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Barbie mit Freundinnen in der Cafeteria

Warner Bros.

Film

Einmal Patriarchat zerschlagen mit „Barbie“

Margot Robbie schlüpft im vorab bombastisch gehypten Sommer-Blockbuster in die Rolle der Barbie. Die wird inmitten ihres knallrosa Safe Spaces Barbieland plötzlich von existenziellen Ängsten heimgesucht und reist in die echte Welt, um dort Antworten zu finden. Die feministische Botschaft in „Barbie“ ist zentrales Motiv der Komödie von Greta Gerwig, die nicht nur visuell überzeugt.

Von Jan Hestmann

In welcher Welt leben wir 2023? Auf der einen Seite beschäftigen sich Menschen, wenn wohl auch immer noch eine Minderheit, zunehmend mit Gender und hinterfragen traditionelle Mann-Frau-Rollenbilder. Auf der anderen Seite ist geschlechterspezifisches Marketing immer noch der Status Quo. Die Dualität von blau/rosa, die Produkte Mädchen und Buben streng zuordnet, scheint immer noch unausweichlich, ist nach wie vor in so gut wie jedem Kleidungs- oder Spielzeuggeschäft zu finden, heutzutage vielleicht sogar noch ausgeprägter als früher.

Zwei mal Barbie im Film, gegen den Strich gebürstet
Greta Gerwig war nicht die erste, die dem Mythos Barbie einen Film gewidmet hat. Zwei (kurze) Pflichtfilme abseits der rosa Hollywoodwalze, die derzeit alles platt macht.

In diese widersprüchliche Zeit platzt ein Sommer-Blockbuster, der mit einer selten dagewesenen Marketing-Dampfwalze schon viele Monate vor Filmstart alles rund um sich herum rosa färbt. Ausgerechnet jetzt soll ein Spielfilm das Kinopublikum begeistern, der die wohl berühmteste Puppe von allen im Zentrum hat: Barbie. Eine Modepuppe, die von einer damals, Mitte der Vierziger Jahre, noch kleinen Firma entwickelt wurde. Heute ist Mattel auch dank des Welterfolgs von Barbie der zweitgrößte Spielzeugkonzern der Welt.

Dass das Drehbuch für „Barbie“ nicht von irgendwem kommt, sondern von den Indiekino-Darlings Greta Gerwig und Noah Baumbach, Regie ebenso Greta Gerwig, sorgte zunächst für Irritation - aber eben auch für eine steigende Erwartungshaltung was Qualität und Tiefgründigkeit des Films angeht. Mit Regiearbeiten wie „Ladybird“ und „Little Women“ hat Gerwig in der Vergangenheit schon eine deutliche feministische Handschrift erkennen lassen. Feminismus, ein Begriff, der einem in Zusammenhang mit der von einem bizarren Schönheitsideal ausgestatteten Barbie nicht sofort in den Sinn kommt. Nun steht aber fest, was viele über die letzten Monate des rosa Marketing-Wahnsinns gehofft hatten: Greta Gerwigs „Barbie“ ist ein durch und durch feministisches Feuerwerk, eine schrill visualisierte Kampfansage an das Patriarchat.

Barbieland

Warner Bros.

Barbie überschaut ihr Reich - Barbieland

Willkommen im Matriarchat Barbieland

Nachdem „Barbie“ mit der schon aus dem Trailer bekannten famosen „2001 - Odyssee im Weltraum“-Hommage eröffnet, schließt der Film mit einer alltäglichen Szene in Barbieland an. Stereotypical Barbie, gespielt von Margot Robbie, ist eine von vielen Barbie-Versionen in einer neben der realen Welt existierenden Parallelwelt. In gewisser Weise ist Barbieland, die Heimat der Barbies und Kens - und Allen (Michael Cera) - ein Matriarchat. Hier regieren die Frauen, sind ausschließlich Frauen Richterinnen, Politikerinnen, Astronautinnen, Pilotinnen und so weiter. Die Kens hingegen stehen eher nutzlos in der Gegend herum, kämpfen um die Aufmerksamkeit der von ihnen vergötterten Barbies und sind sonst eher dekoratives Beiwerk. So auch Beach Ken (Ryan Gosling), dessen Kernkompetenz nicht näher definiert ist als durch das Wort „Beach“ - was genau das bedeutet, ist ihm selbst nicht ganz klar.

Barbie lebt hier ein sorgenfreies Leben - schwebt in der Früh aus dem Bett unter die Dusche, hin zum Frühstück und trifft sich mit anderen Barbies am Strand: Everyday is perfect, this day, and so is tomorrow. Und doch ist Barbieland widersprüchliches Territorium. Obwohl hier das Matriarchat gelebt wird, zeichnet sich Barbieland auch durch einen krankhaften, oberflächlichen Perfektionismus aus. Negative Gefühle sind genauso ein No Go wie flache Schuhe, und so wird Barbie aus ihrem Alltag herausgerissen, als sie während einer ihrer zahlreichen Partys plötzlich Gedanken über den Tod äußert.

Es ist der Beginn einer Abwärtsspirale, der sie schließlich zu Weird Barbie (Kate McKinnon) führt. Die verrät ihr, dass sie sich auf den Weg in die reale Welt machen muss, um den Menschen zu finden, mit dem sie verbunden ist. Nur so lässt sich ihre plötzlich aufgekommene Melancholie erklären und vielleicht auch überwinden. Barbie macht sich also auf in diese ihr unbekannte Welt, nicht in dem Wissen, dass sie Verehrer Ken im Gepäck hat.

Ken

Warner Bros.

Ryan Gosling als etwas hilfloser Beach Ken, der bald Gefallen am Patriarchat entdeckt.

Die reale Welt, hier repräsentiert durch das Los Angeles der Gegenwart, entpuppt sich schnell als krasses Gegenteil von Barbieland. Nichts erinnert hier an den Perfektionismus der Heimat, statt des Matriarchats herrscht unübersehbar das Patriarchat, Barbie und Ken fallen in ihren knallbunten Kleidern schnell auf. Auf der Suche nach dem ihr verbundenem Menschen, trifft Barbie auf die Teenagerin Sasha (Ariana Greenblatt) und deren Mutter Gloria (America Ferrera), die bei Mattel arbeitet. Dessen CEO wird übrigens gewohnt schusselig von Will Ferrell gespielt, der alles daran setzt, die ausgebüxte Modepuppe wieder zurück nach Barbieland zu schaffen.

Während Barbie Gloria und Sasha näherkommt, deren Mutter-Tochter-Verhältnis nicht das einfachste ist, verliebt sich Ken ins Konzept des Patriarchats und will es nach Barbieland bringen. Ein folgenschweres Vorhaben, wie sich noch zeigen wird.

Believe the Hype?

Was sagt man über einen Film, der im Vorfeld schon so viel besprochen wurde wie kein anderer Film in diesem Jahr? Zunächst die Frage beantworten: Ist der große Hype gerechtfertigt? Ja, wenn auch mit kleineren Abstrichen. „Barbie“ ist ein visuell überschäumendes Überraschungspaket, hervorragend inszeniert und choreografiert. Das beginnt bei Barbies Morgenroutine und reicht bis zu einer kuriosen Schlacht aller Kens am Strand von Barbieland. Nach „La La Land“ dürfen wir Ryan Gosling auch wieder ausgiebig beim Tanzbein-Schwingen zusehen. Und auch einen eigenen Song bekommt er, „Just Ken“, der sich in einen auch sonst fulminanten Soundtrack einreiht - mit Beiträgen zahlreicher Popikonen von Billie Eilish, über Lizzo, Dua Lipa, Sam Smith und Haim bishin zu Chali XCX.

Aber „Barbie“ ist eben nicht nur gut inszeniertes und auch sehr lustiges Pop-Spektakel, sondern auch knallharter feministischer Diskurs, der zum Nachdenken anregt, wie man es sich von Greta Gerwig und Noah Baumbach erhofft und erwartet hat - bloß eben verpackt in ein glitzerndes, rosa Zuckerlpapier. Das passiert in großen pompösen Szenen, die manchmal gut dosiert, manchmal etwas zu viel von allem sind, aber besonders auch in kleinen, dafür umso tiefer gehenden Szenen, in denen Barbie ihre eigene Identität und ihre wahren Bedürfnisse ergründet.

Heimliche Stars des Films sind abseits der Barbies und Kens Gloria und deren Tochter Sasha. Wenn hier die nostalgische Verbundenheit zur Barbiepuppe in Rückblenden gezeigt und dabei vom Kindsein, von Mutterschaft, von Vergänglichkeit erzählt wird, dann rührt das. Man merkt in diesen Momenten deutlich, dass Gerwig und Baumbach ja eigentlich im Realen, im Melancholischen, im zutiefst Menschlichen zuhause sind. Darum ist es auch etwas schade, dass der Film mit seiner Gesamtspielzeit von knapp zwei Stunden nur so wenig Zeit in der realen Welt verbringt und stattdessen nach einem kurzen Ausflug wieder zurückkehrt in die schrille Welt der Barbies und Kens. Aber immerhin gilt es dort das Matriarchat aufrecht zu erhalten. So gesehen auch nicht der schlechteste Grund für eine Rückkehr nach Barbieland.

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