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Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

„No fucking carbs, bitch!!“

Amy Winehouse’ Eltern haben in ihrem Namen die Zettelwirtschaft ihres Nachlasses zu einem neuen Buch gemacht.

Von Robert Rotifer

Ein Thema, zu dem ich immer wieder gern zurückkehre: Die zeitgenössische Verwunderung über die Ahnungslosigkeit der Vergangenheit in ihrem Umgang mit Ausbeutung und Diskriminierung, schwankend zwischen pauschaler Anklage („Wie konntet ihr das nicht sehen?“) und pauschalem Freispruch („It was acceptable at the time“). Ist ja beides immer falsch, weil es ja immer Leute gab, die die Dinge sehr wohl gesehen und gesagt haben, aber vielleicht nicht laut genug.
Oder man hörte ihnen bloß nicht zu.

Die tragische Geschichte der Amy Winehouse gehört in diese Abteilung. Unbegreiflich scheint im Nachhinein, wie hemmungslos Musikindustrie, Medien, Management und Publikum sich gemeinsam an ihrem Niedergang bereichern bzw. ergötzen konnten. Bis man sich dann dran erinnert, wie erkennbar dubios das alles doch schon damals war. Der Suchmaschine sei dank kann man zum Beispiel nachlesen, was ich selber am 23. Juli 2011, also am Tag von Amy Winehouse’ frühem Tod auf dieser Website schrieb:

„Die Selbstzerstörung der Amy Winehouse“ meint mein 12 Jahre jüngeres Ich da, sei „jahrelang (ca. 2007 bis 2009) eine in der britischen Medienöffentlichkeit derart penetrant mit dem dreckigsten Voyeurismus inszenierte Posse“ gewesen, dass... ja was? „...dass mir als einzige halbwegs würdige Reaktion auf ihre systematische, heuchlerische Ausbeutung nur das konsequente Nichtkonsumieren dieser Reality-Seifenoper einfiel.“

Ach ja, das war dann wohl die gerade eben oben nicht erwähnte, dritte Möglichkeit: Die Dinge sehen und „halbwegs würdig“ wegschauen. Zugegeben, dafür gibt’s auch wieder nicht so viel Gutpunkte pour moi aus der Gegenwart.

Aber immerhin hatte ich bei dem bösen Spiel nicht aktiv mitgemacht: „Jetzt, wo die Krokodilstränen schon zu fließen begonnen haben und ein gewisser Teil der absehbaren Trauerarbeit gewiss bereits an die Presswerke delegiert wurde, sollten wir uns jedenfalls an das einst von der Plattenfirma lancierte ‚Help Amy escape from rehab‘-Videospiel erinnern“, mahnt mein Nachrufs-Ich 2011: „Ein makabrer Mordsspaß damals.“

Und doch, an diese Empörung kann ich mich immer noch gut erinnern: Darüber, wie okay es damals plötzlich wieder war, mit dem stellvertretenden Promotion-Modell „Photogenes Drogenwrack“ zu arbeiten.

Warum ich all das hier wieder hervorkrame? Weil dieses Jahr, acht Jahre nach Asif Kapadias Doku „Amy“, rechtzeitig zu ihrem 40. Geburtstag der Mythos Amy Winehouse wieder frisch aufgewärmt wird.

Auf Sam Taylor-Johnson’s viel angekündigtes Biopic „Back to Black“ wird man zwar offenbar noch bis 2024 warten müssen, aber gestern erschien bereits „Amy Winehouse In Her Words“, ein Buch ungefähr nach dem Muster von Kurt Cobains Journals, bestehend also aus Scans privater Handschriften und Fotos.

Buch-Cover Amy Winehouse In Her Words

Robert Rotifer

„In Her Words“ ist bei Harper Collins erschienen.

