noch viel zu legeren Umgang damit. Ich möchte, dass hier nicht immer die Verantwortung auf die betroffene Person abgewälzt wird, indem man sagt: „Die muss sich halt einfach wehren.“ Wenn so etwas passiert, braucht man jemanden, zu dem man gehen kann. Ich würde mir Konsequenzen wünschen. Ich glaube, dass das ganz wichtig ist, damit Betroffene auch darüber sprechen und tatsächlich Dinge erzählen. Ich würde mir aber auch andere Arbeitsbedingungen wünschen. Wir haben eine 60-Stunden-Woche und es bleibt oft nicht bei den 60 Stunden. Ich wünsche mir, dass der Beruf viel familienfreundlicher wird. Das sind alles Dinge, die helfen würden, daraus einen Beruf zu machen, den man auch lange Zeit machen kann und machen möchte.

Radio FM4: Seit ihr das Posting abgesetzt habt, gibt es da eigentlich Backup aus der Filmbranche oder auch Solidaritätsbekundungen von Männern?

Regina Breitfellner: Von einzelnen Männern habe ich nichts gehört. Bisher hat, glaube ich, der Dachverband unser Statement geteilt und ein paar andere Verbände noch. Ich habe sonst noch keine Reaktionen wahrgenommen. Ich kann nur sagen, dass es vielleicht auch Bände spricht, wenn sich Organisationen nicht zu Wort melden.

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