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Szenenbild aus "Wonka"

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Oh show me the way to the next chocolate bar

Hätten wir auch gut ohne die Vorgeschichte von Willy Wonka weiterleben können? Vermutlich ja. Doch Paul Kings „Wonka“ ist nicht die schmalzig-süße Kitsch-Operette, die der Trailer vermuten lässt. Klassenkampf, Kirchenkritik und - wie in Kings „Paddington“-Filmen - Optimismus und Kindness. 2023 hat einen Weihnachtsfilm.

Von Pia Reiser

„There’s No Earthly Way Of Knowing... Which Direction They Are Going“, sagt Willy Wonka in „Charlie and the Chocolate Factory“, und ähnliches ging wohl auch in vielen Köpfen vor sich, als feststand, dass Timothée Chalamet den Schokoladen-Zampano in einem Prequel spielen würde. Zwar hat „Wonka“-Regisseur Paul King mit beiden „Paddington“-Filmen fantastische Filme abgeliefert, aber Willy Wonka ist halt kein Paddington. Ein Bär mit Hut und Dufflecoat, da hat ein singender Weirdo in einem violetten (!) Gehrock (!) aus Samt (!) natürlich keine Chance. Dabei sind die Gemeinsamkeiten größer als vielleicht gedacht.

Szenenbild aus "Wonka"

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Wie Paddington beruht auch die Figur von Willy Wonka auf Kinderbuchklassikern, die vor allem in Großbritannien im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Beide sind Außenseiter, die mit dem Schiff anreisen, der eine liebt Orangenmarmelade, die er unter seinem Hut versteckt, der andere verfügt überhaupt über einen Zylinder, aus dem er - Mary-Poppins-Taschen-gleich - alles mögliche zaubern kann, hauptsächlich aber Schokolade in allen möglichen Formen. Und während der erwachsene Willy Wonka in beiden Verfilmungen (einmal gespielt von Gene Wilder, einmal von Johnny Depp) eher im oberen Bereich der Creepy-Skala angesiedelt ist, ist Willy, den wir in „Wonka“ kennenlernen - wie „Paddington“ - eine Mischung aus gutherzig und naiv.

Mit seinen streichholzdünnen Beinchen ist Timothée Chalamet, eines der aktuell goldenen Kindern der Popkultur, in die gestreiften Hosen und den schon erwähnten Gehrock von Willy Wonka geschlüpft. Tom Holland war auch lange im Rennen für die Rolle, der ist definitiv ein besserer Tänzer, doch Chalamet funktioniert sicherlich besser als dauerndes Gegengewicht zur im Film oft angestrengt-angestrebten Magie. Eine Art von überbordender, sentimentaler Leinwandmagie, die oft aus der Zeit der großen Hollywood-Musicals stammt, die aber in neueren Produktionen oft hohl, zu werbemäßig oder verlogen-verkitscht wie viele Disney-Realfilme wirkt. Anders als der horrende „Wonka“-Trailer vermuten ließ, tappt der Film aber nur selten in dieses Territorium allzu krampfiger Süße.

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Es bleibt natürlich die Frage, ob Prequels nicht das noch größere Übel als Sequels oder Remakes sind, denn wohl niemand hat schlaflose Nächte damit zugebracht, sich auszumalen, wie denn Hannibal Lecter, Fred Feuerstein, Cruella De Vil, Butch and Sundance und jetzt eben auch Willy Wonka ihre frühen Jahre verbracht haben - aber im Falle von „Wonka“ wird der Zweifel v.a. dadurch weggepustet, dass die Drehbuchautoren Paul King und Simon Farnaby ihren Roald Dahl gelesen haben und gleich mal grauenhafte Erwachsene (essentiell in den Büchern von Dahl) mit in Spiel bringen.

Willy Wonka landet - nachdem er vom Schiff gegangen ist - bei Bleacher und Mrs Scrubitt, die in einer Herberge ahnungslose Gäste einen Vertrag unterschreiben lassen, der gleich am Tag nach der ersten Übernachtung für einen Schuldenberg sorgt, den man in der hauseigenen Wäscherei abarbeiten muss. Olivia Colman ist großartig als grässliche Mrs Scrubitt - und sie erinnert als Herbergswirtin mit Abgründen auch an eine Figur aus Roald Dahls Geschichtensammlung „Kiss Kiss“.

