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Wolken Himmel

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Wetter international

In Bulgarien ist der Wetterbericht die beliebteste TV-Sendung. Auch meine Oma verfolgt ihn gespannt.

Von Todor Ovtcharov

Meine Oma rief mich vorgestern an. “Zieh dich warm an, mit Jacke, Schal und Kappe! Ich habe speziell für dich diese Kappe gestrickt, die Rote mit den blauen Streifen, damit du dich nicht verkühlst!” Ich habe sie sofort verdächtigt, mich anzurufen, weil sie eine weitere Haube gestrickt hat und sie mir wegen des kalten Wetters andrehen will. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass der Frühling vor der Tür steht und ich keine Wollhaube brauche. Meine Oma unterbrach mich. “Ich habe gesehen, dass sich der Frühling in Wien verspätet. Es wird kalt und dunkel sein und es wird regnen, zieh dich warm am, ich habe dir auch Wollsocken gestrickt!”

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Meine Oma ist 87 Jahre alt. Sie strickt sehr gut. Das Problem ist, dass sie auch sehr viel strickt. Und dass sie viel fernschaut. Ich kann sie nicht täuschen, da sie jeden Tag den Wetterbericht im Fernsehen verfolgt.

Ihr wisst, dass sich die Wettervorhersage im österreichischen Fernsehen nur auf das Land beschränkt. Die Nachbarländer existieren nicht. Wenn man seinen Zahnarzt in Sopron besuchen will, weiß man nicht, ob man ein Regenschirm mitbringen soll. Bratislava ist ebenfalls kein Teil der österreichischen Wettervorhersage, als ob es in Patagonien läge. Nach der österreichischen Wettervorhersage ist das Land eine Insel im europäischen Ozean.

Im bulgarischen Fernsehen ist das anders. Man spricht zuerst über das eigene Wetter, und danach doppelt so lang über das Wetter auf dem ganzen Kontinent. Man erzählt lange über den Regen in Nordengland, über den Wind in der Bretagne, über das vereiste Berlin oder die Hitze in Andalusien. Laut verschiedenen Studien hat die Wettervorhersage auf allen Sender ein paar der höchsten Quoten. Weder die politischen Formate, noch die Realityshows, nicht einmal die Fußballspiele können ihr das Wasser reichen. Es ist auch seltsam, dass sich viele Leute den Wetterbericht auf mehreren Sendern anschauen. Als ob sie erwarten, dass es plötzlich in Nordengland zu regnen aufhört und der Wind in der Bretagne sich legt.

Winter Mütze von hinten

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Das ist so, weil viele Bulgaren an ihre Familienmitglieder denken. Die Bindungen in der Familie sind sehr stark, das spiegelt sich sogar in der Sprache. In vielen Sprachen nennt man die männlichen Verwandten von Vater oder Mutter bloß „Onkel“. Auf Bulgarisch gibt es viele unterschiedliche Wörter für jeden Verwandten, und man soll sie niemals verwechseln!

In den letzten dreißig Jahren haben sich bulgarische Familien in ganz Europa zerstreut. Der Vujtscho (Bruder der Mutter) ist ein Programmierer in Zürich, während der Tschitscho (Buder der Vater) ein Arzt in Tschechien ist, die Strinka (Ehefrau des Bruders des Vaters) pflegt alte Menschen in Deutschland und der Svako (Ehemann der Schwester der Mutter) fährt LKW in Belgien.

Jetzt versteht ihr, warum die Wettervorhersage die am meisten gesehen Sendung im bulgarischen Fernsehen ist. Jeder verfolgt das Wetter in den Ländern, wo seine Verwandten sind und denkt, ob sich der Tschischo in Tschechien warm angezogen hat, um zu seiner Praxis zu kommen und ob der LKW des Svako mit den richtigen Reifen fährt.

Jetzt wisst ihr, warum mir meine Oma eine Wollhaube aufsetzen will. Sie verfolgt die Wettervorhersage eifrig wie alle anderen. Noch lange wird der Wetterbericht alle gemeinsam vor dem Fernseher bringen. Und in Österreich werden die Fernsehzuschauer nicht wissen, ob eine Erkältung droht, wenn sie nach Bayern fahren, um Weißbier zu trinken.

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