FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Alexander Schallenberg (ÖVP) am Donnerstag, 22. September 2022, während seiner Rede im Rahmen der 77. UNO-Vollversammlung in New York

APA/BMEIA/MICHAEL GRUBER

Warum Österreich gegen einen Waffenstillstand in Gaza gestimmt hat

Nur zehn Länder haben sich bei einer Abstimmung der UN-Generalversammlung gegen eine Resolution ausgesprochen, die einen Waffenstillstand und die Freilassung von Geiseln fordert. Warum Österreich dagegen war und wie sich Österreichs Rolle im Nahostkonflikt komplett gewandelt hat.

Von Ali Cem Deniz

Die Resolution, die am Dienstag mit einer überwältigenden Mehrheit angenommen wurde, ist nicht bindend. Weder Israel noch Hamas müssen die Waffen niederlegen. Hamas und andere Gruppen müssen keine Geiseln freilassen. Für die Konfliktparteien drohen keine Sanktionen, wenn sie gegen diese Resolution verstoßen. Dennoch hat die Resolution einen symbolischen Wert. Sie spiegelt wider, wie die internationale Gemeinschaft diesem Konflikt in seiner aktuellen Phase steht.

Während in der UN-Vollversammlung in New York 153 Staaten für den humanitären Waffenstillstand stimmen, sich 23 ihrer Stimme enthalten und 10 sich dagegen aussprechen, müssen 1,8 Millionen Menschen im Gaza-Streifen in provisorischen Zeltlagern ums Überleben kämpfen. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel, bei dem 1200 Menschen getötet und hunderte entführt wurden, verübt die israelische Armee Vergeltungsschläge im Gaza-Streifen. Dabei sind palästinensischen Angaben zufolge mehr als 18400 Menschen getötet, über 50000 verletzt worden. Die israelische Tageszeitung Haaretz hat die Daten, die von der israelischen Armee zur Verfügung gestellt werden, analysiert und kommt zum Schluss, dass 61 Prozent der Getöteten Zivilisten und Zivilistinnen sind, darunter viele Kinder.

Wer dagegen ist

Unter den zehn Ländern, die gegen die Resolution gestimmt haben, ist Israel. Dann die USA, die bereits im UN-Sicherheitsrat gegen die Resolution gestimmt hatten. Außerdem sind sechs kleinere Staaten, die im Nahostkonflikt keine eigenen Interessen verfolgen, aber in der Regel bei UN-Abstimmung immer so abstimmen wie die USA. Dazu gehört Paraguay, Nauru oder Mikronesien. Dass diese acht Länder so abstimmen, ist erwartbar. Doch dann sind zwei Länder, die mit ihrem Veto auch international für Aufmerksamkeit gesorgt haben: Die Tschechische Republik und Österreich. Sie sind auch innerhalb der EU die einzigen Länder, die die Resolution abgelehnt haben.

Was die Resolution sagt

Bei Abstimmungen in der UN Generalversammlung geht es darum, den kleinsten Nenner zu finden, sodass möglichst viele Länder ihre eigenen Interessen beiseitelegen und für eine Resolution stimmen. Die Resolution zum Waffenstillstand in Gaza ist ein kurzer Text. Er spricht von Konfliktparteien, ohne sie zu benennen. Er bewertet oder verurteilt nicht die bisherigen Aktionen der Konfliktparteien, aber er fordert den Schutz von israelischen und palästinensischen Zivilist:innen und fordert die Einhaltung des internationalen Rechts, die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand.

Die schwierigen österreichischen Einwände

Für Österreich war dieser kleinste gemeinsame Nenner zu wenig. Deswegen hat Österreich eine eigene Resolution eingebracht. Auch sie fordert die oben genannten Punkte, sie beinhaltet aber auch eine Verurteilung der Hamas. Als Reaktion darauf forderten allerdings arabische Staaten, dass in der Resolution im Gegenzug auch die israelischen Angriffe verurteilt werden. Das wiederum wollten Länder nicht unterstützen, die sich mit Israel solidarisieren.

