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Screenshots von pro-palästinensischen Postings auf TikTok

TikTok

Warum es auf TikTok mehr pro-palästinensische Inhalte gibt

Einer Analyse zufolge soll es auf TikTok deutlich mehr Postings geben, die sich mit Palästina solidarisieren als pro-israelische. Was die Gründe dafür sein könnten und warum, das was sich auf Social Media abspielt den Verlauf des Konflikts beeinflussen könnte.

Von Ali Cem Deniz

Ein ehemaliger Tinder-Mitarbeiter hat pro-palästinensische und pro-israelische Hashtags auf TikTok analysiert und mit seiner Bewertung für große Aufregung gesorgt: auf der Plattform gäbe es einen pro-palästinensischen Bias.

Ich lege mir einen brandneuen TikTok-Account zu, um zu schauen, ob ich tatsächlich in einer sogenannten Bubble lande. Tatsächlich sind gleich die ersten zwei Clips, die in meiner For You Page auftauchen, Szenen aus pro-palästinensischen Demos. Vielleicht werden sie mir angezeigt, weil es Postings mit vielen Likes sind. Vielleicht dürfte aber die App davon ausgehen, dass ich mich für das Thema Nahost interessieren könnte. Ich like die Videos und schaue, wie es weitergeht.

Ich bekomme zwar weiterhin Lifehacks und Tipps, was man alles mit Weichspülern machen kann, aber ich bekomme immer öfter Postings zum Nahost-Konflikt. Die sind nicht immer dezidiert pro-palästinensisch. Mir werden auch auffällig viele Videos von rechten Accounts angezeigt, die zwar Pro-Palästina Demos posten, aber nicht um sie zu unterstützen, sondern um vor einer vermeintlichen Islamisierung Europas zu warnen.

Der berühmt berüchtigte Algorithmus

Das Problem ist altbekannt und es ist das Erfolgsgeheimnis von TikTok: der Algorithmus. TikTok erkennt mithilfe von Machine Learning und KI ziemlich schnell, was User:innen interessieren könnte und zeigt vermehrt ähnliche Inhalte. Dabei schaut die Plattform nicht nur auf der Verhalten der einzelnen User:innen, sondern sucht auch nach Überschneidungen. Wenn die eigenen TikTok-Freund:innen oder User:innen mit ähnlichen Interessen bestimmte Videos öfter schauen, werden sie einem auch öfter angezeigt. Dieser Algorithmus macht den Spaß und Suchtfaktor von TikTok aus. Gerade bei politischen Themen kann es aber dazu führen, dass User:innen einseitige Informationen bekommen.

TikTok selbst dürfte das Problem erkannt haben. Wenn man gezielt nach Begriffen wie „Israel“ oder „Gaza“ sucht, kommt ein Warnhinweis. In den Clips, die einfach so in die For You Page gespült werden, gibt es aber eine solche Warnung nicht. Und da ist alles dabei - von aufwendig recherchierten BBC Videos bis hin zu ungefilterten und oft nicht verifizierbaren Bildern.

Druck von der Politik

Die Europäische Union macht bereits länger mit dem Digital Services Act Druck auf Social Media Plattformen wie TikTok. Kürzlich hat EU-Digitalkommissar Thierry Breton TikTok CEO Shou Zi Chew getroffen. Das scheint Wirkung zu haben. TikTok habe seit dem 7. Oktober mehr als 110.000 Konten gesperrt und über vier Millionen Videos gelöscht, sagt Thierry Breton im französischen Fernsehen.

Ganz anders bewerten die Performance von TikTok die US-Republikaner. Es waren auch republikanische Politiker wie Marco Rubio, die die Analyse über pro-Palästina Postings auf TikTok verbreitet und so eine Debatte über die Plattform ausgelöst haben. Den Republikanern ist TikTok länger ein Dorn im Auge. Sie glauben, dass die Plattform vom chinesischen Regime gesteuert wird und deswegen pro-palästinensische bzw. anti-israelische Inhalte bevorzugt. So versuche das chinesische Regime die amerikanische Bevölkerung gegen die US-Regierung und verbündete Staaten aufzustacheln, behauptet der republikanische Abgeordnete Mike Gallagher in einem Interview mit Fox News.