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Doch Wonka lässt sich auch durch die Wäscherei-Sklavenarbeit nicht von seinem Traum abbringen: Er will eine Schokoladengeschäft in der Galerie Gourmet eröffnen, seine Mutter (Sally Hawkins ist nicht nur in „Paddington“, sondern auch hier mit dabei) hatte ihm davon erzählt und ihm das Versprechen gegeben, sie wäre - komme was wolle - dabei, wenn sich dieser Traum von ihm erfüllen wird. Wonkas Mutter ist inzwischen tot, doch so traurig wie trotzig hofft der junge Mann mit dem Zylinder darauf, dass wie durch ein Wunder dieses Versprechen wahr werden würde und alles so sein würde, wie früher. Alleine dieses Sentiment macht „Wonka“ zu einem idealen Weihnachtsfilm, weil sich wohl viele ab und zu dabei ertappen, Weihnachten so haben zu wollen wie früher, weil viele in diesen Tagen die Magie von Kindheits-Weihnachten zu wiederholen versuchen.

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FM4 Film Podcast am 18.12.: Wonka & Saltburn
Pia Reiser und Christian Fuchs diskutieren durchaus gegensätzlich über zwei sehr unterschiedliche Filme mit Brit-Flair und Pop-Erdung.

Wonkas Traum von der Laden-Eröffnung steht ein fieses Kartell von drei Schokoladen-Fabrikanten (ähnlich fies wie die drei Bauern in „The fantastic Mr Fox“) im Wege, die mit der Kirche zusammenarbeiten - und einen Polizisten im wahrsten Sinne des Wortes anfüttern. The greedy beat the needy sagt da Waisenkind Noodle (Calah Lane) schulterzuckend, aber der optimistische Wonka lässt das nicht einfach so stehen. Der kleine Wind des Klassenkampfes, der hier durchweht, auch er macht einen Teil des Charmes von „Wonka“ aus. Ebenso die gewisse Uneinordenbarkeit, wann und wo „Wonka“ denn eigentlich spielt. Einige Orte - so wie die Herberge - haben etwas eindeutig Dickens-artiges, auch die schlechten Zähne von Scrubbit und Bleacher sind natürlich ein klassisch britisches Stereotyp, doch interessanterweise entpuppt sich die kleine Stadt, in der Wonka gelandet ist, eher als magische „Europe in a bottle“-Stadt. Als hätte es den Brexit nie gegeben wächst hier typisch Britisches mit eher italienische anmutenden Platz in der Altstadt mit Plakaten in französischer Schrift, aber einem Zoo mit auf deutsch angebrachten Informationen zu den Eintrittskarten zusammen.

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„Wonka“ startet am 7. Dezember in den österreichischen Kinos

Ein Hauch von Wes Anderson weht dann herein, wenn Willy Wonka über seine magischen Schokolade-Kreationen spricht, die Menschen fliegen lassen können oder ihnen Selbstvertrauen geben (möglicherweise ist Willy Wonka auch einfach ein Drogendealer), die kleinen Kreationen mit kuriosen Namen wie „Hair Eclair“, wären vermutlich auch gern im Grand Budapest Hotel gerne gegessen worden. Hugh Grant stiehlt als Oompa Loompa nicht nur Schokolade sondern auch einige Szenen, auch er ist ein perfekt eingesetztes Zahnrädchen in diesem Räderwerk an Film, wo jede Figur und jede Kleinigkeit das große Geschichtengetriebe in Gang hält - und dabei ist aber auch noch Platz in Anlehnung an „The Wizard of Oz“ eine light-pink brick road zu erbauen und einer Figur den Namen Dorothy zu geben. Was wollt ihr noch mehr? Musical-Songs komponiert von Neil Hannon von The Divine Comedy? Gebongt!

„Wonka“ wird immer im Schatten von „Paddington“ stehen, aber wie gesagt, gegen einen Bären im Dufflecoat hat ja niemand eine Chance.

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