Mit dem Unterschied, dass Cobains Witwe Courtney Love dessen „Journals“ herausgab, während Amy Winehouse’ Zettelwirtschaft nicht etwa von ihrem (auch nicht unproblematischen) Ex-Partner Blake, sondern ihren Eltern editiert wurde. Das dafür zur Verfügung stehende Material stammt somit logischerweise aus der Zeit, in der Amy noch im Elternhaus lebte, sprich aus ihrer Kindheit und Jugend. Es fühlt sich dementsprechend etwas unangenehm voyeuristisch an, in privaten Urlaubs- und Familienbildern, sowie ihren ersten Schreibversuchen aus dem Volksschulalter zu schmökern.

Zwar sind Kindheitsfotos Teil des gängigen Kults rund um jeden Star, aber Amys Kleinkindphase wird hier bis Seite 79 ausgewalzt. Und wenn dabei zum Beispiel auf Seite 67 das Bild einer kleinen Amy mit ihrer präpubertären Niederschrift von Michael Jackson’s „Bad“ dekoriert wird, wird einem dabei schon auch ein kleines bisschen anders.

Bild junge Amy I'm Bad

Robert Rotifer

Amys Schultage wiederum ziehen sich bis zur Seite 119, danach kommt das Kapitel „Coming of Age“, zu dessen Beginn im Jänner 1997 sie noch bloße dreizehn ist. Kein:e Teenager:in, die:den ich kenne, würde es schätzten, ihre oder seine Liebesbekenntnisse, den Schwarm für den Science Teacher oder Gedanken bei der Selbstbetrachtung im Badezimmerspiegel in aller Öffentlichkeit ausgebreitet zu sehen, selbst wenn diese Fragmente im Nachhinein als Knospenphase ihrer Kreativität legitimiert werden können.

In einem Text scheint Amy etwa eine Art sexueller Nötigung auf einer Party zu beschreiben: „She pushed past him / And snatched her hand from him / As he tried to change her mind / The sweaty bodies pressed together / Made her retch / The couples entwined in unintelligible shapes upset her“, schreibt sie. Und entkommt der Situation, indem sie davonläuft: „She left her money, her coat, her friends and RAN. / She ignored the beeping / Of yobs in white vans / And filthy old men leering.“

Als jemand, der selbst eine (mittlerweile erwachsene) Tochter hat, fände ich es doch ziemlich beklemmend sowas zu lesen. Ihre Eltern, Janis und Mitch, die das Buch auch mit einem Vorwort in vereinter erster Person plural beginnen, kommentieren diese Zeilen dagegen mit den Worten: „Unerwiderte Liebe spielte immer eine Rolle in Amys Texten. Wir wissen nicht, um wen es in diesem Gedicht geht, aber vielleicht war es für uns als Eltern am Besten, es nicht zu wissen!“

Erstaunlich. Aber selbst wenn man es vorzieht, lieber nichts über diese „unerwiderte Liebe“ (wessen Liebe eigentlich in diesem Fall?) zu wissen, ist es dann im Nachhinein auch okay, der Welt genau das zu zeigen, was man selbst nicht wissen wollte?

Auf Seite 160 steht neben einer Wunschliste für den nächsten Kleiderkauf in einem ihrer Kalender der angesichts Amys späterer Bulimie verstörende, an sich selbst gerichtete Satz „No fucking carbs, bitch!!“ Dazu der ebenfalls eher eigenartige Kommentar der Eltern: „Amy hatte einen einzigartigen Blick für Mode und schrieb immer auf, welche Schuhe und welches Makeup sie kaufen wollte. Amys Listen enthielten immer Vermerke zu den Preisen und den Geschäften.“

Und überhaupt: Diese Eltern, hatten die sich nicht getrennt, als sie noch neun war (in zwei herzförmigen Skizzen dokumentiert Amy ihre zerrissene Familie)? Und haben sie nicht bereits jeweils ihre eigenen Bücher als Vater und Mutter der berühmten Tochter geschrieben? War Vater Mitch, ihr „Ratgeber“, der sie „förderte“ und ihr Geld verwaltete, in der Doku „Amy“ nicht auch als Teil ihres Problems rübergekommen?

