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Liebe allüberall

Seit mittlerweile 20 Jahren will uns der Film „Love Actually“ weismachen, dass Weihnachten die Zeit der ehrlichen Liebesgeständnisse ist. Vielleicht ist der Film deswegen so erfolgreich.

Von Anna Katharina Laggner

In den meisten Weihnachtsfilmen herrscht Chaos. Weil Eltern, die sich nicht ausstehen können, wegen der Kinder nett zueinander sein müssen, weil das Essen (in den meisten Weihnachtsfilmen: Truthahn) verbrennt, weil ein Familienmitglied dummerweise gerade gefeuert oder verlassen wurde oder beides. „Weihnachten mit den Coopers“ hat diesbezüglich ein recht hohes Identifikationspotential. Weihnachten ist nämlich das Fest, bei dem sich viele Menschen sehr verstellen müssen, damit es gut über die Bühne geht. Unter dem Christbaum die Wahrheit zu sagen, wäre in den meisten Fällen ein Weihnachtsdesaster.

Nichtsdestotrotz ist der Satz, der in „Love Actually“ sehr oft gesagt wird: „At Christmas you tell the truth.“ Da zitiert der Chef (Alan Rickman) eine Mitarbeiterin (Laura Linney) in sein Büro, um ihr, die seit „zwei Jahren, sieben Monaten, drei Tagen und eineinhalb Stunden“ in den Kollegen Karl verschossen ist, mitzuteilen, dass sie das dem Kollegen Karl doch endlich gestehen soll.

Der Chef selbst hat seine eigene Wahrheit: Er kann den Reizen der Sekretärin (Heike Makatsch, die als offensiv-penetrantes Verführungsteufelchen eine problematische Rolle zu bewältigen hat) nicht widerstehen. Daher bekommt sie die goldene Herzchenhalskette und seine Frau (Emma Thompson) eine Joni-Mitchell-CD. Dass Joni Mitchell viel besser ist als ein baumelndes Herz um den Hals, ist zwar auch eine Wahrheit, wird aber als Liebeswährung viel niedriger gehandelt.

Eine Frau mit ihrem Sohn vor dem Weihnachtsbaum

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Angeblich musste die grandiose Emma Thompson unter ihren altvatrischen, langen, braungrauen Röcken einen fat suit tragen, um in der Rolle der betrogenen Ehefrau so richtig glaubhaft zu erscheinen. Überhaupt, das Körpergewicht der Frauen, es ist ein Thema.

Nathalie, eine Haushaltshilfe (ganz konkret: die Teeserviererin) des Premierministers, wird von ihrem Vater „Plumpy“ genannt, als Hugh Grant aka der Premierminister kurz vor Weihnachten vor der Haustüre steht, um mit ihr eine Staatsaffäre zu besprechen. Das englische Wort plump ist laut Oxford Dictionary ein Kosewort für einen Menschen mit einer angenehm runden Form. Wegen dieser Form, sagt Nathalie dem Premierminister in einer Tee-Servier-Szene, habe sie ihr Freund verlassen. Der Premierminister schaut sehr erstaunt und wir mit ihm, denn Martine McCutcheon, die Nathalie spielt, hat keine angenehm runde Form, sondern die für einen love interest perfekte Eieruhrenfigur. Martine McCutcheon ist in „Love Actually“ so sehr Objekt, dass sie es nicht einmal aufs Plakat geschafft hat.

Zwei Frauen und ein Mann

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Die zu besprechende Staatsaffäre ist natürlich nichts anderes als ein Kosewort für eine „unangemessene körperliche Beziehung“. „An improper physical relationship“ mit der Praktikantin Monica Lewinsky gestand der US-amerikanische Präsident Bill Clinton nach ersten, vehementen Verleugnungsversuchen. 2003, als „Love Actually“ gedreht wurde, war die so genannte Lewinsky-Affäre noch sehr präsent und auch Tony Blairs Sexleben Gegenstand vieler schlüpfriger Witze. Woke war damals niemand, no means no in sehr weiter Ferne, das, was später als #metoo implodierte, noch in vollem Gange. Der Mann war potent, die Frau schmolz beim leisesten Anflug von Romantik dahin. Und zu Weihnachten sagte man die Wahrheit.

Aber he: Drehbuchautor und Regisseur Richard Curtis ist, nachdem er mit „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, „Notting Hill“ und „Bridget Jones’ Diary“ das Genre der RomCom praktisch erfunden hat, im Jahr 2003 angetreten, um einen Film über die Liebe und „what love sort of means“ zu machen. Wer sich davon eine kritische Annäherung an die Komplexitäten zwischenmenschlicher Beziehungen und eine avantgardistische Auseinandersetzung mit den Machtgefällen der sexuellen Liebe erwartet, muss sich die Ausgangslage vergegenwärtigen. Sie erspart einem Enttäuschung, Wut und Gram.

Insgesamt verhandelt „Love Actually“ zehn Liebesanbahnungen, -abbrüche und -tumulte mit Bilderbuchfiguren aus dem Reich der lächerlichen Liebe. Ein Trauzeuge (auch er hat es nicht aufs Plakat geschafft) ist unsterblich in die Braut verliebt (das ist die berühmte Szene mit den Tafeln). Ein Schriftsteller (Colin Firth) mit Schreibblockade verliebt sich im französischen Landhaus in die portugiesische Haushaltshilfe, deren Sprache er nicht spricht. Ein Teenager betet die Austauschschülerin an (und he, es ist Weihnachten, er sagt es ihr auch).

Zwar ist nur Rowan Atkinson in seiner Rolle als Geschenkeinpacker ein offensichtlicher Freak, aber auch alle anderen Figuren in diesem Film sind nicht erst auf den zweiten Blick soziopathisch veranlagt (bis auf Claudia Schiffer in ihrem Kurzauftritt, sie ist eigentlich nur schön langweilig).

„Love Actually“ ist ein Spektrum der heteronormativen Liebe, wie es sie nur im Kino und da nur in der RomCom gibt. Insofern: Identifikationspotential niedrig, Schmachtpotential hoch. Wer, bitte schön, will im Kino schon etwas von „der Wahrheit“ wissen?

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