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Dialog-Szenen aus Killers of the Flower Moon und Master Gardener

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„Killers Of The Flower Moon“ & “Master Gardener”: Neues von Martin Scorsese und Paul Schrader

Der FM4 Film Podcast taucht in die aktuellen Werke zweier befreundeter Regisseure ein, die tief in die Abgründe der amerikanischen Seele blicken.

Von Christian Fuchs

Einst waren sie das Dreamteam des New Hollywood Kinos. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als ein Hauch von Revolte inmitten des filmischen Mainstreams aufflackerte, gelang Martin Scorsese und Paul Schrader der Durchbruch. Der erstere ein Katholik aus dem New Yorker Little Italy Viertel, nahe an der Sünde gebaut, dem Lichtspiel-Medium wie ein Ministrant ergeben. Der zweitere aus dem Bundesstatt Michigan stammend, von streng calvinistischen Eltern erzogen, frei von popkulturellen Einflüssen aus Funk und Fernsehen aufgewachsen.

Wenn man sich die Filme der beiden Freunde ansieht, drängt sich der religiöse Background nicht gerade auf. Da taumeln Charaktere durch ein sehr irdisches Fegefeuer, angetrieben von Kokain, Gier und Wut. Aber Scorsese und Schrader sind hochmoralische Künstler, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.

Martin Scorsese und Lily Gladstone beim Dreh von „Killers of the Flower Moon”

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Martin Scorsese, mit 80 längst selber als Regiegott verehrt, hat seine spirituelle Sinnsuche in etliche Spielfilme, Dokus und auch Serien verpackt, die zwischen Realismus und Künstlichkeit, Kunst und Kommerz, meditativer Ruhe und Rock’n’Roll-Fiebrigkeit pendeln. Die Dichte an Meisterwerken ist so hoch wie wohl bei keinem anderen zeitgenössischen Regisseur. Ein Film von Marty ist völlig zurecht immer noch ein Ereignis.

Die Karriere von Paul Schrader (77) verlief steiniger, hat etwas von einer Achterbahnfahrt zwischen Geniestreichen und Flops. Im Alter konnte der einstige Star-Drehbuchautor des New Hollywood aber auch als Regisseur an frühere cineastische Großtaten anschließen. Dabei führt die Reise inhaltlich immer wieder zu einem gemeinsamen Schlüsselwerk von Scorsese und Schrader zurück. „Taxi Driver“ wurde zur Blaupause für Filme über entfremdete Männer, die in eine fatale Lebenskrise geraten. Heute würde man diese Figuren vielleicht Incels nennen und keine Rezension würde ohne den Begriff „toxisch“ auskommen.

Taxi Driver

Sony/Columbia

Meistergärtner mit Leichen im Keller

Paul Schrader spricht im Zusammenhang mit nachtschwarzen existentiellen Dramen wie „Taxi Driver“ (1976) oder „Light Sleeper“ (1992) lieber von Gods lonely men. Zitat: „Der Mann, der zwar immer von anderen umgeben ist, aber keine Freunde unter ihnen hat. Das absolute Symbol für die Einsamkeit in der Großstadt.“

In jüngerer Zeit präsentierte Schrader sogar eine ganze Trilogie zum Thema männlicher Einzelgänger mit oftmals dunkler Vergangenheit. In „First Reformed“ leidet Ethan Hawke als verbitterter Priester, der im Zusammenhang mit der Klimakrise seinen Glauben verliert. „The Card Counter“ zeigt Oscar Issac als ehemaligen Folterknecht der US-Army, der stoisch am Spielertisch auf Vergebung wartet. Nun begegnen wir Joel Edgerton als „Master Gardener“, der über Blumen philosophiert und mit viel Liebe den Garten einer Südstaaten-Witwe betreut, bis klaffende Abgründe sichtbar werden.

Szene aus Master Gardener: Mann und Frau sitzen nebeneinander auf einer Parkbank

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Mit Filmen wie „Taxi Driver“ waren sie ein Dreamteam des rauen New Hollywood: Regisseur Martin Scorsese und Drehbuchautor Paul Schrader spezialisierten sich auf kaputte Männerfiguren mit gewalttätigen Facetten. Diesem Thema sind sie auch in ihren neuen Filmen treu. Pia Reiser und Christian Fuchs tauchen im aktuellen FM4 Filmpodcast tief in die Welt von Marty & Paul ein.

Narvel Roth lautet der seltsame Name des kultivierten Meistergärtners, der offensichtlich Leichen im Keller hat. Wie alle verwandten Figuren von Paul Schrader schreibt auch Joel Edgertons Zen-Florist seine Gedanken nieder. Jeder Abend endet mit einsamen Tagebucheinträgen. Erst wenn der „Master Gardener“ ins Bett geht, sein Hemd auszieht, wird sein Fluch sichtbar. Neonazi-Tätowierungen auf dem ganzen Körper erzählen von früheren Zeiten im Zeichen der Gewalt.

