Niemand versteht die Welt besser als Taxifahrer
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Niemand versteht die Welt besser als Taxifahrer. Dieser Taxler erklärt mir das Dasein bereits seit zwanzig Minuten. Er hat mit astrologischen Erklärungen begonnen. Die Sterne haben sich so bewegt, dass es Zeit sei für eine Änderung der Weltordnung. Man müsse blind sein, um es nicht zu sehen, die Sterne sagen uns alles, man müsse nur nach oben schauen und die Sterne lesen. Ich frage ihn wie er überhaupt die Sterne über Ottakring sehen kann bei so vielen Lampen. Er schweigt für eine Weile und antwortet mit dem biblischen „Wer Augen hat zu sehen, der sehe!“
Da habe ich wenig zu erwidern. Meine Augen sind von den wachsenden Zahlen am Taximeter gefesselt, ich habe aber keine andere Wahl. Von den Sternen steigt der Taxifahrer auf Politik um. Er versteht sie natürlich viel besser als alle politischen Kommentatoren, er kennt alle versteckten Hebel der Macht. Mit Leichtigkeit verwandelt er Gerüchte in Wahrheiten. Ich versuche ihm zu sagen, dass ich seine Gedanken bereits aus dem Internet kenne. Er meint es sei nicht wichtig, dass eine Nachricht existiert, man muss wissen wie man die Nachrichten verbindet.
Ich nicke und fühle mich als geheimer Mitwisser einer Verschwörungstheorie. Ich frage ihn, ob er den Film „Conspiracy Theory“ mit Mel Gibson kennt, wo er einen New Yorker Taxifahrer spielt, der alles über das Ende der Welt zu wissen scheint. Er hat den Film nicht gesehen, aber das ist ihm egal. Was in Filmen passiere, sei nur Blödsinn, er kenne das echte Leben. Er spricht mit solchem Feuer in der Stimme, wie ein Politiker bei einer Wahlkampfrede. Man brauche nur Ideen. Und Geld. Wenn man Ideen gut monetisieren könne, dann spiele man im Weltgeschehen mit.
Meine Taxifahrt ist zu Ende. Ich sage dem Taxifahrer, dass es super interessant war ihm zuzuhören. Denn Leute wie er bringen Revolutionen zustande. Ich zahle und steige aus. In die echte, komplizierte und langweilige Welt.
Publiziert am 31.01.2024