„My dad’s giving me £60 because he’s stupid“ steht auf einem auf Seite 175 abgebildeten Zettel, wobei es in der Reproduktion eher so aussieht, als wäre das linierte Papier unter der Handschrift für den gewissen, authentischen Touch dazumontiert waren. Daneben steht: „Amys Ehrlichkeit war immer köstlich. Hier plant sie, Mitch um 60 Pfund anzupumpen, aber zehn Jahre später, als sie in jedem Land Nummer 1 war, bettelte sie ihn immer noch um Geld an!“
Hmmm....

Der Erlös der Einnahmen dieses Buchs soll übrigens der von ihrer Familie betriebenen, wohltätigen Amy Winehouse Foundation zugute kommen.

Eines der Probleme, die ich selbst zu ihrer Lebzeit mit dem Phänomen Amy Winehouse hatte, war die Art, in der sie sich selbst – quasi als konsequente Fortsetzung ihres Retro-Looks – im Verhältnis zu ihrem Vater und ihrem Lebensgefährten öffentlich als die zwar unkontrollierbare, letztendlich aber doch unterwürfige Frau und Tochter stilisierte. Siehe: „Why’d you always put me in control? All I need is for my man to live up to his role“ aus „Stronger than me.“

Das ging bis hin zur Ästhetisierung der Opferrolle, siehe: „I’ll take the wrong man as naturally as I sing“ aus „What Is It About Men“.

Ist natürlich ihre Sache bzw. ein Teil ihrer Kunst, mit dem sie genauso spielen konnte wie Generationen von zumeist männlichen Singer-Songschreiber:innen vor ihr. Wenn aber nun im Kapitel „Lyrical Evolution“ unkommentiert ein Vers wie dieser reproduziert wird: „The fact that he doesn’t want me because of my age makes me want him more“, dann wünscht man sich schon, dass jemand dieses Buch herausgegeben hätte, die:der das einem aus der Buchseite förmlich entgegen springende Problem erkennen und benennen kann. Denn es sind ja im Gegensatz zu seinem Titel eben nicht nur Amys Worte, die man in diesem Buch liest.

Es stimmt etwa schon, dass sie 2009 freigesprochen wurde, nachdem eine Burlesque-Tänzerin behauptet hatte, Amy habe ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Aber die rückblickende Anmerkung ihrer Eltern zum Abdruck einer Gerichtszeichnung von damals, auf der man Amy vor Gericht ihr Bein heben sieht, muss einem auch erst einmal einfallen: „Es gibt viele Zeichnungen von Amy, aber diese bringt uns zum Lachen. Nachdem sie fälschlich beschuldigt worden war, eine Tänzerin attackiert zu haben, zeigte sie dem Richter ein wenig Bein und fragte ihn: ‚Könnte jemand mit so kleinen Füßen furchteinflößend sein?’“
Humor.

Man verstehe mich nicht falsch, ich kann heute sogar mehr mit der Musik von Amy Winehouse anfangen als zu jener Zeit, als sie von Menschen meines Alter gern als qualitativ hochstehende, handgemachte, klassisch nach den alten Soul-Singles in der eigenen Plattensammlung klingende Alternative zu „all dem neumodischen Zeug“ verehrt wurde.

Die seither vergangenen Jahre haben ihre Songs von diesem störenden Kulturkampf-Subtext befreit. Und auch vom mitschwingenden Begleitgeräusch ihrer missbräuchlichen Beziehung zur britischen Presse. Amy Winehouse war fraglos eine fantastische Sängerin, und ihre Nummern klingen nicht nur heute so, als wären sie immer schon dagewesen, sondern taten das auch damals schon. Das ist in der Tat eine seltene Qualität. Und als Fan ist es schon legitim, sich in ihre Bilder und ihre Handschrift vertiefen zu wollen.

Aber eine ernsthafte, einfühlsame Auseinandersetzung mit ihrem Leben und ihrem Nachlass sähe anders aus als dieses Buch.

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