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Hyperreality Eröffnung

Susanna Hofer

Hyperreality

Willkommen in der Hyperreality

Die Eröffnungsnacht der neuen Clubschiene der Wiener Festwochen

Von Katharina Seidler

Was kann ein Dancefloor sein? Was soll auf einer Bühne passieren? Wo verschwimmen die Grenzen zwischen digitalem Kunstleben und der physischen, angreifbaren Welt? Hyperreality, die neue Clubschiene der Wiener Festwochen, sucht Antworten und begibt sich dazu in eine Hyper-Realität. Sie hat dafür die passende Location gefunden, ein Renaissance-Schloss am Stadtrand, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, vermutlich sogar tatsächlich. Ein unbesetzter Ort, der für alle, die zum ersten Mal da sind, erst durch das Festival mit Bedeutung aufgeladen wird.

Hyperreality Eröffnung

Susanna Hofer

Hier ist es möglich, sich zu verlieren. Erstens zwischen den Floors, auf Steinstiegen, Baugerüst-Aufgängen, nach Geheimtüren, die man erst durchschreiten darf, wenn man sich einen Fingernagel lackieren lässt, zwischen Weihnachtsmarkt-artigen Getränkehäuschen, hinter Säulen, unter Gewölben. Zweitens im Trockennebel auf der Tanzfläche, in der Menschenmenge vor der Bühne, im Bassgrollen oder im Schneiden einer Noise-Fläche.

Wie weit darf man im Eskapismus abtauchen, wenn die Welt rundherum in Flammen steht? Beim Hyperreality Festival geht es, weil es hier Prinzipien gibt und weil die neue Wirklichkeit, die hier entworfen wird, besser ist als die Gesellschaft draußen. Hier werden Genre- und Geschlechtergrenzen durchlässig, hier kommen Menschen und Musiken aller Art zusammen, ein großes Bier kostet weniger als ein kleines, auf den Merch-T-Shirts steht „Keine Angst“.

Die Musik, die auf diesem Festival passiert, hat ihren Ort gemeinhin „im Internet“, gerade weil sie Einflüsse aus so vielen Ländern vereint, und sie verbreitet sich fernab von den Mechanismen des Popbusiness. Manchmal muss die virtuelle Welt aber auch in die reale übergehen, und ein besonders schönes Beispiel dafür ist die Kunst der amerikanischen Komponistin Holly Herndon.

Hyperreality Eröffnung

Susanna Hofer

Die menschliche Stimme wird in ihren Produktionen in einzelne Atemschnipsel, Keuchen und Lautfetzen zerhäckselt und schafft so eine überaus digitale Musik aus organischem Ausgangsmaterial. Mit ihrem Lieblingsinstrument, dem Laptop, verbindet sie eine Hassliebe, weil der Gegenstand, der ihre privatesten Geheimnisse von Fotos bis Nachrichten kennt, in Zeiten von Datenmissbrauch und NSA zum Verräter wurde. Der Kontrast zwischen der permanenten Verbundenheit mit der ganzen Welt und der gleichzeitigen digitalen Einsamkeit ist ein zentrales Thema in ihrer Arbeit.

In letzter Zeit zieht es sie aber, so sagt sie selbst, immer mehr zurück zu den echten Menschen, und daher hat sie bei ihrer neuen Live-Show, die ihre Weltpremiere am Hyperreality Festival feiert, den Künstler Mat Dryhurst, den Performer Colin Self und einen zehnköpfigen Chor dabei. Besser geht es eigentlich kaum. Beats und Stimmen schlingen sich in wahnwitzigen Figuren umeinander, der zerhackte Atem wird zwischen Tanz und komplexem Gesang zum echten Außer-Atem-Sein. In ihrem Greifen nach den Sternen einer Popmusik, die das bisher Dagewesene in Frage stellt und in einer riesigen Geste neu erfindet, mühelos, steht Holly Herndon einzigartig in den Höhen von etwa Björk. Genau für solche Momente einer neuen Kunst sind die Festwochen da.

Hyperreality Eröffnung

Susanna Hofer

Davor hatte der Wiener Komponist Jung an Tagen gemeinsam mit der australischen Bratschistin Battle-Ax, der serbischen Künstlerin Haskii und dem Video-Kollektiv Der Kleine Kreis das Auftragswerk “Sonata In Ш” aufgeführt. Der Laut Ш „Sch“ wird dabei zu dem Moment, in dem Sprache und Musik an den Noise andocken. Über die hauchdünne Stoffleinwand flimmern feingliedrige Formen, die die ideale Entsprechung zu den elektronischen Klangmodulationen sind; dahinter erahnt man die beiden MusikerInnen. Auch hier kommt der digitale und der physikalische Raum mit den weichen Tönen der Bratsche und den gewaltigen Sounds der Maschinen auf zauberhafte Weise zusammen. Ein Paukenschlag zur Eröffnung der Hyper-Realität.

Vieles ist noch passiert. Asfast beweist mit seiner neuen, einen Tick tanzbareren und immer besseren Liveshow zu seinem aktuellen Album „Peace in drifts“, warum er zu den wichtigsten jungen Elektronik-Avantgardisten des Landes gehört. Vertreter des südafrikanischen Kollektivs Mafia Boyz zelebrieren die in ihrer Heimatstadt Durban entwickelten staubtrockenen, minimalistischen Clubmusik-Spielart Gqom voll vertrackter Rhythmen, Drumrolls und geisterhaften Samples aus Hundegebell und traditionellen Gesängen.

Im sogenannten Westsaal - das Baugerüst rauf, durch den Hof, vorbei an den Punschhütten, hinein in den hinteren Schloss-Turm - tobt inzwischen die ganze Nacht lang das Showcase der in den Lissabonner Barrios gegründeten Clubmusikplattform Príncipe Discos: Footwork, Kuduro („hard ass“), afroamerikanische Rhythmen, Karibik, Schweiß, Extase. Die eingeladenen Kollektive können beim Hyperreality das Programm ihres Showcases frei gestalten. So soll es sein.

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