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Erich Moechel

Hin und Her um Vorratsspeicherung von EU-Passagierdaten

Im EU-Ministerrat will man den Datenabgriff auf Bahn- und Schiffsverkehr ausweiten. Dem gegenüber stehen drei Beschwerden vor dem EuGH, aus Belgien, Deutschland und Österreich gegen die EU-Richtlinie insgesamt.

Von Erich Moechel

Die Evaluierung der EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Flugpassagierdaten (PNR) ist zwar erst für 2020 vorgesehen, im EU-Ministerrat wird aber schon ihre Ausweitung vorbereitet. Zu den Daten aus dem Flugverkehr sollen künftig auch Zugreisen und der Fährverkehr erfasst werden. Wie aus internen Ratsdokumenten hervorgeht, ist ein Auftrag an die Kommission zu diesen Plänen bereits beschlossene Sache.

Zugleich sind zwei Klagen von Datenschützern gegen die bestehende Richtlinie in Österreich und Deutschland auf dem Weg durch die Instanzen zum EU-Gerichtshof (EuGH). Diese Klagen haben schon deshalb Chancen, weil die anlasslose, verpflichtende Dauerspeicherung von Passagierdaten nach dem Modell der vom EuGH 2014 annullierten Vorratsdatenspeicherung frappant ähnelt.

Screenshots aus Dokumenten

Public Domain

Dieses Ratsdokument ist mit 17. Oktober datiert. Es gibt einen Überblick über die aktuelle Agenda des Rats für den Sicherheitsbereich, nämlich um „automatischen Datenaustausch“, die Interoperabilität von Fingerprint-Systemen und DNA-Datenbanken. Dazu kommt eine gemeinsame Initiative von Seiten Deutschlands bzw. von Europol, die ebenso nebulös wie gefährlich klingt (siehe unten). Publiziert wurde das Dokument von der britischen Bürgerrechts-NGO Statewatch.

Erste Instanz in Österreich passiert

Die Vorratsdatenspeicherung in Österreich wurde wenige Woche nach ihrer Annullierung durch den EuGh im Mai 2014 vom Österreichischen Verfassungsgerichtshof aufgehoben.

Das von der Datenschutz-NGO Epicenter.works in Österreich angestrengte Verfahren gegen die Vorratsspeicherung von Passagierdaten hat die erste Instanz bereits passiert. Die Datenschutzkommission hatte sich, wie erwartet, für unzuständig erklärt, die Frage zu beantworten, ob die Richtlinie den Grundrechten der EU widerspreche. Damit wurde die PNR-Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet, der in diesem Fall zuständig ist. Der wird den Fall dann dem EuGH vorlegen und der wiederum wird die Beschwerde mit anderen Klagen zum gleichen Thema zusammenlegen. Exakt so war der EuGH auch im Verfahren von 2014 gegen die anlasslose Vorratsspeicherung von Daten aus Telekomnetzen verfahren.

In Deutschland klagt die Gesellschaft für Freiheitsrechte in derselben Angelegenheit, zuletzt hatte der belgische Verfassungsgerichtshof Rechtsfragen zur Speicherung von Flugpassagierdaten an den EuGH gestellt. „Konkret geht es darum, ob die Speicherung dieser Daten überhaupt verhältnismäßig ist und ob sie nicht die Personenfreizügigkeit in der Europäischen Union einschränke. Vor allem die letzte Frage dürfte spannend sein in Anbetracht der Tatsache, dass einige EU-Staaten fordern, die Speicherung solcher Daten auch auf Zug- und Busreisen auszuweiten“, so Iwona Laub von Epicenter.works.

Flugpassagierdaten

Edward Hasbrouk

Hier sieht man einen solchen PNR-Datenbankeintrag der das absolute Minimum der erhobenen Daten repräsentiert. Ansonsten steht ers jedem EU-Staat frei, noch weitere Datenfelder vorzuschreiben. Das Dokument wurde samt anderen durch eine Klage des US-Reisejournalisten und Bürgerrechtlers Edward Hasbrouck unter dem „US Freedom of Information Act“ öffentlich.