Außerdem würde das im Widerspruch stehen zu einem weiteren Punkt, auf den Österreich pocht. Die Resolution solle das Selbstverteidigungsrecht Israels betonen. Eine Forderung, die politisch selbstverständlich klingt, aber juristisch gar nicht so einfach ist, meint der Völkerrechtler Ralph Janik von der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien. Denn grundsätzlich gelte das Selbstverteidigungsrecht bei Angriffen, die außerhalb besetzter Gebiete oder außerhalb der eigenen Staatsgrenzen kommen. So wie etwa beim russischen Angriff auf die Ukraine.

Länder, die ihre Meinung geändert haben

Im Oktober stand Österreich noch weniger isoliert da. Damals hatten 14 Staaten gegen eine Resolution gestimmt, die einen Waffenstillstand forderte. Darunter waren etwa Ungarn oder Kroatien. Westliche, mit den USA verbündete Staaten wie Kanada, Australien und Japan hatten sich damals ihrer Stimme enthalten. Sie alle haben dieses Mal dafür gestimmt.

Die Resolution im Oktober ließ die Geiseln unerwähnt, die aktuelle fordert hingegen ihre Freilassung. Diese Änderung im Text und nicht zuletzt die humanitäre Situation, die sich seit der ersten Abstimmung am 27. Oktober dramatisch verschlechtert hat, dürfte dazu beigetragen haben, dass diese Länder dieses Mal für den Waffenstillstand gestimmt haben. Die Länder würden wohl auch die österreichischen Bedenken teilen, meint Ralph Janik, aber sie wollen bei der überwältigenden Mehrheit auch nicht isoliert dastehen.

Die dritte Option

Auffällig viele europäische Länder haben weder für noch gegen den Waffenstillstand gestimmt, wie etwa Deutschland. Das deutsche Außenministerium argumentiert ähnlich wie Österreich, wollte aber dennoch nicht gegen den Waffenstillstand stimmen. Deutschland sage damit „Lassen wir die Politik außen vor und schauen wir uns das rein humanitär an und deswegen können wir nicht sagen, dass die Solidarität so bedingungslos ist, dass wir sogar gegen einen Waffenstillstand und humanitäre Pausen stimmen“, meint Ralph Janik.

Dass sich Österreich hier noch deutlicher als Deutschland mit Israel solidarisiert, sorgt nicht zuletzt wegen der österreichischen Neutralitätspolitik für Fragen. Auch für Ralph Janik sei das österreichische Stimmverhalten in der UNO auffallend. „Weil wir eigentlich sehr oft dafür gescholten werden, dass wir uns nicht eindeutig positionieren. In Bezug auf Israel ist man hier schon seit einigen Jahren relativ konsistent auf der Seite Israels und das ist auch aus Sicht der Neutralitätspolitik durchaus auffallend.“

Wo die Neutralität aufhört

Österreich und Tschechien stimmen nicht nicht nur in der UN gemeinsam ab. Am 25.Oktober fliegt Bundeskanzler Karl Nehammer gemeinsam mit seinem tschechischen Amtskollegen Peter Fiala zu einem gemeinsamen Besuch nach Israel. Sie drücken ihre Solidarität aus und verurteilen den Übergriff der Hamas. Im Anschluss an diesem Besuch werben Nehammer und Fiala einem Bericht der Financial Times zufolge innerhalb der EU für einen umstrittenen Plan der israelischen Regierung. Die sieht vor, dass Ägypten alle 2,2 Millionen Einwohner:innen Palästinas als Flüchtlinge aufnimmt. Nicht nur Ägypten, auch europäische Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien lehnen diesen Vorschlag ab.

Bei der Rückkehr nach Wien argumentiert damals Nehammer - wie auch die israelische Regierung - dass man die Hamas bekämpfen müsse, weil sie sonst auch Europa angreifen könnte. Neutralität könne es bei Terrorbekämpfung deshalb nicht geben. Dabei hat Österreich einst sich auf die Neutralität berufen, um im Nahostkonflikt eine Lösung zu finden, erinnert Völkerrechtler Ralph Janik. „Nämlich unter Bruno Kreisky. Als man argumentiert hat, man kann die Neutralität nutzen, um im Nahostkonflikt in irgendeiner Form eine Rolle zu spielen. Also da hat man die Neutralität in die genau umgekehrte Richtung eingesetzt. Jetzt setzt man sie ein, indem man sagt: Österreich ist bei Terrorismus nicht neutral.“

mehr Politik:

Aktuell: