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Buntspecht Bandfoto 2023

Michelle Rassnitzer

Ein Album wie ein mystisches Musical

„An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte“ - das ist nicht etwa der Titel einer wunderlichen Kunstausstellung oder eines rätselhaften Theaterstücks, sondern der Name der neuen Buntspecht Platte. Trotzdem ist es irgendwie genau das alles gleichzeitig.

Von Alica Ouschan

Was passiert, wenn man einen Haufen komischer Vögel einen Monat lang in einen Raum einsperrt, mit der einzigen Aufgabe, neue Musik zu schrieben?

Albumcover

Buntspecht/phat penguin

An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte ist bei Phat Penguin erschienen.

Diesem Experiment hat sich die Band Buntspecht gestellt. Naja, zugegebenermaßen wurden sie natürlich nicht eingesperrt, haben sich diese Aufgabe selbst auferlegt und sind für einen Monat in ein Loft/Matratzenlager/Studio ins Burgenland gezogen. Das Ergebnis ist ihr fünftes Album mit dem gleichzeitig sehr schönen aber auch wahnsinnig komplizierten und langen Titel: „An das gestern, das nie morgen wurden darfte. Ich warte“. Versuche eine:r das dreimal ganz schnell hintereinander zu sagen, ohne sich zu verhaspeln.

Und genau so geht es einem auch bei dem Versuch dieses Werk zu erklären oder zu umschreiben. Es ist vielleicht das bisher verwirrendste Bunstpecht Album, trotzdem ist es umgeben von einer dringlichen Klarheit. Warum das eine das andere nicht unbedingt ausschließt und wie es war, einen ganzen Monat lang aufeinander zu hocken erzählen Lukas und Roman von Buntspecht im FM4 Interview.

Auf engstem Raum entsteht die Magie

„Es war fast wie Weihnachten oder ein Lockdown. Irgendwie auch wie in einer Irrenanstalt“, sagt Lukas. „Man muss dazu sagen, es war ein sehr großer Raum“, sagt Roman. „Die Betten standen in den Ecken verteilt, das heißt man hatte ein bisschen so was wie Privatsphäre. Es war überraschend angenehm.“ Zwar unterscheiden sich sowohl die Biorhytmen als auch die gewohnten Tagesabläufe aller Spechte signifikant, trotzdem haben sie es geschafft, daraus eine kreative Symbiose zu bilden.

„Ich mag das“, sagt Lukas. „Wenn ich früh aufstehe und um 7 Uhr den Flo wecke und ihm sage: ‚Kannst du das und das schnell spielen?‘ und er sagt ‚lass mich in Ruh ich will noch zwei Stunden noch länger schlafen‘“. Wenn gleichzeitig wach, dann haben die Buntspechts fleißig an ihren Songs gearbeitet. Auf engstem Raum entsteht die Magie. Das wissen wir schon seit dem ersten Album „Draußen im Kopf“ das in einer winzigen Gartenhütte aufgenommen wurde.

Seitdem ist viel passiert und auch die neueste Platte schlägt wieder mal eine musikalisch neue Richtung ein, ohne dabei den unverkennbar eigenen Buntspecht-Sound zu verlieren. Experimentieren und sich ausprobieren, das liegt in der DNA von Buntspecht. Und das klappt ganz gut: „Mojo Risin“, ursprünglich ein Spaß-Track, entpuppt sich als 1-A-Indiepop Nummer und wird von den Hörer:innen zum FM4 Sommerhit 2023 gewählt.

„Man entwickelt sich musikalisch weiter“, meint Roman auf die Frage, ob Buntspecht jetzt eine Indiepop-Band ist. „Vielleicht sind wir aus diesen ganzen Swing-Sachen, wie sie im ersten und zweiten Album noch viel drin waren, einfach endgültig rausgewachsen.“ Im Falle von „Mojo Risin“ war es schlicht der Wunsch, mal wieder eine schnelle, lockere Nummer zu kreieren, die Spaß macht und voll ist von Leichtigkeit, ohne Swing-Klischees: „Das kommt dabei raus, und wenn das Pop ist, dann ist das eine gute Sache.“

Wenn man „An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte“ von Vorn bis Hinten durchhört, merkt man, dass der Anteil an Radio-Pop sich auf die zwei großen Hits des Albums beschränkt - der Rest ist für die Buntspecht-Nerds, die ihre Konzerte besuchen, um ein zehn Minuten andauerndes, sich aufbauendes und wieder abklingendes, krachendes und flirrendes, halbimprovisiertes Instrumental-Spektakel zu hören, das nie wieder genau so klingen wird, wie in diesem Moment. Und es ist natürlich auch ganz viel für die Band selbst.