Zahlen aus Österreich

Die ersten sechs Artikel in der ORF-Futurezone zur Vorratsspeicherung von Passagierdaten von Februar bis Juni 2003

Von österreichischen Flughäfen werden laut Zahlen aus dem Verkehrministerium in Wien pro Jahr rund 29 Millionen Personen abgefertigt. Auch wenn das bestehende österreichische Passagierdatensystem bis jetzt nur die neun größten Fluglinien erfasst, so zeigt sich bereits ein mittlerweile vertrautes Muster. Wie in allen großen personenbezogenen Datensätzen produzieren Suchvorgänge unweigerlich jede Menge falscher Treffer („false positives“), wenn etwa österreichische Fahndungslisten mit den Flugbewegungen aller Personen von österreichischen Flughäfen abgeglichen werden.

Laut einer Anfragebeantwortung des Innenministeriums fallen in Österreich pro Tag rund 500 „Treffer“ an. Diese knapp 3.500 „Treffermeldungen“ pro Woche stehen lediglich 51 Treffer gegenüber, die sich als echt erwiesen. In 36 Fällen wurden dem BMI angeblich Informationen über Sachverhalte aus den Bereichen „schwere Kriminalität“ und „Terrorismusbekämpfung“ übermittelt. Dreißigmal griffen Exekutivbeamte direkt am betreffenden Flughafen ein. Es ist also ein System mit einer geschätzten Fehlerrate von 99+ Prozent, die falschen Treffer müssen alle manuell aussortiert werden.

Zahlen über Verhaftungen Mangelware

Im April wurde die Anti-Terror-Verordnung knapp vor den Wahlen auf den Weg in die Trilog-Verhandlungen gebracht.

Aus Belgien liegen vergleichbare Zahlen vor. Die Analyse von 70 Prozent aller Flüge aus und nach Belgien hatte im ersten Halbjahr 2019 gerade einmal 94 echte Treffer ergeben, wie die Brussels Times berichtete. 54 Personen aus islamistischen Zirkeln wurden erfasst, von denen sich 40 allerdings ohnehin auf einer Liste bekannter Dschihadisten des belgischen Innenministeriums befunden hatten.

Screenshots aus Dokumenten

Public Domain

Welche „Anforderungen der Wirtschaft und der IT Infrastruktur zum Nutzen der Strafverfolger“ da instrumentalisiert werden sollen, wird sich erst nach dem 6. November weisen. Diese Passage stammt von der deutschen Ratsdelegation, da es um innere Sicherheit geht, sind mit einiger Sicherheit bayerisch-rustikale Überwachungsvorschläge zu erwarten. Der Auszug stammt aus dem oben zitierten Dokument, das zusammen mit weiteren Ratsdokumenten von der britischen NGO Statewatch veröffentlicht wurde.

All diese Personen wurden verhört und dann wieder freigelassen. Offenbar wurde in Belgien keine einzige Verhaftung durchgeführt, das Innenministerium in Wien hat ebenfalls keine bekannt gegeben. In beiden Fällen wurden die Flugbewegungen von mehr als zehn Millionen Passagieren dafür gerastert und über 10.000 personenbezogene Datensätze pro Monat von Beamten überprüft. Es ist wie bei allen behördlichen „Top-Down“-Systemen, bei denen die Daten aller Bürger erfasst und verarbeitet werden müssen um von ein paar Dutzend Verdächtigen ein paar neue Indizien zu bekommen.

Wie es weitergeht

Aus obigem Grund stellt der belgische Verfassungsgerichtshof denn auch die Frage nach der Angemessenheit dieser Vorratsdatenspeicherung personenbezogener Flugbewegungen. Die Entscheidung in Belgien, den EuGH anzurufen sollte die Abwicklung der Beschwerden in Deutschland und in Österreich noch beschleunigen. Es sieht alles nach einem Showdown rund um den Mai nächsten Jahres aus, denn da muss die PNR-Richtlinie laut EU-Recht evaluiert werden.

Von dieser Evaluation erwarten sich die Behörden eine Grundlage für weitere Zugriffsbefugnisse, nämlich auf die Metadaten aus dem Bahn- und Schiffsverkehr. Die Beschwerdeführer setzen auf einen Spruch des EuGH, der sich an den drei fast gleichlautenden EuGH-Urteilen gegen die Vorratsspeicherung von Metadaten aus Telefonienetzen und dem Internet orientiert.

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