Der Gärtner hat die Seiten gewechselt, der Wut entsagt, aber sie holt ihn ein. Als er sich um die junge Großnichte seiner Chefin kümmern soll, wird er wieder mit Kriminalität und Härte konfrontiert. Wer jetzt an schundige Rächerfilme denkt, täuscht sich natürlich. Wie sein Freund Martin Scorsese seziert und analysiert Paul Schrader seine toxischen Charaktere auf hochkünstlerische Weise.

Während „First Reformed“ und „The Card Counter” jedoch durchgehend fesseln und mit kathartischen Enden begeistern, plätschert „Master Gardener“ bisweilen eher dahin. Joel Edgerton bemüht sich sichtbar, Sigourney Weaver fasziniert allein mit ihrer Präsenz, Kamera und Schnitt sind top. Aber irgendwie fehlt es dem Drama an der nötigen Dringlichkeit. Paul Schrader hat wohl schon so viele kaputte Kerle portraitiert, dass sich Routine eingeschlichen hat.

Szene aus Master Gardener: Mann und Frau unterhalten sich

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Eines der dunkelsten Kapitel der US-Geschichte

In einer ganz anderen Liga spielt der erschütternde neue Film von Martin Scorsese. Der Chronist urbaner Minenfelder wagt sich nach Streifen über Auftragsmörder, Amokläufer und Börsenhaie jetzt an einen True-Crime-Stoff heran. „Killers of the Flower Moon“ basiert, nach einem gleichnamigen Doku-Roman, auf einem Kriminalfall, der in den 1920er Jahren durch die Schlagzeilen geisterte. Damals wurden im Osage County, Oklahoma zahllose Native Americans
unter mysteriösen Umständen ermordet.

Martin Scorsese konfrontiert uns schnell mit dem Grauen, präsentiert uns aber anfangs noch kurz eine Utopie. Wir sehen indigene Menschen, die so gar nicht den üblichen Hollywood-Klischees entsprechen. Frauen und Männer in mondäner Großstadtmode, gemischt mit traditioneller Stammeskleidung. Minutiös nachgestellte Wochenschau-Aufnahmen berichten vom finanziellen Aufschwung der Osage Nation, nach Erdölfunden auf ihrem Land.

Szene aus Killers of the Flower Moon: Frau in Uniform und zwei Männer im Anzug stehen nebeneinander, lächelnd

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„Killers of the Flower Moon“ zeigt die Freude in den Gesichtern der Native Americans, die vom plötzlichem Reichtum überrollt wirken. Aber schon der Filmtitel lässt Schreckliches ahnen. Wir ahnen schnell, dass hinter den Verbrechen eine Verschwörung eiskalter weißer Geschäftsleute steckt, die sich Grundbesitz sichern wollen. Leonardo DiCaprio wird als Kriegsheimkehrer in die Machenschaften seines undurchsichtigen Onkels Robert De Niro gezogen. Der perfide grinsende Fädenzieher macht seinen Neffen sogar auf die zukünftige Gattin aufmerksam. Lily Gladstone fasziniert als junge Osage-Frau mit stiller Souveränität.

Dass der amerikanische Traum eng mit kapitalistischem Terror und Völkermord verknüpft ist, davon erzählen auch berühmte Westernepen, vor allem als die New-Hollywood-Rebellion das Genre erfasste. Scorseses Zugang ist dennoch speziell. Die Netzwerke des Bösen in „Killers of the Flower Moon“ lassen oft an die Mafiafilme des Regisseurs denken. Auch da wimmelt es vor repressiven Männerbünden, werden beste Freunde und Familienmitglieder rücksichtslos geopfert.

Szene aus Killers of the Flower Moon: Mann und Frau sitzen nebeneinander beim Essen

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Den verstörenden Tatsachen folgend nähert sich Martin Scorsese einem der dunkelsten Kapitel der US-Geschichte, authentisch, einfühlsam und schonungslos zugleich. Dreieinhalb spannende Stunden lang. Robert De Niro verkörperte für Scorsese bereits etliche Prototypen giftiger weißer Männer, Leonardo DiCaprio den Wolf aus der Wallstreet. Nun treffen sie aufeinander und verschmelzen fast in ihrer Niedertracht. „Killers of the Flower Moon“ gehört aber der großartigen Lily Gladstone und ihrem Blick, was für eine erschütternde Performance in einem Film, der einen lange verfolgt.

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