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Daily Blumenau

Drei drängende Fragen nach der Wahl

Die Sache mit der Minderheitsregierung, die Frage nach der Korneuburger Republik und der Aufstand gegen die Fütterung des Medien-Boulevardmonsters.

von Martin Blumenau

Ja, eh, das ist noch gar kein Endergebnis der #nrw17 - aber für alle, denen die redundante Koalitions-Spekuliererei samt Personal-Raten schon auf die Nerven geht: es gibt auch drei große und drängende Fragen abseits dieser populistischen Basics.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

1 - Wie ist das mit der Kurz-Idee einer Minderheitsregierung?

Es war ein Minderheitenthema, wurde aber immerhin in Fachkreisen (Eliten) diskutiert: die Idee, die Dynamik, die die „Bewegung Kurz“ entwickelt hatte, dann auch in einer neuartigen Regierungsform weiterzudrehen. Stichworte: Experten-Kabinett der besten Köpfe, Parlaments-Beschlüsse mit wechselnden Mehrheiten, Einbindung aller demokratischen Kräfte etc. Vorbild: Norwegen.

Ventiliert wurde diese Variante vom Kurz-Camp selber, in eher vage bleibenden öffentlichen Andeutungen des Spitzenkandidaten und einer vertieften Variante in sogenannten Hintergrund-Gesprächen mit der Journalisten-Elite.

Dahinterstehendes Kalkül: eine weitere Option neben Schwarz-Blau, Schwarz-Rot und der (mittlerweile unmöglichen) Dirndl-Koalition zu eröffnen. Und: lässig und modern dastehen.

In den Medien kam diese, demokratiepolitisch vielleicht gewagteste Option trotz gezielter Streuung kaum durch - womit sie auch schon wieder unwahrscheinlicher geworden ist. Eine solche Idee müsste über eine daran interessierte Öffentlichkeit zurückgespielt werden.

Warum hat das nicht geklappt? Weil sich eben nicht nur der Boulevard, sondern auch die selbsternannten Qualitätsmedien auch lieber mit simplen Koalitions-Spekulationen begnügen. Und weil die Chefredakteure dieses Landes off the records-Hintergrundgespräche als Privatissimum sehen, als Bonus in punkto Geheimwissen, und kaum Interesse daran haben ihrer Pflicht der Information der Öffentlichkeit nachzukommen.

So sieht der geschätzte Kollege Kappacher die Idee einer Minderheitsregierung.

Das hat das Kurz-Camp entweder falsch eingeschätzt und sich so eine Option vergeben - oder genau richtig eingeschätzt, um eine Idee, die cool klingt, die man aber eh nicht ausführen will, zu ersticken.

Wirklich gute Chancen hätte diese Variante mit Kurz als großem Sieger, also bei einem fulminanten VP-Zugewinn (ca 35%), deutlich abgeschlagenen Konkurrenten SP und FP (so rund 22%) und gestärkten Kleinparteien (ab 7 oder 8%) gehabt. Wenn keine Zweier-Koalition ohne VP eine absolute Mehrheit erzielt hätte, wäre diese Option wohl ziemlich fix gewesen.

Derzeit sitzt die einstige clevere Königsidee nur auf der Ersatzbank.

PS: das Beispiel Norwegen lohnt einen genauen Blick. Dort bildeten 2013 - 2017 Konservative und Rechtspopulisten eine Minderheitsregierung, die sich im Pool von weiteren 5 großen Mitspielern immer neue Mehrheiten suchen konnten. Wobei das zumeist zwei kleinere Mitte/Mitte-Rechts-Parteien waren. Und: In Skandinavien gehört das freie Spiel der Kräfte zum guten Ton - bei uns gilt es (bis dato) als Versager-Tool.

2 - Droht Österreich die Orbanisierung, eine Korneuburger Republik?

In Österreich gibt es seit Beginn der 1. Republik eine absolute Mehrheit rechts der Mitte: Konservative und Nationale. In seltenen Ausnahme-Fällen gingen einige davon ein „Stück des Weges“ mit der Sozialdemokratie - ohne dabei ihre Grundgesinnung zu verlassen. Das war bei Kreisky in den 70ern so, und flackerte beim vorjährigen BP-Wahlkampf auch wieder einmal auf.

Die Annäherung der nationalen Kräfte an die illiberalen Demokratien in Ungarn und Polen (Strache tritt ja für einen Visegrad-Beitritt Österreichs ein) ist evident; aber auch der konservative Kandidat Kurz betonte gerne seine Nähe zum EVP-Kollegen Orban und begibt sich somit in unmittelbare Nähe einer schleichenden Erosion der liberalen Demokratie westeuropäischer Prägung.