Eine unbestreitbare Dramaturgie

Wie immer geht es nicht darum, konkrete Botschaften zu senden oder eine klare musikalische Richtung zu gehen: „Auch wenn alle Songs so klingen, als kämen sie aus verschiedenen Welten, passen sie doch irgendwie zusammen“, sagt Lukas. „Mit dem Titel klingt das ganze dann irgendwie wie ein kleiner Reclam Roman.“ Oder wie ein wahnwitziges, dystopisch-phantastisches Musical.

Von der Cabaret-artigen Overture mit dem klingenden Titel „Hollywood Drama“, geht es in die schnelle Opening-Nummer („Alles bricht“) wo das gesamte Ensemble im Kopf eine wilde, energetische und breit grinsende Choreographie auf die Bühne bringt. In „Schlauer Fisch“ wird dann dem Publikum der Plot (nicht)erklärt, dann folgt das erste Hinterfragen der Gegebenheiten in „Funny Faces“ und schließlich der Aufbruch der Held:innenreise der Hauptfigur mit „Mojo Risin“.

Buntspecht live:

  • 21.11 Rockhouse, Salzburg
  • 22.11 Treibhaus, Innsbruck
  • 23.11 Cinema Paradiso, St. Pölten
  • 24.11 Kulturkeller, Villach
  • 28.11 Arena, Wien
  • 29.11 Arena, Wien
  • 12.12 Muffathalle, München
  • 2.2 Rote Fabrik, Zürich
  • 3.2 Spielboden, Dornbirn

Dann geht es erstmal in die wohlverdiente Pause, in der man sich austauschen kann, was man da eigentlich gerade gesehen und gehört hat. Und die verworrene Geschichte nimmt weiter ihren Lauf, hinein in eine andere Welt, oder gefangen in einem Zwischenraum - man weiß es nicht genau - bis sich schließlich alles in der wunderbar unkonkreten aber unfassbar emotionalen Abschluss-Nummer „Majorelika“ wieder auflöst - ohne dass es eine Lösung gibt. Auch wenn inhaltlich wie immer natürlich sehr viel Interpretationsspielraum bleibt und vermutlich niemand so genau verstehen würde, worum genau es jetzt in diesem Musical eigentlich geht, wäre es eine Reise, auf die man sich einlassen könnte. So oder so verleiht die Reihenfolge der Songs dem Album eine unbestreitbare Dramaturgie.

Die Platte geht an vielen Stellen in eine fast schon psychedelische Richtung, englisch und deutsch werden vermischt, Songs verändern sich mittendrin plötzlich völlig, klingen so, wie man sich einen krassen Trip vorstellt, was vielleicht auch daran liegt, dass einige der Songs im Zuge des Theaterstücks „Heil - Eine energetische Reinigung“ von Stefanie Sargnagel entstanden sind.

Die Leichtigkeit in der Musik ist unantastbar

Das Album glänzt mit wilden und mystischen Stellen, insgesamt ist die Musik von Buntspecht auf „An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte“ aber vor allem düsterer geworden und irgendwie weniger lebensfroh: „Lukas hat mal gesagt: ‚Wir könnten jetzt keinen Rotweinmund mehr schreiben‘“, sagt Roman. „Weil uns diese Leichtigkeit, die wir mit Anfang 20 in einer relativ unbeschwerten Welt hatten, von allem, was gerade so passiert, ein Stück weit genommen wurde.“

„Aber gleichzeitig ganz egal, wie schwer das Außen oder die Welt ist. In dieser Blase des Musikmachens gibt es immer die Leichtigkeit. Das ist ja eigentlich unantastbar“, kontert Lukas. „In den dunkleren oder violettgefärbten Nummern liegt trotzdem viel Positives und Schönes.“ Buntspecht ist sowieso eine Band, die sich ständig im Übergang, im Dazwischen befindet, immer auf etwas Neues wartet, die Dystopie herbeisehnt und gleichzeitig beim Ausblenden der Realität hilft. Und das machen Buntspecht auf ihre ganz eigene Art und Weise - aber immer wieder einfach nur großartig.

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