FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Neues Beirut Album "Hadsel"

Lina Gaißer

Beirut liegt (fast) am Nordpol

In den Nullerjahren war er der „Junge mit der Ukulele“ und wurde zu einem Star der Indie-Folk-Szene. 2019 dann der Absturz: Stimmprobleme, Nervenzusammenbruch, Tour-Stopp. Jetzt meldet sich Zach Condon alias Beirut mit dem Album „Hadsel“ zurück, das er auf der gleichnamigen Insel in Norwegen aufgenommen hat.

Von Christian Lehner

Willkommen im Land von Eis und Schnee. “Hadsel” heißt die kleine Insel im Norden von Norwegen, auf die sich Zach Condon einen arktischen Winter lang zurückgezogen hat. Von dort ist es nicht mehr weit zum Nordpol. Ideale Bedingungen für einen sensiblen Künstler, der dem Tour-Stress, den Erwartungshaltungen und zuletzt sogar dem Tageslicht nicht mehr gewachsen war.

“Es war keine Reise, es war eine Flucht”, erzählt Zach Condon im FM4-Interview. “Ich wollte einfach nur weg. Weg vom Lärm, vom Stress, weg von den Problemen”. Den Sommer 2019 betourte Zach Condon mit seiner Band Beirut das Album “Galipoli”. Er erzählt: “Es war einfach nur sick. Ich konnte kaum spielen. Jedem neuen Anlauf folgte ein neuer Zusammenbruch. Ich nahm Antibiotika, ich nahm Steroide. Ich hörte mit dem Trinken auf. Das machte alles nur noch schlimmer. Mein Hals schwoll an. In Madrid warnte mich ein Arzt: ‘Wenn Sie so weitermachen, verlieren Sie Ihre Stimme.’ Ich zog die Notbremse und schickte die Band nach Hause.”

“Es war keine Reise, es war eine Flucht” - Zach Condon, Beirut

Noch bevor Zach Condon als Teenager zum Indie-Folk-Star wurde, litt er unter psychischen Problemen. “Es begann, als ich 11 war. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich wollte meine Brüder nicht aufwecken und starrte stundenlang an die Decke. So lernte ich, mich selbst zu quälen. Mit 15 wurde es besser. Wir zogen um, ich hatte mein eigenes Zimmer und begann in den Nächten zu musizieren.”

Warum es Zach Condon nach seinem Breakdown ausgerechnet nach Norwegen zog, hatte denselben Grund, warum der aus dem sonnigen New Mexico stammende Singer-Songwriter vor sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz in Berlin anmeldete: kürzere Sommer, weniger Licht.

Neues Beirut Album "Hadsel"

Pompeii Records

„Hadsel“, das sechste Album von Beirut, ist auf Pompeii Records erschienen. Hier geht’s zum Interview Podcast mit Zach Condon.

“Ich bin ein Wintertyp. Eis, Schnee und Berge. Ich fühle mich dort wohl. Klar, friere auch ich nicht gern, aber die wärmende Hülle einer Jacke oder einer Hütte lösen in mir wohlige Gefühle aus. Die Kälte gibt mir Sicherheit. Wenn ich diese Konditionen nicht vorfinde, flüchte ich in die Nacht.”

Geplant war ein mehrwöchiger Aufenthalt mit der Freundin. Musik stand da nicht auf der To-Do-Liste. Doch beim Recherchieren für eine Bleibe in Hadsel entdeckte Zach auf einem Foto seines Wunschquartiers eine Orgel. Er packte zusätzliche Koffer mit Instrumenten und einem alten österreichischen Taper Recorder.

Auf Hadsel lernte Zach Oddvar kennen – seines Zeichens Orgelrestaurator und -sammler. Oddvar händigte Zach die Schlüssel zur Dorfkirche aus. Dort steht die Orgel, die etwa im Titelsong des Albums “Hadsel” zu hören ist.

“Für eine Kirchenorgel ist sie ziemlich klein. Das macht mir nichts aus, denn das Getöse, das im Pop mit Orgeln angestellt wird, ist mir ohnehin zuwider”, erzählt Zach Condon. “Auch die Kirche ist ist verhältnismäßig klein. Es ist ein achteckiger Holzbau aus dem 19. Jahrhundert. Nach einer Messe oder einem Begräbnis, wenn Oddvar die Kirche geheizt hatte, rief er mich an. Ich schnappte mein Equipment und machte mich auf den Weg. Einmal war ich so tief in der Musik versunken, dass ich eingeschneit wurde. Es dauerte Stunden, bis ich mich freigeschaufelt hatte.”

So lief Zach Condon, umgeben von Bergen, Fjorden, dem Meer und dem Nordlicht zu alter Höchstform auf. Klangen seine letzten Alben etwas zu poliert und distanziert, schlägt auf “Hadsel” wieder diese rohe Sehnsucht durch, die man von frühen Werken wie “Gulag Orkestra” oder “The Flying Paper Cup” kennt. Wie in frühen Tagen musste Condon mit wenigen Mitteln auskommen. Die Songstrukturen klappern, ächzen und dampfen. Manchmal meint man den arktischen Wind zu hören, wie er an den Stücken zerrt.

Sakraler Lo-Fi-Pop

Über das analoge Synth-Geklöppel auf Stücken wie “Baion” oder “Island Life” erhebt sich feierlich die Stimme von Zach Condon. Der Hi-Pitch-Crooner-Stil ist zurück und findet die richtige Tonalität zwischen Verzweiflung und Verlangen.

Neues Beirut Album "Hadsel"

Lina Gaißer

Während die Texte tief in alten Wunden bohren, von Selbstzweifel, Verlust und auch Hate durchwirkt sind, erzählt die Musik eine andere Geschichte. Das Titelstück “Hadsel”, die erste Single “So Many Plans” und der Song “The Tern” sind erhebende Weihelieder, sakraler Lo-Fi-Pop, Hymnen, die es locker mit einschlägiger Kirchenware aufnehmen können, angetrieben vom jauchzenden Trompetenspiel und dem anschwellenden Chor, den Zach Condon zunächst als Solostimme eingesungen und dann multipliziert hat.

Auch wenn die Geschichte der kathartischen Heilung in der einsamen Klause im Pop ein von Größen wie Bon Iver, Bruce Springsteen oder Adrianne Lenker u.a. x-mal durchexerzierter Therapieansatz ist (und vom Guardian den Genre-Title “Cabin in the Woods-Album” verliehen bekommen hat), so muss man Zach Condon zu Gute halten, dass er die größten Klischeefallen ausgelassen und sich auf seine Grundstärken (Bariton Ukulele!) konzentriert hat.

Denn die nordische Atmosphäre ergibt sich rein aus der Musik, die ohne Rentierbrüllen, Sturm-Samples und das eingespeiste Knacken brennender Holzscheite auskommt. Noch nie gab es so wenig Exotik und schon lange nicht mehr so viel Schönheit auf einem Beirut-Album.

mehr Musik:

Aktuell: