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17.10.23 Comeback Album von The Streets

Ben Cannon

The Streets – mit neuem Album zurück zur Höchstform

Der englische Rapper, DJ und Produzent Mike Skinner a.k.a. The Streets meldet sich nach 12 Jahren mit einem neuen Studioalbum und einem wunderlichen Film zurück. „The Darker The Shadow The Brighter The Light“ handelt vom Dasein als DJ in all seinen Facetten. Ein gelungenes Comeback.

Von Christian Lehner

Mike Skinner sitzt unter Palmen. Die Sonne scheint durch die Blätter. Im Hintergrund das Meer. Gähnend schaut Mike Skinner in die Kamera. Er ist müde. Er hat am Vortag aufgelegt und am Tag nach unserem Video-Interview geht es erneut in einen Club. Doch Mike Skinner ist nicht aus Miami zugeschalten oder irgendwo aus der Karibik von einer DJ-Tour. Die Palmen sind Fake – ein Bildschirmfilter, den sein kleiner Sohn eingestellt hat. Skinner sitzt in seiner Wohnung in London. Augenringe. Blasse Haut. Er ist müde. Haben wir das bereits erwähnt?

“Es ist natürlich anstrengend, jede Nacht auf Achse zu sein”, gähnt Mike Skinner zum wiederholten Male. “Es ist gestern wieder eher spät geworden.” Das Szenario passt perfekt, denn am neuen Album von The Streets geht es genau um das: ein Leben als DJ, um lange Nächte im Stroboskop-Gewitter, um schwitzende Körper, den Rausch der Nacht, das Weh des Morgens. Sogar olfaktorische Elemente fließen in die Texte ein. Im Track “Someone Else’s Tune” schwärmt Skinner: “This evening’s smoke machine can even smell like a perfume“. Es ist offensichtlich, Mike Skinner liebt das Auflegen. Es ist ihm wesentlich näher als die Live-Performance mit ihren einstudierten Set-Listen, Proben und Abläufen.

Als DJ musst du der Crowd folgen, nicht umgekehrt.”

“DJing ist so viel kreativer! Du weißt nicht, was du in drei Minuten machen wirst. Wenn du aber Songs singst, kopierst du etwas, das du vor langer Zeit gemacht hast. Und es ist so unberechenbar. Den einen Tag legst du vor Tausenden Menschen auf einem Festival auf, den anderen in einer kleinen Küstenstadt, wo niemand aufkreuzt. Als DJ musst du der Crowd folgen, nicht umgekehrt.”

Erfolg mit neuem Sound in den Nullerjahren

Vor knapp 20 Jahren gelang Mike Skinner mit dem Album “Original Pirate Material” der internationale Durchbruch. Skinner brach mit Rap-Traditionen und Klischees. Er erzählte von einem sich anbahnenden Loser-Leben als Geezer zwischen trostlosen englischen Vorstädten, Zurückweisungen beim Flirten und einem hatscherten Sozialleben. Als The Streets imitierte Mike Skinner dabei nicht die übergroßen US-Vorbilder, sondern rappte mit britischem Akzent über UK-Clubsounds wie 2 Step Garage, die er in seinem Wohnzimmer selbst zusammenlötete. Dem Ghetto und Gangsta setzte er die untere britische Mittelklasse und einen an den Umständen und sich selbst verzweifelnden, trockenen Witz entgegen. Zu dieser Zeit hatte niemand frechere und treffendere One-Liners in seinem Repertoire.

Cover von The Streets Album "The Darker The Shadow The Brighter The Light"

Warner

„The Darker The Shadow The Brighter The Light“ ist bei Warner Music International erschienen. Hier geht es zum Interview-Podcast mit Mike Skinner.

Das Konzept ließ sich noch über zwei Alben ziehen, dann lockte der Hafen der Ehe, das Familienglück und eine wohl etwas poshere Bleibe. Mit den sich rapide verbessernden Lebensbedingungen verengten sich für Mike Skinner jedoch die Perspektiven auf jenen Lifestyle, der ihn nach oben gebracht hatte.