Die Handlungspraxis der ungarischen und polnischen Regierung wiederum ist nicht weit vom Korneuburger Eid entfernt, der ideologischen Basis, mit der Österreichs Christlich-Soziale (vor allem Julius Raab) 1930 die Diktatur des Ständestaats mit seiner Ausschaltung des Parlaments, seinem Isolationismus, seinen Notverordnungen und Standgerichten, Massenerschießungen und Anhaltelagern für Andersdenkende vorbereiteten.

Droht nach dem Gleichschritt-Wahlkampf in Fragen der Flüchtlings/Migrations/Sicherheits-Politik nun also auch in Österreich ein scharfer Ruck nach Rechtsaußen, womöglich einer in Richtung illiberale Demokratie?

Dem stehen die Kräfteverhältnisse entgegen: die verfassungsgebende Zwei-Drittel-Mehrheit, mit der Ungarn und Polen gerade ihre Gesellschaften umgestalten, ist für ÖVP und FPÖ nur gemeinsam mit Neos möglich; es sei denn, alle drei kleinen Parteien fliegen nach den Wahlkarten noch aus dem Parlament - dann wäre diese Mehrheit da.

Dem steht auch der wahrscheinliche Wegfall einer Option des Kabinetts der besten Kräfte (siehe Punkt 1) entgegen, die - in einer drastischen Missinterpretation - ja auch eine Stände/Klassenanmutung aufweisen könnte.

Außerdem existiert ja noch eine ganz andere Denk-Variante: die Kurz-ÖVP setzt, nachdem sie mit einem vergleichsweise radikal geführten Wahlkampf den Führungsanspruch errungen hat, wieder auf die liberalen Grundtugenden, mit denen der jugendliche Kandidat einst angetreten war und rückt die wutbürgerliche Gesellschaft durch ein viele zufriedenstellendes Reformangebot wieder in die Mitte.

3 - Was ist von den SPÖ-Ankündigungen zu halten, den von ihr hochgepäppelten Medien-Boulevard fallen zu lassen?

Es dauerte bis tief in den September hinein, ehe der bis dorthin diesbezüglich wenig klare Kandidat Kern Kante zeigte und ein Lippenbekenntnis in den Vordergrund stellte. Nachdem Medienmogul Fellner Kanzler Kern seine ganze Aktivierungs-Macht spüren ließ und ihn in seinen Medien einer Destabilisierungs-Kampagne mit Haken und Ösen unterzog, weil er eine Einladung ausschlug, platzte ein Kragen: und der Nachfolger von Faymann bekannte sich öffentlich und vollmundig dazu, die Medien-Politik seines Vorgängers endlich zu beenden.

Soll heißen: keine massiven, via Inseratenvolumen gesteuerten Finanzspritzen für den Gratis-Boulevard (vor allem Österreich und Heute) mehr, die den SP-Spitzen in Wien und Bund über Jahre hin freundliche Berichterstattung besorgt hatte. Zuschüsse, die diese Blätter am Leben erhielten. Blätter, die in populistischer Beißer-Manier die Themen der politischen Populisten voran- und so die SPÖ politisch vor sich her-trieben.

Am Wahlabend sprach der SPÖ-Chef und künftige Ex-Kanzler offen von der Mitschuld des Medien-Boulevards (egal über welche Ausspielwege das geht - es darf sich jeder angesprochen fühlen).

Nun war diese Schlagseite des Boulevards samt daraus folgender Ungleichbehandlung des Kanzlers auch schon vor dem Kern-Fellner-Österreich-Eklat bekannt. Ohne dass daraus Konsequenzen gezogen wurden.

Jetzt, wo sich Kern bekennt, tut er das als König ohne Land. Er hat wohl bald keinen Einfluss mehr auf die Regierungsinserate, die den Boulevard finanziell am Leben halten. Und er hat keinen Einfluss auf das, was die Gemeinde Wien, die Wiener SPÖ und gemeindenahe Institutionen machen. Und die werden in den bevorstehenden Diadochenkämpfen um die Häupl-Nachfolge sicher nicht auf den Goodwill des Medien-Boulevards verzichten.

Die Ankündigung Kerns mag in ehrlicher Erkenntnis erfolgen - sie wird aber ohne die Einbeziehung der Wiener SPÖ und der nächsten Bundesregierung wirkungslos verpuffen.

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