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Filmstill aus dem Film "Angst"

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FILM

Keine Angst: Österreichisches 80er-Kino bei der Viennale

Das Filmarchiv Austria blickt zurück auf eine Dekade zwischen Aufbruchstimmung und „No Future“ Parolen. Inklusive einer verstörenden Weltpremiere.

Von Christian Fuchs

Ein bisschen scheint es jetzt auszuplätschern, das scheinbar nicht enden wollende 80ies-Revival in der Popkultur. Anfang dieses Jahrhunderts hörte man die ersten pochenden Oldschool-Drumcomputer wieder, ertönten flirrende Postpunk-Gitarren in Indieclubs, trugen junge Menschen Secondhand-Lederjacken mit Schulterpolstern zu Vintage-Haarschnitten. Inzwischen haben wir unzählige Bands mit Retro-Touch ebenso überstanden wie dazugehörige Serien-Hypes („Stranger Things“) oder den Nostalgieflash von „Top Gun: Maverick“.

Mindestens doppelt so lange wie das eigentliche Jahrzehnt dauerte das Comeback der 80er also, wobei es natürlich nur die plakativsten Zeichen in die Wiederverwertungs-Maschinerie schafften. Was in der Hype-Hysterie oft untergegangen ist, war der wirkliche Zeitgeist damals.

Filmstill aus "Atemnot"

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Ich darf als Zeuge der Ära feststellen: Ja, ein heftiger Hedonismus regierte auf nächtlichen Tanzflächen, kühle New-Wave-Bands lieferten den Soundtrack zu einem schnelleren Lebensgefühl, Künstler:innen aller Sparten entwickelten neue, aufregende Ästhetiken. Aber dieses Gefühl von Modernität, das auch in Österreich zumindest die größeren Städte erfasste, hatte einen apokalyptischen Unterton.

Kontrastierte die Aufbruchsstimmung doch mit einem Katalog von Ängsten auf der anderen Seite. Der Kalte Krieg triggerte Albträume, in denen sich Atompilze am Horizont entfalteten, die Panik um AIDS erfasste die Clubszenen, Umweltkatastrophen dominierten die Nachrichten. Falco brachte die Wechselwirkung von Eskapismus und Depression auf den Punkt: „Brot und Spiele san gefragt, No future extrem angesagt.“

Filmstill aus "Ich oder du"

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Heimwärts durch eine Stadt aus Stahl

„Keine Angst“ lautet der programmatische Titel einer Viennale-Retrospektive im Wiener Metrokino, die einige Schlüsselfilme aus dem österreichischen Kino der 80er aus den Archiven holt. Sofort kommt Veteran:innen natürlich der gleichnamige Song der verstorbenen Austro-Legende Hansi Lang in den Sinn. 1982 wurde die Single zur Hymne einer entfremdeten Jugendszene.

Ich fahre wieder heimwärts durch eine Stadt aus Stahl, ich setz’ mich nieder auf mein Herz, Und spür’, es ist das letzte Mal“, singt der Protagonist, bevor er zur Sprühdose greift. „Keine Angst“ schrieb Hansi Lang damals auch bei seinen sensationellen Livegigs therapeutisch auf die Wände. Das hört sich retrospektiv vielleicht etwas naiv an, das Widerstands-Pathos gegen eine eisige Gesellschaft funktionierte jedoch.

Filmstill aus "Die Erben"

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Dabei fand die Auseinandersetzung der Cool Kids mit der Welt Anfang der 80er auf sehr ambivalente Weise statt. Denn im Gegensatz zur Hippie-Revolution davor fühlten sich viele Punks, Post-Punks und New Waver abgekoppelt von bisherigen ideologischen Versprechungen. Man wollte sich weder in den konservativen Mainstream einreihen noch mit Alt-68ern demonstrieren, die einen verstaubten Kultur-Zugang verkörperten.

Das führte etwa in Wien zu strengen Distinktionskämpfen zwischen besetzten Häusern, dem U4 Club und Partys in Studenten-WGs, die aus heutiger Sicht bizarr wirken. Jede(r) wollte sich abgrenzen, nur nicht mit irgendeinem Strom mitschwimmen. Besonders nihilistische Fraktionen, wie frühe Goth- und Industrial-Szenen, feierten sogar den Beton, die Leere, das weiße kalte Neonlicht der U-Bahn-Stationen, um Hippies zu schockieren.

