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Bandfoto My Ugly Clementine

C Rea von Vi

My Ugly Clementine und ihr gutes Leben

Zwischen 1970s Flair, 1990er Sound und gegenwärtigem Pop pendelt das Trio My Ugly Clementine. Die drei fragen sich, was ein gutes Leben ausmacht und finden eine starke Sprache für eine optimierungsgetriebene und ständig überlastete Gesellschaft. „The Good Life“ ist ein sehr persönlicher Soundtrack, in dem wir alle uns wiederfinden können.

von Andreas Gstettner-Brugger

Was ist ein „gutes Leben“? Das ist wohl die erste Frage, die man Mira Lu Kovacs, Sophie Lindinger und Nastasja Ronck, den drei Musikerinnen von My Ugly Clementine, stellen muss. Schließlich heißt ihr neues Album „The Good Life“.

Nastasja: „Es ist ein gutes Leben, wenn es okay ist. Wenn man hinter sich gelassen hat, dass alles optimiert werden muss und dass man das beste Leben führen muss. Wie zum Beispiel, dass man mit einem gewissen Alter oder je nach Identität irgendetwas Bestimmtes erreicht haben muss, damit es ein good life ist. Viele Dinge kann man nicht beeinflussen. Aber wenn man es schafft, gewisse Entscheidungen zu fällen, die vielleicht auch entgegen dem gehen, was einem die Gesellschaft suggeriert, dann ist das schon ganz gut.“

Ein Stichwort kommt hier bei Nastasja vor, das wesentlich zu sein scheint: Entscheidung. So fragen uns auch My Ugly Clementine in der ersten Single des Albums „Are You In?“ - also bist auch du mit dabei, Entscheidungen zu treffen, die dir ein gutes Leben ermöglichen?

Vom Hype zur gewachsenen Band

Erst war es nur ein Foto, das die Öffentlichkeit von My Ugly Clementine zu sehen bekam. Damit haben damals Sophie Lindinger, Mira Lu Kovacs, Kem Kolleritsch und Barbara Jungreithmeier ein Konzert ausverkauft, ohne dass noch ein Song veröffentlicht worden ist. Nach einem fulminanten Konzert am Wiener Popfest 2019 und weiteren Gigs ist inmitten des Pandemie-Taumels das Debüt „Vitamine C“ erscheinen. Ein Album, das nicht nur den Hörer:innen in dieser Ausnahmezeit Stärke geben sollte, sondern auch den Musikerinnen Platz und Raum für Psychohygiene gegeben hat.

Jetzt, drei Jahre und zwei Besetzungswechsel später, ist das nunmehrige Trio zur richtigen Band zusammengewachsen. Hatte vorher meist Sophie Lindinger die Songs geschrieben, so sind die Stücke diesmal oft im Kollektiv entstanden und jede konnte sich während einer Auszeit in einem „Knusperhäuschen“ im Osten von Tschechien mit Ideen einbringen.

Nastasja: „Es gab einen Punkt in dem Haus, an dem das Handy, wenn man es hochgehalten hat, Empfang gehabt hat. Zwei große Unterschiede zum Arbeiten in der Stadt: Es war total ruhig und es war um das Haus komplett dunkel. Am Anfang fast ein bisschen beklemmend. Aber wir haben uns daran gewöhnt, gut gekocht und gegessen, viel geschlafen und es war sehr idyllisch. Ich erinnere mich an das Bild: Sophie sitzt vor ihren Instrumenten und hinter ihr sehe ich durchs Fenster ein Reh mit ihrem kleinen Kitz.“

In dieser Idylle war es den drei Sängerinnen und Songschreiberinnen auch möglich, einmal die Füße hochzulegen und einfach nur zu sein. Eine fordernde Aufgabe in unserer leistungsoptimierenden Gesellschaft. Das Stück „Feet Up“ soll uns Mut machen zur Lücke, zum Innehalten, zum Entspannen, ja sogar zum boredom.

„Wenn ich dein Songwriting kenne, kenne ich dich“

Die Abgeschiedenheit in dem ländlichen Knusperhäuschen hat auch dazu beigetragen, dass die drei sich in vielen Gesprächen in Ruhe austauschen konnten. Dass sie sich ihre Geschichten erzählen konnten und so einen tieferen Einblick in die Seele der jeweils anderen bekommen haben. Denn für jeden Song, den My Ugly Clementine schreiben, müssen alle drei auch gefühlsmäßig an Bord sein. Sich mit den Themen identifizieren können. Wie es Nastasja im Interview so schön ausdrückt: „Wenn ich dein Songwriting kenne, kenne ich dich.“

Albumcover "The Good Life" von My Ugly Clementine

My Ugly Clementine

Das zweite Album „The Good Life“ von My Ugly Clementine erscheint am 11. August auf BMG.

