FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Filmstills aus "Europa" von Sudabeh Mortezai

Fratella Filmproduktion

film

Die perfide Kunst der Ausbeutung

Im Spielfilm „Europa“ fährt eine junge deutsche Managerin nach Albanien, um sich dort für ihre Firma (namens „Europa“) Land anzueigenen. Dabei wird ihr hart antrainiertes corporate behaviour nicht nur ein Mal auf die Probe gestellt.

von Anna Katharina Laggner

Beate Winter trinkt keinen Alkohol, sie mag keine spontanen Umarmungen, keine holprigen Straßen und sie mag es auch nicht, wenn ihr die Zimmervermieterin selbst eingelegte, süße Feigen oder Marillen in den Mund schiebt. Was Beate Winter hingegen mag, ist, mit unveränderlich kühlem Gesichtsausdruck Sätze aus einer Art unternehmerischer Retorte aufzusagen und damit ihrem Gegenüber (allen voran einem Schafzüchter und Imker) weiszumachen, dass es in seinem eigenen Interesse ist, das Land, das er von seinem Vater (und der wiederum von seinem Vater) geerbt hat, an die Firma „Europa“ abzutreten. Es ist selbstverständlich, dass diese Firma auch philantropisches Allerlei (Unterstützung von Kultur und Tradition, Stipendien für junge Frauen) im Bauchladen hat: „we don´t just want to take, but also give back to the community“, sagt Beate Winter.

Die Community selbst ist patriarchal organisiert, die Mütter kochen und bringen Getränke, die Väter opfern ein Schaf, für die Töchter ist Beate Winter eine Leitfigur.

So doppelbödig wie der Filmtitel, ist auch der Film „Europa“ selbst: Dargestellt wird kein Kampf Gut gegen Böse, Tradition versus Moderne, Jung gegen Alt. Es geht vielmehr um die Mechanismen, die aus dem wirtschaftlichen Gefälle zwischen den seit langem kapitalistischen Ländern des europäischen Nordwestens und den postkommunistischen, heute teils neoliberaleren und kapitalistischeren Ländern Südosteuropas herrscht. Diesen abstrakten Satz hat Sudabeh Mortezai in vierjähriger Arbeit zu einer der Realität abgelehnten Geschichte gemacht. „Europa“ ist dabei ihr erster Film, in dem sie nicht ausschließlich mit Laiendarsteller*innen dreht, sondern auch eine Schauspielerin engagiert hat: Lilith Stangenberg spielt (genial) Beate Winter, ihr gegenüber steht ein begnadeter albanischer Laiencast.

Anna Katharina Laggner: Es gibt in „Europa“ die Hauptfigur Beate Winter, die schaut, dass sie ihren Job macht und abliefert. Die jungen albanischen Frauen sind sehr fasziniert von dieser Frau. Dabei ist sie eine kalte, eher abstoßende Figur.

Sudabeh Mortezai

Magdalena Blaszczuk

Sudabeh Mortezai

Sudabeh Mortezai: Natürlich ist diese Frau, die alles geschafft hat, viel mehr als viele Männer schaffen, für die jungen Frauen ein Role Model. Sie hat so viel Macht, so viel Gestaltungsmöglichkeiten. Aber zugleich ist Beate Winter auch selbst eine Gefangene ihres Systems. Dafür muss man ein Stück seiner Seele abgeben und abstreifen, um in so einem erbarmungslosen System überhaupt überleben zu können, dann auch Mittäterin zu sein und aufzusteigen. Und das ist der Preis, den sie zahlt, als Mensch.

Und als Frau auch. Es ist ein Klischee, aber auch typisch, dass die Frau noch härter sein muss. Das sagt sie selbst in einer Szene zu den jungen albanischen Frauen: „Du musst besser sein als der Mann, um nur die Hälfte zu bekommen.“

