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Psychotherapiesitzung

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„Gesund aus der Krise“: Kommt Psychotherapie über Krankenkassa?

Psychologische Behandlung als Kassenleistung? Die Dringlichkeit dieser Forderung wird zum Beispiel durch die WHO-Studie zur Gesundheit österreichischer Schüler:innen deutlich. Das Projekt „Gesund aus der Krise“ des Gesundheitsministeriums macht seit April 2022 einen Anfang - jetzt geht es um die langfristige Absicherung.

Von Siri Malmborg

In Österreich haben mehr als jedes fünfte Mädchen und jeder zehnte Bursch unter 18 Jahren depressive Symptome: Stress- und Angstzustände, Essstörungen, Selbstverletzungen oder Suizidgedanken. Zu diesem Ergebnis kommt die WHO-Studie zur Gesundheit österreichischer Schüler:innen 2021/22. Der Aufruf des Gesundheitsministers Johannes Rauch an junge Menschen: „Wenn ich mir den Fuß gebrochen habe, lasse ich mich ärztlich behandeln. Und wenn es mir schlecht geht, wenn ich mich depressiv fühle, hole ich mir Hilfe.“ Dafür braucht es aber genügend Plätze, einfachen Zugang und das nötige Geld - kurz: psychologische Behandlung als Kassenleistung.

Als Übergangslösung gibt es seit April 2022 bis vorläufig Ende 2024 das Projekt „Gesund aus der Krise“ des Gesundheitsministeriums. Das Ganze wird vom Berufsverband Österreichischer Psycholog:innen und dem Bundesverband für Psychotherapie umgesetzt. Unter-22-jährige können im Rahmen des Projekts 15 kostenfreie klinisch psychologische, gesundheitspsychologische oder psychotherapeutische Beratungs- oder Behandlungseinheiten bekommen. Auch Gruppensessions sind möglich. „Gesund aus der Krise“ bietet psychosoziale Versorgung österreichweit, möglichst wohnortsnah, kostenlos, niederschwellig und ohne lange Wartezeiten an. Gesundheitsminister Rauch zur Zukunft des Projekts: „Ja, es ist die Absicht, das längerfristig im Regelsystem zu etablieren.“

Psychotherapiesitzung

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Alma, Juliana und Michelle haben sich angemeldet

Die 16-jährige Schülerin Alma hat im Rahmen von „Gesund aus der Krise“ psychologische Behandlung bekommen. Sie hatte davor schon länger nach leistbaren Angeboten gesucht. Ihre Eltern sollten es nicht mitbekommen, weil sie das Konzept von Psychotherapie nicht unterstützen. „Ich hab mich davor schon ein paar Monate informiert gehabt und ich hab nichts gefunden. Das ist ein sehr schwieriger Prozess, eigentlich. Vor allem, wenn man nicht will, dass die Eltern was davon mitbekommen. Und wie man das eben bezahlt, als Jugendliche in unserem Alter, weil das ist ja keine Möglichkeit für uns.“ Die Anmeldung bei „Gesund aus der Krise“ sei dann schnell, einfach und überhaupt nicht scary gewesen, sagt Alma. Ab 14 Jahren können sich Jugendliche beim Projekt eigenständig anmelden, teilweise werden sie auch durch Sozialämter, Schulpsycholog:innen und Kinderärzt:innen zugewiesen.

Juliana ist 15 und hat ebenfalls am Projekt teilgenommen. „Ich bin in meiner Familie, in meinem kulturellen Kreis, in meiner Freundesgruppe eine der ersten, die das gewagt hat. Jetzt ermutige ich auch die Leute um mich herum, das zu wagen. Weil ich finde das schon einen wichtigen Schritt für einen selbst.“
Auch Michelle ist froh, dass sie sich Hilfe geholt hat. Sie war davor nie in Therapie und wusste nicht, was da auf sie zukommt: „Es war so etwas Schönes, es einfach jemanden erzählen zu können, wo du merkst, die hört dir wirklich zu und interessiert sich dafür.“

