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Szene aus "Roter Himmel"

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Junger Künstler am Sand

Christian Petzold wollte einen Sommerfilm drehen: einsames Ferienhäuschen, der Strand fußläufig, Abendessen im Freien und unbeschwertes Liebesleben. Entstanden ist „Roter Himmel“: ein dauergrantelnder Schriftsteller in einer Schaffenskrise (famos gespielt von Thomas Schubert), eine lebensfrohe Studentin, allabendlich Gulasch. Und in der Ferne lodern Waldbrände.

Von Anna Katharina Laggner

Ein Film, der mit dem Satz „irgendwas stimmt nicht“ beginnt, wird kaum gut enden, so viel ist sicher. Zwei Freunde fahren in ein Ferienhaus an die Ostsee: Leon, der mit seinem ersten Buch Erfolg hatte und nun am Manuskript des zweiten zu scheitern droht, sowie Felix, der seine Mappe für die Kunstuni entwerfen sollte.

Aber da ist schon jemand, nämlich Nadja, die ein lautstarkes Liebesleben führt. Felix beschwert sich über die nächtlichen Ruhestörungen, Nadja sagt „kommt nicht mehr vor“, schwingt sich munter auf ihr Fahrrad und radelt ans Meer. Felix verliebt sich in der Sekunde und wird fortan konsequent gegen seine Gefühle handeln. Jedoch liegt Christian Petzolds Fokus nicht auf dieser, eines Sommerfilmes höchst würdigen, Beziehungskonstellation, sondern stellt die Figuren in seinem Film in einen größeren Kontext des Lebens.

Szene aus "Roter Himmel"

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Während Leon alle Energie in Selbstmitleid steckt, geht es in „Roter Himmel“ um die Frage, inwiefern heute ein unbeschwertes Leben noch möglich ist. Ob es sich in den Tag hineinleben lässt, wenn die Zeichen auf Weltuntergang stehen. Aschepartikel flirren durch die Luft und selbst der schwerfällige Leon erhebt sich von seinem Manuskript und klettert auf ein Dach, um den roten Himmel zu sehen, der von einem unkontrollierbaren Waldbrand herrührt.

Ist „Roter Himmel“ ein Drama, eine irregeleitete RomCom, eine Künstlersatire? Tatsache ist: im Zentrum des Filmes steht der Mensch als soziales Wesen, das nach Höherem strebt, nach Erfolg und Anerkennung. Es geht um den Menschen in seiner Beziehung zur Natur und um das Bedrohungsszenario, dass die Natur sich gegen uns wenden könnte. All das wird explizit aber nie angesprochen: „Roter Himmel“ kommt mit frischer Meeresbrise als Sommerfilm daher. Aber die Sommerfrischler versammeln sich allabendlich um einen Topf aufgewärmtes Gulasch, das Nadja in Plastiksackerl aus dem Dorf mitbringt. Irgendwas stimmt hier nicht.

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Anna Katharina Laggner/FM4: Das Interessante an deinem Film ist, dass dieser rote Himmel und diese Waldbrände, die nicht in den Griff zu bekommen sind, zwar präsent sind, aber in den Gesprächen nicht vorkommen. Ich glaube, das Wort „Klimakrise“ fällt im Film überhaupt nicht.

Christian Petzold: Ich habe jetzt Einladungen bekommen mit diesem Film, dass der Eröffnungsfilm wird zu Klimakonferenzen und ich hab gesagt: Das kann man nicht machen.
Ich hatte eigentlich die Rechte an einem dystopischen Roman gekauft, „Der Schnee war schmutzig“ von Simenon, der in einer Welt spielt, die vom Faschismus besiegt worden ist. Den wollte ich verfilmen, ich hatte schon das Drehbuch angefangen. Und dann bekam ich Covid und lag im Bett. Ich war einer der ersten Fälle und musste vier Wochen im Bett liegen und gleichzeitig habe ich ein bisschen Angst gehabt. Und dann lag ich so im Bett und dachte, warum liebt das Kino in den letzten zehn Jahren dystopische Filme so sehr, als ob es eine Lust hat, der Welt das Ende zu erklären, um vielleicht wie in so einem Studiolabor eine neue Welt zu schaffen? „The Walking Dead“, so die Welt ist im Eimer, es ist nichts mehr zu machen und dann können wir endlich mal eine neue Geschichte erzählen, Tabula rasa machen, endlich mal Schluss machen. Und ich fand das einen faschistischen Gedanken, diese ganze Zerstörungslust. Und das ging mir so auf den Sack, dass ich dachte, ich möchte gern einen Film machen, der eigentlich das Leben feiert, wie wir es führen, in seiner Komplexität und seiner Schwäche, dass die Figuren zu schwach sind, zu lieben, zu viel Ängste haben vor Kontrollverlust. All das ist ja schön. Davon leben wir. Und ich würde gerne einen Film machen, der das Leben feiert und es nicht beenden möchte.