TikTok selbst bestreitet die Vorwürfe. Seit dem 7.Oktober habe der Hashtag #IStandWithIsrael unter US-User:innen viel mehr Zuwachs bekommen als #IStandWithGaza.

Ein Generationenkonflikt

Neben dem Algorithmus und dem vermeintlichen chinesischen Einfluss, gibt es eine weitere Erklärung für die Beliebtheit von pro-palästinensischen Postings auf TikTok: Es ist die Plattform mit den jüngsten User:innen. Umfragen aus den USA, Kanada und aus europäischen Ländern zeigen, dass ältere Bevölkerungsgruppen sich stärker mit Israel solidarisieren, während die jüngeren Befragten die israelische Antwort auf den Anschlag der Hamas kritischer sehen. Die Generationen spalten sich am Nahost-Konflikt.

Eine Gallup-Umfrage zeigt, dass solche Tendenzen bereits vor dem 7. Oktober zu beobachten waren. Erst Anfang diesen Jahres veröffentlichte das Umfrage-Institut eine Untersuchung, die zeigt, dass pro-palästinensische Haltungen unter US-Demokraten zum ersten Mal in der Geschichte populärer waren als pro-israelische Haltungen.

Andere Bilder und andere Realitäten

Die Videos, die man auf TikTok und anderen Plattformen zu sehen bekommt, sind jedenfalls völlig anders als das Bild, das die sogenannten klassischen Medien vom Krieg zeigen. Verstümmelte Kinder, weinende Frauen, verzweifelte Männer, die in Ruinen nach Überlebenden suchen. Die Bilder lassen sich nicht immer verifizieren, der Kontext ist oft nicht bekannt, aber sie emotionalisieren stark und erreichen Millionen Menschen.

Kommentare auf Social Media

instagram

Dadurch entsteht zunehmend ein Gap zwischen Bevölkerungsgruppen, die den Konflikt über klassische Medien verfolgen und jenen, die über Social Media das Geschehen verfolgen. Nirgendwo zeigt sich diese Dissonanz so deutlich wie in den Kommentarspalten der Instagram-Seiten von Medien wie der ZIB, ARD, BBC oder New York Times, wo Leute in hunderten Kommentaren den Medien vorwerfen, nicht die ganze Brutalität des Konflikts zu zeigen.

Bildschirme als Schlachtfelder

Viele Militär-Expert:innen vergleichen die Herausforderungen der israelischen Bodenoffensive mit dem Vietnam-Krieg, wo die amerikanische Armee gegen Vietcongs kämpfen musste, die sich ebenfalls in Tunnels versteckten, um Überraschungsangriffe durchzuführen. In der medialen Dimension des Konflikts zeigt sich eine weitere Parallele zum Vietnam-Krieg.

Für den Medientheoretiker Marshall McLuhan war der Vietnam-Krieg der erste „Fernseh-Krieg“ der Geschichte. Das Fernsehen habe die Brutalität des Krieges in die amerikanischen Wohnzimmer getragen. Die Amerikaner hätten den Krieg nicht auf den Schlachtfeldern, sondern in den Wohnzimmern verloren, so McLuhan. Es war ein TV-Bericht im Jahr 1965 über das Leid der vietnamesischen Zivilisten, das dazu führte, dass die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung zu einer Massenbewegung wurde.

Die Berichterstattung über den Vietnam-Krieg war so einflussreich, dass das Pentagon in den folgenden Jahrzehnten zunehmend auf das „embedded journalism“ setze, um zu verhindern, dass Journalist:innen auf eigene Faust über den Krieg berichten. Einen Höhepunkt erreichte der viel kritisierte „embedded journalism“ im Irak-Krieg 2003, wo 775 Reporter:innen die US-Armee begleiteten.

Der Krieg zwischen Israel und Hamas ist der erste Social Media Krieg. Noch nie wurde so viel über einen Krieg gepostet. Und vielleicht wird das, was Millionen Menschen täglich auf TikTok und anderen Plattformen sehen, ein Einfluss darauf haben wie sich dieser Konflikt und die Zukunft von Social Media entwickeln.

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