Filmstill aus "Die Nachtmeerfahrt"

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Rare Dokumente & skandalöse Sensationen

Warum ich so ausführlich auf diese einstigen Befindlichkeiten eingehe? Weil sich das Österreichischen Kino in den 80ern selten bis gar nicht auf die tatsächliche Stimmung der progressiven Jugendlichen einließ. Regisseur:innen wie Käthe Kratz oder Dieter Berner stammten nämlich aus der 68er-Generation mit den dazugehörigen Utopien, sie näherten sich den frühen Achtzigern mit einem Idealismus, der gerade abgemeldet war. Das führt dann dazu, dass sich im Subkultur-Klassiker „Atemnot“ (1984) ein juveniles Aussteigerpärchen mit Punks und Hippies verbündet, zu einem Protestsong von Sigi Maron. Ein Szenario, das in der Realität eventuell zu Schlägereien geführt hätte. Aus gegenwärtiger Perspektive ist der Film jedoch ein rares Wien-Dokument.

Hansi Lang himself irrlichert als drogenaffiner Strizzi durch den atmosphärisch dichten Outsider-Streifen „Ich oder du“ (1984), eine sehr sehenswerte Filmballade über gescheiterte Rock’N’Roll-Existenzen. Kitty Kinos queere Pioniertat „Die Nachtmeerfahrt“ (1985) fängt tatsächlich etwas vom Flair der Wiener Ausgehszene ein, dazu verschwimmen Gendergrenzen. Mit „Die Erben“ (1983) von Walter Bannert ist auch ein Film im Programm, der viel diskutiert von der Begeisterung österreichischer Teenager für rechtsradikale Jugendclubs erzählt.

Filmstill aus dem Film "Angst"

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Noch entschieden kontroverser geht es in einem Film aus der Retro zu, der seit seiner skandalösen Premiere 1983 quasi vor der Öffentlichkeit versperrt wurde. „Angst“, ein True-Crime-Schocker, der seiner Zeit weit voraus war, geriet bald nach dem Kinostart zwischen die Mühlen feindlicher Pressestimmen und erzürnter Publikumsreaktionen. Regisseur Gerald Kargl, der den Film noch ohne Förderung selbst produzierte, musste Jahrzehnte lang in der Werbung Geld verdienen, um die Schulden abzuzahlen.

Auch das SLASH Filmfestival bemühte sich lange um „Angst“, aber Regisseur Kargl fühlte sich von dem Flop regelrecht traumatisiert. Dass der hochgradig verstörende Homeinvasion-Thriller nun in einer restaurierten Fassung bei der Viennale gezeigt wird, darf man also als kleine Sensation bewerten. Denn Georg Kargls einziges Werk genießt mittlerweile international einen kultischen Ruf. Gaspar Noé sagt, „Angst“ sei einer seiner alltime favourites. Brandon Cronenberg schwärmte mir unlängst ausführlich von dem Film vor.

Filmstill aus dem Film "Angst"

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Worum geht es? Basierend auf einem wahren Fall beginnt „Angst“ mit der Entlassung eines namenlos bleibenden Verbrechers aus langer Haft - und seinen sofort wieder einsetzenden Mordfantasien. Während auf der Tonspur nur die fiebrigen Gedanken des Killers zu hören sind (aus dem Off von Hauptdarsteller Erwin Leder gesprochen) und ein dunkel pulsierender Synth-Soundtrack, sehen wir Bilder des Grauens. Der Täter bricht in eine Wochenendvilla ein, wo eine ältere Frau mit ihrer jungen Tochter wohnt.

Was dann passiert, verdient durchaus eine Triggerwarnung. Also: Wer „Funny Games“ von Michael Haneke für den härtesten österreichischen Film hält, kennt „Angst“ noch nicht. „Keine Angst“ solle man jedenfalls vor dieser exquisiten kleinen Viennale-Retro haben.

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