Unwillig, den mit vergoldeten Sneakers ausgetretenen Weg des Rap-Stars vom Habenichts zum Have-It-All zu beschreiten, konzentrierte sich Skinner nach dem eher mäßigen Album “Computers and Blues” (2011) auf das Dasein als DJ. Außerdem produzierte der bekennende Cineast gelegentlich Filmmusik und Musikvideos. Mit dem Features-Mixtape “None of Us Are Getting Out of This Life Alive“ (2020) fand Mike Skinner allmählich wieder Gefallen am Schreiben von Raps.

“Es geht schon auch darum, authentisch zu bleiben und nicht dem Geld hinterherzulaufen”, sinniert Mike Skinner. “So kannst du etwas Nachhaltiges aufbauen. Ein Wegweiser ist die Leidenschaft. Was begeistert mich zu einer bestimmten Zeit und wie kann ich daraus etwas machen?”

Skurriler Film und tolles Comeback-Album

Ja ja, die Leidenschaft! Sieben Jahre hat Mike Skinner an seinem Movie-Debüt “The Darker The Shadow The Brighter The Light” gebastelt. Wie sein Album-Erstling entstand auch der Film im Do-It-Yourself-Verfahren. Mike Skinner schrieb das Drehbuch, finanzierte die Produktion und übernahm Hauptrolle und Regie. Die Geschichte handelt von einem etablierten, aber alternden DJ, der durch das Nachtleben driftet. Dann gerät er zunehmend auf die schiefe Bahn. Ein Mord geschieht.

17.10.23 Comeback Album von The Streets

Ben Cannon

“The Darker The Shadow The Brighter The Light” ist ein liebevoller, aber äußerst skurriler Film geworden. Die Clubszenen sind großartig inszeniert. Die Dialoge und das Schauspiel wirken jedoch hölzern as hell. Surreal ist die Tonspur, die sich immer auf einem Level bewegt, egal ob im Club, im Bett oder auf der Straße miteinander gesprochen wird. Mike Skinner hat sich jahrelang mit Aufnahmetechniken beschäftigt und darüber wohl auf die Entwicklung der Story und der Dialoge vergessen. Die 15 Songs, die Mike Skinner noch vor dem Drehbuch (sic!) geschrieben hatte, bilden den Soundtrack zum Film. “Die Musik trägt die emotionale Qualität des Movies. Es ging mir dabei weniger, darum bestimmte Szenarien zu beschreiben, die erledigt ohnehin der Film.”

Die Songs erzählen die Story

Glücklicherweise liegt Mike Skinner mit dieser Einschätzung falsch. Die Songs sind nicht bloß Stimmungsträger für den Film - dazu ist Mike Skinner ein viel zu guter Geschichtenerzähler. Und weil wir es bei diesen Berichten mit direkten und ungeschönten Erfahrungen und Bildern aus dem DJ-Leben zu tun bekommen, ist “The Darker The Shadow The Brighter The Light” das beste The-Streets-Album seit der Trilogie in den Nullerjahren geworden. Auch das tanzbarste. Tracks wie “Something To Hide”, “Not A Good Idea”, “Someone Else’s Tune” und “Troubled Waters” führen entlang von Reggae, Two-Step-Garage, House, Soul-Samples und Drum’n’Bass direkt auf den Dancefloor.

Songs wie “Each Day Gives” und “Walk Of Shame” verbreiten hingegen Blues und Katerstimmung. Die One-Liner sitzen wieder und die detaillierten Beobachtungen schaffen den Sprung raus aus dem Club in die höhere Bedeutung. “Hating work and turning up forever“ aus dem Stück „Troubled Waters“ ist so ein Satz, den man sich tätowieren lassen könnte. Und auch dazu tanzen.

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