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Filmstill aus The Zone Of Interest

Leonine

Hinter der Mauer das Grauen

In „The Zone of Interest“ ist die Todesmaschine von Auschwitz ein unheilvoll bedrohlicher Sound-Körper, vor dessen Hintergrund sich das beschauliche Familienleben des Lagerkommandanten Rudolf Höß abspielt. Realisiert vom britischen Regisseur Jonathan Glazer und mit Sandra Hüller in der Hauptrolle, ist der Film fünffach oscarnominiert, darunter für das beste Sounddesign.

Von Anna Katharina Laggner

Die Fliederbüsche und das Glashaus, der Swimmingpool mit Rutsche, eine blumenumrankte Pergola mit Gartenmöbel, all das zeigt Hedwig Höß ihrer Mutter, als diese aus Deutschland ins polnische Auschwitz zu Besuch kommt. Ein kleines Paradies, die Mutter ist begeistert. Der Wein, den Hedwig Höß an der Lagermauer gepflanzt hat, muss noch wachsen, „damit man das nicht so sieht“. Kurz denkt die Mutter laut an eine Jüdin, die eventuell in diesem Lager sein könnte, „die mal für dich geputzt hat“. Die Mutter ist im Film die Einzige, die auf die Inhaftierten hinweist. Sie wird dann auch ohne Ankündigung abreisen, den Inhalt des Briefes, den sie hinterlässt, erfahren wir nicht.

Sandra Hüller spielt Hedwig Höß, eine vielfache Mutter, die über einen Haushalt herrscht, in dem Lagerhäftlinge als Bedienstete arbeiten. Sie lacht praktisch nie und Hüller verpasst ihr einen ungesund wirkenden, breitbeinigen, grobschlächtigen Gang - ein gefühlloser Bulldozer. Im Gegensatz dazu ihr Mann, der Lagerkommandant Rudolf Höß, gespielt von Christian Friedel. Als liebevoller Familienvater liest er seinen Kindern abends mit zärtlicher Stimme Märchen vor oder erzählt ihnen beim gemeinsamen Ausflug an den Fluss von Störchen, die nach Afrika fliegen. Sein Sohn spielt im Bett mit menschlichen Gebissen. Dazwischen schneidet Regisseur Jonathan Glazer Traumszenen eines nachtwandlerischen Mädchens, eventuell eine der Töchter von Höß, die in ihren Träumen Äpfel für die Häftlinge versteckt.

Filmstill aus The Zone Of Interest

Leonine

Die Figuren in „The Zone of Interest“ unterscheiden sich von denen anderer Spielfilme, denn sie entwickeln sich nicht. Sie sind statische Charaktere, die in diesem Haus Rollen zu spielen haben. Es ist fast zynisch, mit welcher Akribie Rudolf Höß darauf achtet, dass vor dem Zubettgehen alle Lichter ausgeschalten sind.

Während des Drehs war am Set keine Crew zugegen, es gab stattdessen remote gesteuerte Kameras. Hüller, Friedel und der restliche Cast spielte alleingelassen die ihnen aufgetragenen Szenen, sie hatten Aufgaben zu erfüllen, die sie in verschiedenen Variationen ausprobierten. Regisseur Jonathan Glazer sah über Bildschirme zu, hörte zu und ließ sich das Gesprochene simultan dolmetschen, er spricht kein Deutsch. Glazer sorgte also während des Drehens für eine für die Schauspielenden ungewohnte, gleichzeitig gezwungene wie schutzlose Atmosphäre. Christian Friedel sollte die Figur des Rudolf Höß unlesbar machen, ihn nicht als Täter darstellen.

Filmstill aus The Zone Of Interest

Leonine

Im Konzentrationslager Auschwitz sind über eine Million Menschen ermordet worden. Die Tötungsmaschinerie ist in „The Zone of Interest“ eine bedrohliche Geräuschkulisse, Schreie, Schüsse, Trampeln, ein Sounddesign, das das Entsetzen permanent am Köcheln hält. Vom Lager sieht man nur die Mauer und Rauch, der aus den Schloten aufsteigt. Damit versetzt Jonathan Glazer das Publikum auf perfide Art und Weise in eine ähnliche Lage wie die Familie Höß: Weil es kaum erträglich ist, beginnt man den Sound im Hintergrund als notwendiges Übel hinzunehmen, mit anderen Worten: zu verdrängen. Eine beunruhigende Erfahrung.

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