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#207 FM4 Filmpodcast: Thomas Schubert („Roter Himmel“) zu Gast

Er hat damals nur einen Freund zum Casting begleitet und wurde entdeckt. Mit 17 Jahren spielt Thomas Schubert die Hauptrolle im Drama „Atmen“, es folgen Rollen in „Das finstere Tal“, „Wilde Maus“ und der Serie „King of Stonks“. Aktuell ist Schubert in Christian Petzolds Film „Roter Himmel“ zu sehen, hier spielt er einen strauchelnden Schriftsteller, der mit seiner eigenen Verbitterung hadert. Dafür gab es gleich eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis. Mit Christian Fuchs und Pia Reiser spricht Thomas Schubert über filmische Prägungen, Vorlieben und Schreckensmomente. Von „Dune“ über „Frances Ha“ bis zu „Der Untergang“.

Daher auch die vielen Themen: Das Lieben, die Lethargie, künstlerisches Schaffen und die Krisen, die damit verbunden sind. Freundschaft, Stolz, der Tod kommt rein, die Natur, die eine große Rolle spielt, das Baden im Meer, der Wind. Und der Waldbrand oder der rote Himmel sind keine Metaphern, es ist etwas, das die Figuren gar nicht beeinflussen können. Auf die Art: so ist das eben, wir tun weiter wie bisher, aber ein bisschen verängstigter.

Ich glaube, dass diese Katastrophen uns ganz schön in Geiselhaft nehmen, aber unsere Reaktion darauf ist, dass wir anfangen, nicht mehr Geschichten zu erzählen, keine Musik mehr zu hören, nicht mehr zu tanzen, nicht mehr zu genießen, nicht mehr zu verschwenden. Und diese jungen Menschen dort in dem Film wollen wieder verschwenden. Sie wollen wieder essen und trinken. Und deswegen ist das wichtig, dass sie da draußen ihren Tisch haben und ihren Rotwein und ihr Lachen und ihre auch ihre politically nicht korrekten Geschichten erzählen und das zu feiern und den roten Himmel zu ignorieren, ist nicht etwas, was eine Metapher ist wie „Die Menschen sind zu blind, die Menschen kümmern sich nicht um die Klimakatastrophe, sie heizen ihre Wohnung auf 30 Grad und fahren weiter SUVs“, sondern das wissen wir ja. Aber solange wir essen, trinken, begehren, wünschen, uns Geschichten erzählen, vielleicht halten wir es damit auf.

Das Essen ist ja das Lustigste. Es wird viel gegessen in deinem Film, aber immer übrig gebliebenes, aufgewärmtes Gulasch.

Gulasch ist mein Lieblingsessen. Bei den Franzosen wird richtig gekocht, wir können das in Deutschland noch nicht, aber wir können wenigstens gutes Gulasch aufwärmen. Und das führt auch dazu, dass wir einen tollen Abend haben können.

Zu dieser Hauptfigur, Leon, der junge Schriftsteller, der seinen zweiten Roman schreibt, von dem immer gesagt wird, dass er viel schwieriger sei als der erste. Der Leon oszilliert so zwischen und Arschloch und einer Künstlerfigur, die einem leid tut und mit der man mitfühlt, weil jeder von uns Schaffenskrisen kennt. Auch wenn nicht jeder von uns Schriftsteller oder Schriftstellerin ist. Wie viel von deinen eigenen Erfahrungen steckt in dieser Figur?