Die Frau muss viel besser sein und viel härter. Das ist nicht nur in der Corporate Welt der Fall. Sie muss es sein, um die Oberhand zu behalten und ihre Machtposition auszuspielen. Auch gegenüber diesen patriarchalen Typen, denen sie begegnet, muss sie mit allen Geschützen ausfahren, mit der ganzen Macht ihrer Institution im Rücken. Und ja nicht zu viel Emotion zeigen, sondern eine Fassade. Aber dieses fast Maschinenhafte hat auch einen anderen Hintergrund für mich. Ich sehe die Figur auch so, dass sie einen Mangel an Empathie kultivieren muss, damit sie das überhaupt schafft. Sobald wir unser Gegenüber als Menschen wirklich wahrnehmen und fühlen, können wir das ja nicht mehr machen. Das ist im Krieg genauso. Ich finde, das ist eine aktuelle Sache in unserer Zeit. Wie gibt es das, dass wir es schaffen, überhaupt Krieg zu führen, andere Menschen so zu misshandeln, zu töten? Die Entmenschlichung ist der erste Schritt, dass man andere gar nicht mehr als Menschen wahrnimmt, und das ist ein Teil ihrer Corporate Persona. Dabei mochte ich auch sehr gern die Begegnungen mit den Menschen dort, die so herzlich, gastfreundlich sind, fast übergriffig. Und dass diese fast übergriffige Gastfreundschaft und körperliche Freundlichkeit sie überwältigt und ihre Grenzen immer wieder überschreitet.

Filmstills aus "Europa" von Sudabeh Mortezai

Fratella Filmproduktion

Du arbeitest stark mit Improvisation und mit Laiendarsteller*innen. Wie hat das diesmal funktioniert, mit einer Schauspielerin im Zentrum?

Bei mir gibt es ein Drehbuch, aber es ist mehr ein Gerüst als ein sehr strenges Drehbuch. Teilweise stehen Dialoge drin, ausgeschrieben, sehr oft aber nicht. Ich arbeite mit Improvisationen und ich drehe chronologisch. Das heißt, die Laiendarsteller*innen lesen das Drehbuch nicht, sondern erleben die Geschichte von Tag zu Tag. Und diesmal hatte ich aber mit Lilith Schallenberg eine Schauspielerin, die sich auf ihre Rolle vorbereitet hat. Ich wollte, dass sie mehr Informationen hat als die Laiendarsteller*innen. Also hat Lilith das Drehbuch gelesen. Dann musste sie das aber in den Improvisationen immer wieder mit den Leuten verhandeln, die Dialoge oder wie die Szene sich entwickelt. Das ist auch spannend für die Figur, finde ich. Beate hat die Oberhand, sie kontrolliert das Narrativ und zugleich wird sie aber auch entwaffnet von der Natürlichkeit der Leute. Und das lasse ich so ein bisschen aufeinanderprallen.

Wie vermeidest du in diesem Zusammenhang Ausbeutung, wenn du mit einer Schauspielerin da hin fährst, die sich genau auskennt, aber Laiendarstellerinnen und -darsteller hast, die über die Geschichte im Dunklen gelassen werden?

Ich glaube, es geht um Respekt. Ausbeutung kann man durch einfachen zwischenmenschlichen Respekt vermeiden. Und ich lasse die Leute ja auch nicht im Dunkeln, damit ich sie vorführe, sondern damit sie spontane, natürliche Reaktionen bekommen. Ich rede aber mit ihnen schon sehr stark über die Figur, die sie spielen. Sie wissen zwar nicht, wohin die Geschichte geht, aber darüber, wer die Figur ist und wie nahe sie der Figur sind oder auch nicht, reden wir schon. Es ist nicht so, dass ich die Leute manipuliere, und sie verstehen gar nicht, was passiert, überhaupt nicht. Sie wissen, was ich drehe. Sie spielen eine Figur, sie spielen nicht sich selbst. Also das ist ganz klar festgelegt. Und Sie können mich auch immer Dinge fragen. Das ist schon ein Zusammenarbeiten.

Filmstills aus "Europa" von Sudabeh Mortezai

Fratella Filmproduktion

Das heißt, es ist eine Form von dokumentarisch erzählenden Arbeiten.

„Europa“ ist ein fiktionaler Film. Fiktional ist der Film insofern, als ich mir eine Geschichte ausgedacht habe und sehr genau weiß, was das narrative oder dramaturgische Gerüst ist. Das möchte ich schon einhalten. Aber in den Szenen gebe ich den Leuten sehr viele Freiheiten. Beziehungsweise, was heißt Freiheiten: Ich freue mich über die Geschenke, die sie mir machen, indem sie improvisieren und bin sehr offen für das. Die Handlung muss natürlich wohin führen, das ist nicht beliebig oder ganz offen. Ganz freestyle ist es nicht. So würde ich meine Arbeit beschreiben: Ich bin mittlerweile beim Spielfilm gelandet. Aber die Methoden sind teilweise dokumentarisch.

Filmstills aus "Europa" von Sudabeh Mortezai

Fratella Filmproduktion

mehr Film:

Aktuell: