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Filmstill aus "Stella"

Jürgen Olczyk

Wie hältst du’s mit der Moral?

Die Jüdin Stella Goldschlag wurde 1922 in Berlin geboren. 1946 wurde sie vor einem sowjetischen Militärtribunal wegen ihrer Spitzeltätigkeit für die Gestapo zu zehn Jahren Haft verurteilt. Man muss nur diese zwei Eckpunkte aus Stella Goldschlags Lebensgeschichte kennen, um zu wissen, dass sich dahinter ein Drama verbirgt. Für den Film „Stella. Ein Leben“ ist das Fluch und Segen zugleich.

Von Anna Katharina Laggner

Wir lernen Stella im Film als das singende Powerzentrum einer jüdischen Jazzband kennen, höchst selbstbewusst, voll Kraft und Fröhlichkeit, aber auch voll kaltschnäuzigem Ehrgeiz: als der Trompeter mehrmals seine Einsätze verpasst, weil seine Eltern deportiert wurden, faucht sie ihn an, er solle sich zusammenreißen. Dabei wird auch ihr zusehends bang, um sich und ihre Eltern, mit denen sie in einem abgedunkelten Zimmer bei Freunden untergetaucht ist. Gleichzeitig, und hier zeigt sich die Ambivalenz, die Regisseur Kilian Riedhof zu jedem Moment darzustellen bemüht ist, ist diese Film-Stella mit ihren blonden Locken, den blitzblauen Augen und ihrer herben Erotik der Inbegriff des deutschen Mädels. Sie muss sich wenig Sorgen machen, kontrolliert zu werden, wenn sie ohne Judenstern auf den Straßen Berlins oder in den Nachtclubs unterwegs ist.

Schickes 1940-er Berlin

Kilian Riedhof erzählt chronologisch: der Film beginnt 1940 und endet mit einer kurzen Szene in den 1980er Jahren, der Großteil spielt jedoch während des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Stella betreibt mit ehemaligen Bandkollegen einen (Wucher-)Handel mit gefälschten Ausweisen und Lebensmittelkarten, es ist fast ein Katz- und Mausspiel, das sie da mit den auf allen Straßen präsenten Gestapo-Offizieren treibt. Ein schmaler Grat, auf dem sich der Film hier bewegt: dieses Berlin der 1940er ist schick in Szene gesetzt, Stella und ihre Fälscherkollegen allesamt sehr gutaussehende junge Menschen, frech und keck strahlen sie ein kühnes Mir-kann-keiner-was aus. Aber irgendwann wird Stella verraten und von der Gestapo malträtiert, geprügelt und gefoltert, das sind grausame Szenen und offenbar notwendig, um die Entscheidung Stellas zu erklären: Um ihre Eltern und sich vor Auschwitz zu bewahren, wird sie zur Kollaborateurin. Sie spürt Jüdinnen und Juden im Untergrund auf und verrät sie an die Gestapo. Die Zahl der Opfer von Stella Goldschlag ist unbekannt.

Filmstill aus "Stella"

Christian Schulz

Das Opfer als Täterin

Paula Beer mit ihren Wasserstoff-Marilyn-Locken ist eine großartige Leinwandfigur, praktisch alle Männer im Film begehren sie und wir im Zuschauerraum schauen sie gerne an. Das ist nicht unproblematisch, denn es verführt dazu, die Taten der Stella zu relativieren. Aber Paula Beer stemmt die schauspielerische Mammutaufgabe. Mehr und mehr muss sie die Ambivalenz zwischen Opfer- und Täterschaft verkörpern, sie kommt in jeder Szene vor und eigentlich nie zur Ruhe. Die Form des Filmes – rasanter Schnitt, schnelle szenische Sprünge und eine tendenziell wild agierende Kamera – passt dazu. Da gibt es etwa eine Szene, in der Berlin bombardiert wird, alle flüchten in Schutzkeller, nur Stella und zwei Freunde entern eine Wohnung und machen sich unter zitternden Lustern über ein Festessen her. Dazu auf der Tonspur: Bombenhagel und Wagners Walkürenritt. Je nach Betrachtung verkörpert diese Szene den rasenden Irrsinn des Krieges oder macht den Krieg selbst zum Spektakel.

Filmstill aus "Stella"

Christian Schulz

Buch-Stella vs. Film-Stella

Über „Stella“ lässt sich vor allem sagen, dass der Film nie müde wird, Argumente für und gegen das Handeln der Hauptfigur zu liefern. Und er ist damit wesentlich sorgfältiger im Umgang mit der 1994 - vermutlich durch Suizid - verstorbenen realen Stella Goldschlag als es der deutsche Journalist/Autor Takis Würger in seinem Roman „Stella“ war. In der Marketingkampagne zu Würgers Roman (in dem er einen jungen Schweizer Naivling erfindet, der sich in Berlin in eine verführerische blonde Frau verliebt), stellt der Hanser Verlag die Frage „Hätten Sie zu Stella gehalten?“

Filmstill aus "Stella"

Christian Schulz

„Was hättest du getan?“

Was aber zumindest ein wenig origineller ist als die Frage, die am Filmplakat steht: „Was hättest du getan?“ prangt da ganz oben mittig. Ja, diese Frage ist höchst naheliegend! Was hätte ich getan, wäre ich eine junge ehrgeizige Sängerin gewesen, im Berlin der 1940er Jahre, mit Ambitionen, es bis an den Broadway zu schaffen? Was hätte ich getan, wäre ich aber dummerweise Jüdin gewesen im Berlin der 1940er Jahre und wären mir dadurch sämtliche Ambitionen versagt geblieben? Was hätte ich getan, wäre ich in die gemeine Spitzelmaschinerie des Nazi-Regimes geraten, wäre von der Gestapo knapp nicht zu Tode gefoltert worden, was hätte ich nur getan? Die Frage ist so rhetorisch wie sinnlos wie moralisch. Niemand kann sie ehrlich beantworten. Ich finde es anmaßend, wenn ein Film (ein Buch, ein Verlag) eine konkrete Lebensgeschichte benutzt und fiktionalisiert, um dem Publikum, wie es immer heißt, „einen Spiegel vorzuhalten“.

„Stella. Ein Leben“ läuft ab 16.2.2024 in den österreichischen Kinos.

Weder die Frage am Plakat wäre notwendig gewesen noch die für das deutschsprachige Bewältigungskino ebenso notorischen wie banalen Einblendungen von historischer Information am Anfang und Moralsprüchen am Ende. „Stella“ (der Film) ist ein ambivalentes Vergnügen.

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