Weiterhin Versorgungslücken

Gesundheitsminister Rauch will psychische Gesundheit allgemein besser im Gesundheitssystem verankern und verweist auf die Gesundheitsreform: „Was psychische Gesundheit angeht, sind wir sowieso dabei, die Dinge auf den Weg zu bekommen: Psychotherapie als universitäre Ausbildung zu verankern; in psychische Gesundheit insgesamt zu investieren; die mentale Gesundheit vor allem bei Kindern, Jugendlichen nach vorne zu bringen.“

Servicenummern für Soforthilfe

  • Rat auf Draht 147
  • Notarzt 144
  • Ärztefunkdienst 141
  • Patientenservice 1771
  • Telefonseelsorge 142
  • Frauenhelpline: 0800 222 555
  • Sozialpsychiatrischer Notdienst in Wien 01 31 330
  • Notschlafstelle A-way für Jugendliche in Wien 01 8975219
  • AKH-Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wien 01 40400 30140
  • Kinder- und Jugendpsychiatrie Rosenhügel 01 88000 339
  • Psychosoziale Dienste in den Bundesländern

Es bestehen weiterhin Versorgungslücken - selbst wenn es gelingt, „Gesund aus der Krise“ ins Regelsystem zu überführen. Der Bedarf an Behandlungsplätzen für junge Menschen in Österreich wird auf etwa 70.000 geschätzt. Bei „Gesund aus der Krise“ können insgesamt voraussichtlich 28.000 Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung von psychischen Belastungen unterstützt werden. Auch ist unklar, wie sich junge Menschen ab 22 Jahren leistbare Hilfe holen können oder was zu tun ist, wenn die über „Gesund aus der Krise“ verfügbaren Stunden nicht ausreichen. Zudem sind andere Bereiche wie die stationäre psychiatrische Versorgung hier nicht berücksichtigt.

„Gesund aus der Krise“-Projektleiterin Fabienne Patek erklärt, wie das Regelsystem derzeit funktioniert: Es wird unterschieden zwischen klinischen Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen. Bei klinischen Psycholog:innen bekommt man nur Diagnostik auf Krankenkassa bezahlt. Die Beratung oder Behandlung muss dann privat bezahlt werden. In der Psychotherapie schaut es etwas anders aus: Da bekommt man bei allen niedergelassenen Psychotherapeut:innen den sogenannten ÖGK-Kostenzuschuss. Es werden zum Beispiel 30 oder 35 Euro vom gesamten Honorar rückerstattet. „Krankenkassenplätze bei Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten brauchen ewig lange Wartezeiten, meist ein halbes Jahr, oft sogar länger. Dann kann es aber schon bezahlt werden,“ so Patek.

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Pexels/Alex Green

Langfristige Absicherung

Das Projekt „Gesund aus der Krise“ funktioniere sehr gut und sei in Europa einzigartig - da sind sich die Präsidentin des Berufsverbands österreichischer Psycholog:innen Beate Wimmer-Puchinger, die Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, Barbara Haid, und „Gesund aus der Krise“-Projektleiterin Fabienne Patek einig. "Wir sind ein Leuchtturmprojekt für ganz Europa, das gibt es nirgendwo. Und unser ganzes Gesundheitssystem kann sich von „Gesund aus der Krise" ganz viel abschauen, weil wir zeigen, wie es funktioniert“, sagt Barbara Haid. Das Projekt müsse jetzt aber langfristig ins Regelsystem überführt werden.

Gesund aus der Krise:

Mo-Fr von 8-18.00 Uhr unter der Service-Nummer 0800 800 122

Per Mail: info@gesundausderkrise.at

Das sieht Gesundheitsminister Johannes Rauch auch so. Was es dafür braucht? „Geld. Es braucht die Finanzierung, es braucht die Absicherung. Es braucht Gespräche auf allen Ebenen. Wir werden auch eine große Auswertungsrunde machen, im ersten Quartal einen Erfahrungsbericht vorlegen und darauf aufbauend die Gespräche suchen mit allen, die für die Finanzierung auch mitverantwortlich sind.“ Das österreichische Gesundheitssystem habe eine komplizierte Finanzierungsstruktur - man müsse sich mit Sozialversicherung und den Ländern einigen, so Johannes Rauch. Wenn das funktioniert, könnte es psychologische Behandlung für Jugendliche ganz regulär über die Krankenkassa geben.

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