Wasser ist Geschichte

Eine verlorene Zivilisation, die den Regen und das Meer nur mehr aus alten Erzählungen kannte und auf einem schier endlos scheinenden Felsenturm lebte: Das ist die Hintergrundgeschichte von „Jusant“, dem neuen Game von Don’t Nod, in dem wir besagten Turm erklettern und erforschen.

Von Conny Lee

Eine Wüste voller Schiffswracks; hie und da schrecken wir ein paar Vögel auf oder kleine Tiere huschen über den Boden, doch keine Menschen weit und breit. Vor uns baut sich ein riesiger, turmartiger Berg auf, der teilweise von Korallen bewachsen zu sein scheint. Außerdem sieht man auf dem Turm noch mehr Schiffswracks, Fischernetze und andere nautische Ausrüstung. Alles deutet darauf hin, dass hier irgendwann einmal alles unter Wasser gestanden haben muss. Der Titel des Games Jusant ist ein französischer Begriff aus der Seefahrt und bedeutet „Ebbe“. Doch sollte das hier eine Ebbe sein, so liegt die letzte Flut wohl schon sehr lange Zeit zurück.

Wir beginnen den Aufstieg, und während wir höher und höher steigen, bietet sich uns eine kilometerweite Aussicht; doch nichts als Wüste, soweit das Auge reicht, kein Tropfen Wasser, geschweige denn Meer.

Das Bild einer Zivilisation

Auf meiner Reise den Turm hinauf komme ich durch verlassene Behausungen und Siedlungen, teilweise außen am Fels, teilweise in innen liegenden Höhlensystemen. Anhand von alten Briefen, die ich an diesen Orten immer wieder finde, wird die Geschichte der Menschen erzählt, die hier früher gelebt haben. Sie kannten das Meer und den Regen nur mehr aus Erzählungen ihrer Vorfahren, und immer mehr verließen den Turm, um in der Wüste nach Quellen und einem neuen Leben zu suchen. Es ist nicht jedermanns Sache, in Videospielen viel Text zu lesen, aber wenn man sich hier die Zeit nimmt, alle Briefe zu lesen, setzt sich ein Bild einer Zivilisation zusammen, die sich im Niedergang befand. Es sind Geschichten von Einsamkeit, Hoffnung oder auch Resignation. Manche Absender begegnen uns dabei immer wieder, und wir können anhand ihrer Briefe beinahe ihre Lebensgeschichte rekonstruieren. “Jusant” ist aber auch die Geschichte einer Klimakatastrophe und wie die Menschen damit umgingen. Auf eine enorme Flut, die die Menschen dazu zwang, hoch auf dem Felsenturm zu leben, folgte eine Dürre, die den Menschen nach und nach jede Lebensgrundlage raubte. Es wird nicht gesagt, dass die Menschen selbst Schuld an der Katastrophe tragen. Das Spiel ist kein erhobener Zeigefinger. In Verbindung mit Bildern von Dürre und wachsenden Wüstenzonen, wie wir sie aus der Realität kennen, wirkt diese menschenlose Welt allerdings trotzdem als beklemmende Warnung davor, was uns in Zukunft erwarten könnte.

Die Legende vom Flötenspieler

Die Figur, die wir spielen, ist gekommen, um den Regen und das Wasser zurückzubringen. In einem der Briefe ist die Rede von einem Flötenspieler, der durchs Land zieht und den Regen bringt. Auf unserer Reise den Turm hinauf finden wir manchmal riesige Apparate, mit denen wir unsere Muschel-Flöte verbinden können. Mit jedem Mal, das wir in so einen Apparat blasen, erwecken wir Teile der Flora und Fauna wieder zum Leben.

Hilfe bekommen wir von einem kleinen blauen Wasserwesen, das ein bisschen aussieht wie ein winziges Nilpferd, und uns auf unserer Reise begleitet. Es kann mir an manchen Stellen des Aufstiegs behilflich sein, indem es Pflanzen zum Wachsen bringt oder mir anzeigt, wo ich als nächstes hin soll. Die Klettersteuerung ist intuitiv und macht Spaß. Beim Klettern müssen wir auf unsere Ausdauer achten, dabei den richtigen Kletterpfad nach oben finden und uns dafür teilweise an unserem Sicherungsseil weiterschwingen.

Dabei kommt man in einen konzentrierten Flow, der in Kombination mit den abwechslungsreichen Naturkulissen und den Geheimnissen, die man entdecken kann, ein packendes Spielerlebnis schafft, das einen mal wieder richtig schön in eine andere Welt eintauchen lässt.