Beim Schreiben habe ich geglaubt, überhaupt nichts. Da habe ich mich fast lustig gemacht über die Hauptfigur.
Aber in der Vorbereitung haben die Schauspieler, die ja brutal intelligent sind, angefangen, mich zu löchern. Also sie haben mich ins Verhör genommen, Wie war es denn bei dir, Christian? Und ich hab gesagt: Um mich geht es doch hier gar nicht. Müssen wir jetzt über mich reden? So ging das.
Und dann kam es langsam raus und die hörten alle genau zu und fragten von links und rechts immer mehr. Mein zweiter Film lief auf der Berlinale, ich hatte das Drehbuch innerhalb von einem halben Jahr geschrieben, es ging um einen jungen Künstler, der der Welt zeigen wollte, was er drauf hat. Und als wir zwei, drei Tage gedreht hatten, hat mich meine Freundin und jetzige Frau besucht und sagte: ich muss ja mal was ganz Furchtbares sagen, ich habe den Eindruck, du spielst Regie. Der Satz hat mich fertiggemacht. Das habe ich alles den Schauspielern bei der Probe (zu „Roter Himmel“) erzählt und die lachten die ganze Zeit. Und das war schön, dass die mich nicht angeklagt haben. Ich war aufgenommen in meiner Schwäche und mit meiner Erinnerung.

Szene aus "Roter Himmel"

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Wie ist denn dein Regie-Zugang, deine Arbeitsweise?

Ich habe vor 20 Jahren damit begonnen, mir zu überlegen: Was hasse ich am Regieführen?
Ich hasse das, mit den Schauspielern über ihre Figuren psychologisch zu sprechen. So Fragen wie: Wo komme ich her? Wer bin ich? Was habe ich erlebt? Bin ich missbraucht worden? Was weiß ich? Das hasse ich. Ich versuche im Grunde, den Schauspielern Material zu geben. Und ich habe gemerkt, dass das das Wichtigste ist. Und dann ist eine Sache, die mir ganz wichtig ist: die kriegen ja ein Drehbuch und meistens markieren sie mit Edding die Stellen, die sie selber spielen. Alles andere interessiert sie nicht. Aber ich möchte, dass sie gemeinsam in einem einzigen Kinoraum sind. Also mache ich mit allen Schauspielern, auch denen, die nur einen Satz sagen oder einmal durchs Bild gehen, Proben, alle sind bei den dreitägigen Proben dabei und so bildet sich ein Ensemble. Und dann fahr ich mit diesem Ensemble zu allen Drehorten. Das sind aber noch keine Sets, da gibt’s noch kein Catering, da stehen keine LKWs rum. Das sind wirkliche Orte, wirkliche Räume, die haben eine eigene Geschichte. Und dann laufen die Schauspieler da rum und gucken sich das an und dann fahren die wieder nach Hause. Wenn die das Drehbuch jetzt wieder lesen, haben sie diese Orte, zu denen sie sich in einen Bezug bringen müssen, die sie auch respektieren müssen. Sie haben ihre Mitspieler, zu denen sie sich in Bezug bringen müssen und die sie respektieren müssen. Und das, so habe ich das Gefühl, hat Macht, es ist etwas Kollektives und nicht dieses individuell Psychologische, was so grausam ist.
Ich liebe Ensembles und ich liebe die Intelligenz von Ensembles. Und das war auch bei „Roter Himmel“ sehr, sehr schön. Dieses Ensemble hat mich nicht mehr gebraucht. Das ging dann so weit, dass sie, als wir diesen Ort besucht haben und sie vor dem Haus den Tisch gedeckt haben und sich hinsetzten, weil sie wussten, in dem Film später werden sie sich auch dort hinsetzen und aufgewärmtes Gulasch aus Plastiktüten essen, anfingen Karten zu spielen und mich nicht eingeladen haben. Da wusste ich, die brauchen mich nicht. Das ist ein sehr schönes Gefühl.

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