So beschäftigt sich Nastasja Roncks erstes in die Band eingebrachtes Lied „The Advisor“ mit dem vielschichtigen Thema des people pleasing, also es anderen Menschen recht zu machen. Spannend für My Ugly Clementine dabei ist die möglicherweise versteckte Motivation dahinter, sich selbst gut fühlen wollen. Das würde dann das eigene Ego eher in den Vordergrund stellen, obwohl vielleicht gerade ein Grenzen setzen nicht nur für einen selbst, sondern auch für das Gegenüber wichtig wäre. Es ist ein zarter Song, der sich immer mehr zur Selbstermächtigung mit Tempowechsel und schwerem Schlagzeug aufbäumt.

Das Stück „WWW“, geschrieben von Sophie Lindinger, reflektiert hingegen die Zweischneidigkeit des Internets. Die Möglichkeit, sich über alles informieren zu können und gleichzeitig die Problematik des „Diagnosen googelns“. Der Wunsch, sich selbst besser zu verstehen und dabei im Internet nach einer Antwort zu suchen. Auch das ständige Sich-Vergleichen und sich fragen, warum man denn nicht so ist wie die anderen. Aber auch die hilfreichen Informationen, die man mitunter findet. Umgesetzt ist diese Ambivalenz mit herrlich verzerrten Gitarren, einem grummelnden Beat und schiefen Gitarrenmelodien.

Das alles hat Platz und Raum, darf und muss artikuliert werden können. My Ugly Clementine ist damit für die drei zu der „gewählten Familie“ geworden, zum Ankerpunkt in unsicheren, stürmischen Zeiten, zum safe place, sowohl künstlerisch als auch persönlich. Und so ist das Eröffnungsstück „Circles“ auch als Ode an die Band und an die Freund:innen zu verstehen, die den positiven Unterschied für eben das good life machen.

Von den 1970ern über 2008 bis heute

Neben der Frage, was ein gutes Leben ausmacht, könnte man die drei Musikerinnen auch fragen, was denn einen guten My-Ugly-Clementine-Song ausmacht. Denn die Verortung in den 90er und 00er Indiepopjahren finden die drei zu kurz gegriffen.

Mira „Es ist eher ein mindset vom gemeinsamen Lautsein, der großen Liebe zu Melodien - für mich ist es diese Kombination. Für mich sind das nicht so sehr die 90er, sondern eher etwas zwischen den 1970er Jahren und 2008. Also nicht im Sinne von Musik, sondern einer Stimmung.“

Sophie: „Aber dann ist das ja wieder retro, oder? Ich denke, die Musik der 90er hat uns sicher geprägt und beeinflusst. Wir sind damit aufgewachsen. Das heißt nicht, wir setzen uns hin und sagen, wie wollen eine 90er Platte machen, weil das cool ist. Da wir alle in anderen Bands spielen und andere Sounds ausprobieren können, hört man bei My Ugly Clementine vielleicht noch den Sound und die Ideen, die uns von unserer Jugend her noch im Blut liegen.“

Mira: „Um das abzuschließen: Ich persönlich fühle mich für Clementines weniger von Blink182 beeinflusst als von Deerhoof oder Haim. Auch wenn es Deerhoof schon seit 30 Jahren gibt, sind diese Bands für mich sehr jetzt-zeitig.“

Eine Sprache für die Überlastungsgesellschaft

My Ugly Clementine erforschen all die musikalischen und inhaltlichen Themen, die auf „The Good Life“ zu finden sind - und stehen hinter dem, was sie auf dieser Erkundungsreise vorfinden, ob hell oder düster. So zieht sich das Thema mental health nicht nur durch die Songs, sondern zeigt sich auch bei der Umsetzung der Platte beim Touren und beim Vermarkten.

My Ugly Clementine live in Österreich:

  • 29.09.23 PPC Halle, Graz
  • 10.11.23 Arena, Wien

Nastasja: „Es kann nicht dabei bleiben, dass man nur mitteilt, dass man in dieser Gesellschaft durch welch auch immer geartete Einschränkung nicht mehr kann. Wir reden oft darüber, was wir brauchen, um touren oder ein Album schreiben zu können.“

Mira: „Wir leben in so einer Durchhaltegesellschaft. Wir versuchen, alles aus- und durchzuhalten. Natürlich nur so halb, denn man wird dazwischen krank, bekommt ein Burnout oder man hört auf mit seinem Job, weil man nicht mehr kann. Und dieses Durchhalten macht überhaupt keinen Sinn, da es auch nicht nachhaltig ist. Und wir sind ehrlich miteinander in der Band und für das erwähnte ‚ich kann das nicht‘, dafür braucht es auch eine Sprache. Im Sinn von ‚das ist zu viel‘. Denn ‚können‘ tun wir schon, aber die Menschheit ist einfach gewohnt, sich ständig vollkommen zu überlasten. Deshalb sprechen wir darüber, wieviel wir spielen wollen, wie lange wir im Bus sitzen wollen, was ist es uns wert? Dieses Musikbusiness-Rad nagt nämlich schon an der physischen und psychischen Gesundheit. Deshalb muss man darüber sprechen, gerade als Band.“

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