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#MeToo und das Strafrecht

Ob bei der Fußball-WM der Frauen, #TechnoMeToo oder Rammstein - zahlreiche Vorwürfe von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch gelangen an die Öffentlichkeit. Was leistet dabei das Strafrecht?

Von Gersin Livia Paya und Diana Köhler

Jede dritte Frau hat als Erwachsene körperliche sexuelle Gewalt erfahren. Das geht aus einer EU-weiten Studie aus dem Jahr 2014 hervor. Nur wenige Sexualdelikte münden allerdings in Anzeigen und Verurteilungen. Bewegungen wie #MeToo haben gezeigt, wie verbreitet und alltäglich sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch sind. Doch es wurde ebenso sichtbar, wie selten mutmaßliche Täter am Ende strafrechtliche Konsequenzen tragen müssen. Denn trotz zahlreicher Vorwürfe zu Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt, etwa bei der Band Rammstein, werden Verfahren eingestellt oder es kommt am Ende zu keinen Verurteilungen.

Laut Statistik Austria hat auch in Österreich jede dritte Frau zwischen 18 und 74 Jahren ab dem Alter von 15 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Stalking betraf jede fünfte, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz jede vierte Frau. Fast 9% aller Frauen in Österreich sind ab dem Alter von 15 Jahren in einer intimen Beziehung und/oder von einer anderen Person vergewaltigt worden. Und das sind nur die Fälle, die auch statistisch erfasst wurden. Expert:innen schätzen die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher.

Das sind schockierende Zahlen. Aber weniger als 10% der Vergewaltigungen werden im Schnitt angezeigt. Laut dem Bericht des Bundeskriminalamtes gab es im Jahr 2022 in Österreich 1647 Anzeigen wegen Vergewaltigung nach §201 StGB.

Studien, die sich damit befassen, zu welchem Ergebnis Anzeigen zu den Delikten „Vergewaltigung“ und „Sexuelle Nötigung“ in Österreich führen, gibt es nur zwei. Und die sind aus den Jahren 1995 und 2009. Beide kommen aber zu sehr ähnlichen Ergebnissen und der Verein Autonome Frauenhäuser vermutet, dass sich die Zahlen auch auf heutige Verhältnisse übertragen lassen: Im Schnitt kommt es nur bei jeder 5. Anzeigen zu einer Verurteilung.

„Die Anzeigebereitschaft ist extrem gering“, bestätigt auch Katharina Beclin, Assistenzprofessorin am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Eine Anzeige und ein Verfahren retraumatisiere die Betroffenen enorm und es verlange viel Kraft und Mut, die Tat zu melden.

Frauen wollen sich das nicht antun

Ab dem ersten Moment hat die oder der Betroffene Angst, nicht Recht zu bekommen, nicht gehört zu werden. Man wisse im Vorhinein nie, wie es ausgeht, sagt Katharina Beclin: „Die Angst, dass noch mehr Kosten und bei einer möglichen Gegenklage einem selbst eine Verurteilung drohen, verunsichert die Opfer sehr. Aber ich glaube der Hauptfaktor ist, dass die Frauen sich das nicht antun wollen.“

Victim Blaming sei im österreichischen Strafrechtssystem immer noch ein großes Problem. Zwar kann man Glück haben und an sehr gut geschulte, informierte und einfühlsame Beamte und Richter:innen gelangen, das ist aber leider nicht immer der Fall: „Je weiter man vom akzeptierten Klischee - konservativ angezogene Frau wird im finsteren Park von einem Fremden überfallen – wegkommt und je näher man den Täter kennt, je freundschaftlicher der Umgang im Vorfeld schon war, umso schwieriger wird es, glaubhaft zu machen, dass es wirklich ein Übergriff war, den man zur Gänze abgelehnt hat“, so Beclin.

Gerade bei bekannten Persönlichkeiten als Beschuldigten ist die Angst groß. Die Angst, dass einem nicht geglaubt wird, vor einer Gegenklage wegen übler Nachrede, vor öffentlichem Outcallen. Das führt dazu, dass viele Betroffene jahrelang schweigen. Taten werden dann nicht geahndet, die Täter nicht verantwortlich gemacht – weder sozial noch juristisch.

Katharina Beclin betont aber, dass sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigung überall passieren können. Prominente Beispiele in den Medien seien nur einzelne Fälle von vielen: “Manchmal sind es langjährige Freunde, Verheiratete, wo man mit dem Ehepaar befreundet ist. Dann ist man mit dem Mann alleine und plötzlich wird er zudringlich. Und wenn ich dann noch etwas getrunken hatte, überleg ich mir vielleicht, ob ich mir das antun will: Die schiefen Blicke, die Zweifel, die Peinlichkeit, da Details gefragt zu werden. Und dann das Ganze noch einmal bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht.“

Dem Strafrechtssystem fehlt es an Ressourcen

Bei sensiblen Fällen wie zum Beispiel Vergewaltigung kann das Opfer bei einer Verhandlung vor Gericht eine abgesonderte Befragung verlangen. Die betroffene Person sitzt dabei in einem eigenen Raum und wird über Video befragt. So muss sie nicht mit dem vermeintlichen Täter im selben Raum sein und kann das Erlebte dem Richter, der Richterin besser schildern. Das sei wichtig, so Katharina Beclin. Denn auch in solchen Fällen stehe Aussage gegen Aussage, das vermeintliche Opfer muss das erlebte glaubwürdig vermitteln können. In manchen Gerichten aber gibt es nur sehr wenige dieser speziellen Räume für eine abgesonderte Befragung. Oft müsse man bis zu drei Monate auf so eine Befragung warten, sagt Katharina Beclin. Das führe dazu, dass viele auf die abgesonderte Vernehmung verzichten, was einen noch größeren Stress während der Aussage bedeutet. Zum Glück würde die Infrastruktur für eine abgesonderte Befragung jetzt aber, zumindest in Wien, ausgebaut.

Da es aber an Zeit fehlt, würden Staatsanwälte und Staatsanwältinnen die Opfer und Tatverdächtigen aber oft erst gar nicht zur Vernehmung vorladen. Das Verfahren wird dann eingestellt, ohne dass Opfer die Möglichkeit hätten, ihren Fall vor Staatsanwaltschaft oder Gericht zu schildern, sagt Katharina Beclin.

Hilfe bei der Anzeige

Stellen an die man sich als betroffene Person wenden kann, sind die Frauenhelpline gegen Gewalt unter 0800 222 555 oder frauenhelpline.at, die Mädchenberatung für Mädchen und Frauen unter maedchenberatung.at, oder die Frauenberatung.

Das Hilfe-Telefon bei sexuellem Missbrauch 0800 22 55 530 sowie die bundesweiten Anlaufstellen und Angebote bei sexueller Gewalt.

Entschließt man sich zu einer Anzeige, ist es besonders wichtig, eine erfahrene Vertrauensperson zur Einvernahme mitzunehmen. Diese kann unangenehme und unangebrachte Fragen und Aussagen im besten Fall sofort unterbinden. Solche Begleitpersonen werden auch von verschiedenen Opferberatungsstellen zur Verfügung gestellt.

Das würden aber viele nicht wissen, sagt Katharina Beclin: „Es muss mehr bekannt werden, dass es für alle Frauen die Möglichkeit der Begleitung gibt. Sowohl bei der Polizei als auch bei Gericht. Jede Frau und Mädchen muss wissen, dass das ganz niederschwellig zugänglich ist, muss wissen, wo man anruft. Das sollte allen beigebracht werden wie die Nummer der Rettung, Feuerwehr, Polizei. Ganz selbstverständlich.“

Am Dienstag in FM4 Auf Laut

Warum zeigen Betroffene die Täter bei sexualisierten Übergriffen oft nicht an - und was braucht es, damit sie es sicher tun können?

Wir haben zwei Expertinnen eingeladen, die in FM4 Auf Laut Fragen beantworten und Ratschläge geben: Sonja Aziz, Anwältin für Opferschutz und Katharina Beclin, Assistenzprofessorin für Kriminologie an der Uni Wien. Was wollt ihr von ihnen wissen?

Die Nummer ins Studio: 0800 226 996 (besetzt ab Di 21 Uhr) oder auch per WhatsApp-Sprachnachricht unter 0664 828 4444

Wenn ihr um eure Sicherheit besorgt seid, könnt ihr eure Erfahrungen auch anonym schildern! Bei der Studionummer gelangt ihr zuerst an eine Mitarbeiterin am Telefon, der ihr das mitteilen könnt.

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