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Das Beste vom Ei: der Dotter

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„Dotterland“ ist eine Reise in die eigene Kindheit und Jugend!

Bei manchen ist sie ein bisschen her, fühlt sich aber an wie gestern: die Kindheit und Jugend. Der Roman „Dotterland“ nimmt uns bei der Hand und reicht uns das Vokabular, das in der Kindheit fehlte. Eine hoch-emotionale Coming-of-Age-Offenbarung!

Von René Froschmayer

Kathlen lebt in Wien. An Wochenenden besucht sie ihre Großeltern im Burgenland. Früher ist sie öfter rausgefahren, damals, als die Eltern noch zusammen waren. Mittlerweile sind ihre Freund:innen zur neuen Familie geworden. Bier und Tschick statt Kuchen und Kaffee.

Eigentlich hat es die junge Wienerin ganz gut: sie ist gewieft, meistert die Schule nach dem Minimalprinzip (möglichst kleiner Aufwand mit möglichst großem Output) und hat ein Umfeld, mit dem sie gerne und oft die Schule schwänzt. Aber irgendwie fehlt etwas. Wo Kathlen noch bis vor ein paar Jahren Freude, Euphorie und all die Aufregung spürte, tut sich ein Loch auf. Ein Loch, das selbst die intensivsten, durchzechten Nächte nicht mehr füllen können. Beziehungen auch nicht, zumindest nicht jene, die sie aktuell beschäftigen.

„Jeder Moment vergeht so schnell. Die Momente wechseln sich immer schneller ab, wirken immer kürzer nach. Der erste Kuss von Alex hat Wochen gehalten. Mittlerweile kommt die Leere schon nach wenigen Stunden. Ich versinke.“

Karoline Therese Marth porträtiert in ihrem autofiktionalen Debütroman “Dotterland” das Heranwachsen in einer dysfunktionalen Familie im Wien der 2000/2010er Jahre. Das gestaltet sich für die junge Protagonistin während der ohnehin nervenaufreibenden Adoleszenz fast unerträglich.

Zurück in fast vergessene Zeiten

„Dotterland“ eröffnet mit einem Gebet. Die kurzen und einfach Reime haben wohl viele römisch-katholisch sozialisierte Kinder in diesem Land Tag für Tag verfolgt. Für viele war „Müde bin ich, geh zur Ruh“ einer der letzten Sätze, bevor die kindliche Seele ins Traumland abglitt. Das „Dotterland“ ist ein Ort im Inneren, den Kathlen oft vor dem Einschlafen, kurz nachdem das Gebet ihre Lippen verlassen hat, besucht. Es ist ein Ort, in dem sie die Oberhand über all die Geschehnisse behält, alles ist überschaubar und kindgerecht verständlich. Der Name ihres gedanklichen Fluchtorts kommt von ihrer Vorliebe für weichgekochte Eidotter, die von den Erwachsenen neckisch belächelt wird.

Ein ähnlicher Rückzugsort im inneren Selbst existiert auch in Karoline Therese Marths Fantasie, wie die Autorin im FM4-Interview erzählt: „In emotional überwältigenden Situationen, um mich zu erden und Dinge zu ordnen, begebe ich mich in diese inneren Welten – oder um mir selbst zu zeigen ‚Hey, ich bin der Erwachsene, ich regle das schon.‘"

Autorin Karoline Therese Marth

René Froschmayer

„Dotterland“ ist nicht in Kapitel, sondern in Lebensabschnitte gegliedert. Die ersten, frühkindlichen Passagen sind kurzgehalten, durch die naive Brille eines Kleinkindes betrachtet. Regelmäßig findet man sich beim Lesen gedanklich in der eigenen wieder. Der Roman schafft es, jene Gedanken auf Papier zu bringen, denen der Ausdruck in diesen frühen Lebensetappen aufgrund von fehlendem Vokabular verwehrt blieb. Das regt an, in eigenen nahezu vergessenen, nebulösen Erinnerungen zu schwelgen.

Dotterland

Droschl

„Dotterland“ von Karoline Therese Marth ist im Droschl-Verlag erschienen. Für einen Auszug aus ihrem Debütroman hat die Autorin den Retzhoferpreis (2019) erhalten.

Daneben bringt der Roman das Gefühl zurück ins Gedächtnis, von den „Älteren“, den Erwachsenen, nicht verstanden oder ernst genommen zu werden. Das war der Autorin auch ein Anliegen: „Mir hat in meiner Kindheit ein Anker im Leben gefehlt. Es hat lange gebraucht, bis ich mich selbst gefunden habe – und das liegt vor allem daran, wie Erwachsene mit Kindern umgehen. Das ist schon eine Botschaft, die ich mit dem Buch senden möchte. Kinder wollen sich in ihrer Gefühlswelt ernst genommen fühlen. Kindgerecht über Gefühle zu reden hätte mir auch geholfen.“

Wie das fast vergessene Tagebuch unterm Kinderbett

Mit Kathlens Heranwachsen werden auch die Kapitel länger. Ihre Beobachtungen werden akribischer, die äußeren Reize sorgfältiger arrangiert, Geschehnisse kritischer beäugt und durchdacht. Langsam weicht die kindliche Leichtigkeit des Seins – und adoleszente Unsicherheiten machen sich in Kathlen breit. Freund:innenschaften aus der Volkschulzeit zerbrechen – freundschaftliche Treueschwüre geraten in Vergessenheit. Neue Bekanntschaften füllen diese Beziehungslücken. Buben sind auf einmal interessant, alles ist arg – und fortgehen das Krasseste überhaupt. Es könnte doch alles so schön sein, wäre da nicht diese Angst, die innere, unerschöpfliche Leere und dauernd diese Schlafstörung.

„Dotterland“ liest sich auf eine natürliche und authentische Art und Weise, wie das vergessene Tagebuch, das bei einem Umzug wieder auftaucht – und das man stundenlang nicht aus der Hand legen kann.

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