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Feist und AnnenMayKantereit

Sara Melvin & Colby Richardson / Martin Lamberty

„Du gehst schon wieder auf ein Konzert?“

Ja Stadthalle, Gasometer, Flex, Posthof, PPC, Rockhouse - alles einfach und das am liebsten sofort. Ein paar Gedanken über Nähe und Geborgenheit anlässlich der Konzerte von Annenmaykantereit, Feist und einer hoffentlich nie enden wollenden Konzertflut in diesem Spätsommer und Herbst.

Von Susi Ondrušová

Choose life. Choose Systemerhaltung. Choose Livekonzerte. Es ist ein komplettes Luxusdilemma aber manchmal finden zwei wichtige Konzerte an ein und dem gleichen Tag statt. Erinnert sich noch jemand an den 15. November im Jahr 2018? Als die Breeders, Father John Misty UND Anna Calvi an einem Tag in der Hauptstadt gespielt haben? Oder an den 31. August 2023? Der Tag an dem AnnenMayKantereit ihr krankheitsbedingt abgesagtes Konzert vom Frühling in der Wiener Stadthalle nachholen und Feist einen Tourstop im Gasometer Wien einlegt, um ihr neues Album „Multitudes“ vorzustellen! Schwierig.

„I think people want an experience that takes them out of their everyday life and they want to be able to believe that someone else would take a risk of potential humiliation or extreme powerfulness on their behalf!“, hat Anna Calvi damals vor 5 Jahren im FM4 Interview auf die Frage geantwortet was Konzerte überhaupt bedeuten. Ob es die Gitarrenakrobatik von Anna Calvi ist, die einen ins Staunen versetzt, die fragilen Hits von Feist oder die Stimme von Henning May von AnnenMayKantereit: das Konzert-Hobby ist eines, das mit viel Warten, Erwartung und Hoffnung verbunden ist. Warten wegen der langen Spanne zwischen Vorverkauf und tatsächlichem Gig, Erwartung weil teuer und Gefühle. Hoffnung weil: wer will schon Zeit oder Geld verschwenden. Also ist das Ziel, etwas sehen und hören, das man auswendig kennt und nochmal reliven kann oder etwas sehen und hören, von dem man gar nicht wusste, dass es einem gefehlt hat. Emotional abgeholt werden. Am Ende packt man vielleicht auch ein Stück Stoff in die Tasche, geht mit ein paar Ohrwürmern und Erinnerungen nach Hause.

So wie im Februar 2020 beim letzten AnnenMayKantereit Konzert in der Wiener Stadthalle, für viele das letzte „große“ Konzert bevor Corona die Konzertwelt verändert hat. Zwei Alben hat die Band seitdem veröffentlicht. Ein ruhiges sehnsuchtsvolles mit dem Titel „12“ und ein gemeinschaftlich umarmend schönes „Es ist Abend und wir sitzen bei mir“. Songs in denen Einsamkeit, Verbundenheit und Nähe ein Thema ist.

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Wie schafft man Nähe mit einem Publikum? Mit Ansprache, Raumeroberungen und: Licht. Im Saal wünscht die Band das alle Lichter angehen damit AnnenMayKantereit ihr Publikum anschauen können. Henning sieht auf den hinteren Rängen ein Paar in weißen T-Shirts und winkt. Für den Perspektivenwechsel und mehr Nähe mit dem Publikum absolvieren AnnenMayKantereit einen Teil ihres Sets auf einer kleinen Bühne in der Mitte der Halle. Weil viele der Songs vom neuen Album beim Zusammensitzen mit Freund:innen entstanden sind, stellt die Band auf der Tour diese Szene auch nach und performt einige der Songs im Sitzen an einem runden Tisch. Intimität durch Nähe. Dazwischen reizende Bühnen-Ansprachen und Textveränderungen um hier und da ein Wien/Vienna im Song zu integrieren. Funktioniert es? Mit der Anzahl der Handylichter im Raum und der Lautstärke des mitsingenden Publikums kann man Erfolg messen. AnnenMayKantereit sind erfolgreich. Sehr.

Bei Feist spielt Licht ebenfalls eine große Rolle. Überraschung ist das keine, die 2010 veröffentlichte Doku über ihr Album „The Reminder“ heißt schließlich „Look At What The Light Did Now.

Es ist ein runder Scheinwerfer, der sie zu Beginn umgibt. Die Setlist auf ihrer „Multitudes“ Tour ist zweigeteilt: den ersten Teil der Show beschreitet sie allein an der Gitarre, für den zweiten Teil fällt in einem dramatischen Moment der Bühnenvorhang und ihre Band kommt zum Vorschein.

Um ihre persönlichen Songs der anonymen Menschentraube nahe zu bringen, gibt es bei Feist den Kamerakind-Trick. Beim Konzert in der Verti Music Hall in Berlin heißt das Kamerakind Calvin. Er bekommt von Feist eine Kamera in die Hand gedrückt und alles, was er filmt wird auf die Leinwand hinter der Musikerin projiziert. Er wandert durch das Publikum und filmt neben Schuhwerk auch Handy-Displays. Feist fordert ihr Publikum auf, ihm Bilder zu zeigen, die einem in letzter Zeit Kraft gegeben haben. Dass Calvin nicht zufällig gecastet, sondern Teil der Crew ist, wird spätestens klar als er auch von Orten hinter den üblichen Absperrungen filmt. Kabelsalate unter der Bühne oder Mischpulte zum Beispiel. Er findet ein Notizbuch in der Halle aus dem Feist Gedichte vorliest. Die Tagebucheinträge entpuppen sich dann als Lyrics und das Publikum kann alles auf der Leinwand mitlesen.

Die Biografien der zwei Acts, die an diesem einen gemeinsamen Abend parallel Konzerte spielen, könnten unterschiedlicher nicht sein. AnnenMayKantereit und Feist haben aber ein Ziel: den Fans nahe sein und die Bühnenraum-Hierarchie aufbrechen. Die Setlist-Dramaturgie bzw. visuelle Komponente sind ein fantastischer Hebel, um sich als Gast „gesehen“ und schön inkludiert zu fühlen. Mit der Erkenntnis heimgehen, dass man einen einzigartigen Konzert-Abend erlebt hat? Done. Well done! Es wird auch die Frontal-Unterricht Konzerte geben bei denen eine Setlist einfach abgespult wird. Es wird auch die Moshpit-Anarchie geben. In diesem Konzertherbst soll alles möglich sein.

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