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The Jesus & Mary Chain Comeback-Album "Glasgow Eyes"

Mel Butler

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„Glasgow Eyes“: Das Comeback-Album von The Jesus And Mary Chain

The Jesus And Mary Chain veröffentlichten vor fast 40 Jahren ihren ersten Song. Die Brüder Jim und William Reed haben nie aufgehört, miteinander Musik zu machen, trotz immer wieder längerer Pausen und vieler Differenzen. The Jesus And Mary Chain sind lebende Legenden, die unzählige Bands inspirierten. Ihr neues Album „Glasgow Eyes“ ist ein starkes Comeback.

von Eva Umbauer

Jim Reed besitzt tausende Schallplatten. Da ist viel Musik, viel zu viel Musik zum Anhören. Ob da noch Neues hinzukomme, wurde er einmal gefragt. Nein, war seine Antwort. Ok, irgendwann hat er den Jazz entdeckt, den er früher nie verstanden hat, wie er sagt, aber sonst, nein, tausende Platten, das reicht, diese Sammlung muss man nicht unbedingt weiter vergrößern. Auch weil man weiß, dass man ohnehin etwa wieder auf The Velvet Underground zurückgreifen wird. „They are one of the most influential bands ever, they are so fucking influential“, sagen The Jesus And Mary Chain.

Einmal Brüder, immer Brüder

Einer der beiden Reed-Brüder beginnt meist einen Satz, und der andere spricht ihn fertig; es ist fast so, als ob es sich um Zwillinge handeln würde. Kaum zu glauben, dass die beiden so viel gestritten haben in ihrem Leben. Damit ist jetzt Schluss, vielleicht auch, weil einem erst im fortgeschrittenen Alter bewusst ist, was man am anderen hat. Jim und William Reid wissen nun: The Jesus And Mary Chain - so etwas kann man nicht einfach wegwerfen. Das neue Album „Glasgow Eyes“ und eine Tour sind das Ergebnis dieser Erkenntnis.

„Brother, can you hear me calling you?“ - The Jesus & Mary Chain, „Second Of June“

„Glasgow Eyes“ ist das mittlerweile achte Album von The Jesus And Mary Chain. Acht Alben in 40 Jahren ist nicht unbedingt eine große Ausbeute, aber es kommt ja nicht immer auf die Quantität an. Sieben Jahre sind seit dem letzten Longplayer vergangen, und dieser war durchwachsen, bestand hauptsächlich aus Songs, die es schon einmal in etwas anderen Versionen gab, etwa im Rahmen von Solo-Projekten von Jim Reed, Freeheat - die Band von William Reed, oder in sonstigen Projekten. „Glasgow Eyes“ hingegen ist komplett fresh. Es ist eine richtig vitale Platte geworden, ein sehr starkes Lebenszeichen von The Jesus And Mary Chain.

Der Albumtitel „Glasgow Eyes“ ist eine Art Hommage an jene Stadt, wo alles begonnen hat. Aufgewachsen waren die Reid Brüder ein Stück südlich in East Kilbride, einer eher gesichtslosen sogenannten „new town“, einer Pendlerstadt ohne alte Bausubstanz, dafür mit einem großen Einkaufszentrum: The Town Centre ist das größte Shopping Centre in Schottland und das zehngrößte in Europa. Aber nun kommt dort ein Kunst- und Kulturzentrum dazu, außerdem ein Theater mit 1000 Sitzen, ein Konferenzzentrum sowie ein Museum.

East Kilbride konnte unangenehm sein - Drogen und Gewalt. Vielleicht stritten die Reid-Brüder ja aufgrund ihres Aufwachsens so viel. Heute ist man, wie gesagt, Streit-frei, und auch drogenfrei. Ansonsten herrscht bei Jim und William das große Understatement: Wir sind einfach ins Studio gegangen, heißt es zum neuen Album - „and see what happens“. Man begann, ein paar Songs aufzunehmen und „let it take its course“. Es war einfach „the same old deal“.

Aktuelle Musik wirkte sich durchaus dann aber ein wenig aus auf die neuen Tracks von The Jesus And Mary Chain. Vielleicht ist das ja, weil seine Kids öfter Musik anschleppen, die gar nicht schlecht ist, wie William Reid zuletzt einmal in einem Interview lapidar anmerkte.

JAMCOD = Jesus And Mary Chain Over Dose

Also begaben sich diese lebenden Legenden ins Aufnahmestudio in Glasgow - Castle Of Doom heißt es, und wird von der Band Mogwai co-betrieben: „We messed around with some synths and tweaked the sound a bit“. Auf „JAMCOD“, einem der Schlüsseltracks von „Glasgow Eyes“, hört man gut, wie Jim Reid die Synths bedient. Der Track verbinde, so Jim, „dark electronica with some crunchy guitars.“ Was man halt so macht.

Jim Reid war 24 Jahre alt und sein Bruder William drei Jahre älter, als The Jesus And Mary Chain Mitte der 1980er Jahre ihr erstes Album veröffentlichten. „Psychocandy“ wurde ein Meilenstein der alternativen Popmusik: Der Lärm, das viele Gitarrenfeedback, kombiniert mit klassischen Melodien und Struktur der Populärmusik.

Sixties-Pop von den Beach Boys aus Kalifornien und die Rolling Stones waren Einflüsse auf „Psychocandy“, aber auch The Velvet Underground, Iggy Pop und seine Band The Stooges oder die New Yorker Electronic-Pioniere Suicide mit ihren frühen Synthesizern und primitiven Drum Machines. Erst trommelte Bobbie Gillespie noch für die Reid-Brüder, aber er machte sich bald selbstständig als Sänger von Primal Scream, einer anderen Glasgow-Band, die später ziemlich groß wurde.

Hinter dem „wall of noise“ von The Jesus And Mary Chain versteckte sich viel Melodie und Emotion, oder wie es das Donaufestival Krems, wo die Band heuer auftritt, formuliert: "Als The Jesus And Mary Chain Mitte der Eighties die Konzertbühnen betraten, waren sie so laut, so schön, schmerzhaft und cool wie keine andere Band. „Psychocandy" hieß ihr Debut, darauf fanden sich die lieblichsten Melodien und die fiesesten Gitarrenfeedbacks, und oft konnte man zwischen beidem keinen Unterschied hören.“

Grian Chatten von der irischen Band Fontaines F.C. ist ein Fan von The Jesus & Mary Chain, so wie unzählige andere Musiker und Musikerinnen auch, ganz unterschiedliche wie Ben Gibbard von Death Cab For Cutie oder James Mercer von The Shins. Die Pixies coverten einen Song von The Jesus And Mary Chain, nämlich „Head On“ - von „Automatic“, dem dritten Album der Band - auf ihrem „Trompe Le Monde“-Album oder ihren Song „Just Like Honey“ hört man im Film „Lost In Translation“ von Sophia Coppola. Auch das Shoegazing-Genre - heute auch von Tik Tok weitergetragen - haben The Jesus And Mary Chain maßgeblich mitbegründet.

Es ist schön zu sehen, wieviel Leben in diesen alten Hunden namens The Jesus And Mary Chain im Jahr 2024 steckt. Zwei milchgesichtige junge Männer, die vor langer Zeit ihre Reise als Band begonnen haben. Ihre neue Platte „Glasgow Eyes“ ist fast schon so etwas wie ein Triumph, ein großes Homecoming, mit Songs wie „Hey Lou Reed“, „The Eagles And The Beatles“, „Pure Poor“, „Girl 71“, „Silver Strings“, „Second Of June“ oder „Chemical Animal“.

Bei letzterem singt Jim Reed: „I fill myself with chemicals to hide the dark shit I don´t show“. Der Track ist eine Art spätgeborener Bruder zu „Just Like Honey“ von 1985. Ach ja, und eine weitere Drogenreferenz muss natürlich auch noch sein. „Venal Joy“ heißt der Track, auch wenn sich das Leben ohne das Zeug soviel besser anfühlt für Jim und William Reid.

The Jesus & Mary Chain spielen am 19. April 2024 beim Donaufestival Krems.

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