Europa steigt in den Wettlauf um Hyperschallwaffen ein
Von Erich Moechel
Von einer breiteren Öffentlichkeit noch unbemerkt ist Europa in den globalen Rüstungswettlauf um Hyperschallwaffen eingestiegen. Diese neue Waffengattung ist nämlich in den Plänen für die neue europäische „Space Force“ versteckt, die von Frankreich vorangetrieben wird. Mitte November erklärten die NATO-Staaten das All dann zu einem eigenständigen Operationsgebiet.
Der EU-Ministerrat hatte bereits am 12. November grünes Licht für das Program TWISTER gegeben. Das Akronym steht zwar für „Frühwarn- und Abfangsystem mit weltallbasierter Überwachung“, Kernelement sind aber zwei Typen von Hyperschallraketen. In erster Linie sind das neuartige Angriffswaffen und definitiv kein „Abfangsystem“. Die EU-Kommission wiederum verdoppelte das Budget des Sektors „Space and Defense“ in dieser Legislaturperiode auf 16,2 Milliarden Euro.
MBDA
Der zuständige, designierte EU-Kommissar Thierry Breton wird für den Aufbau der European Space Force zuständig sein.
Ein französisches EU-Projekt
Das geförderte EU-Projekt TWISTER wird von Frankreich federführend vorangetrieben, mit im Konsortium sind Spanien, Italien, Finnland und die Niederlande. In der EU-Kommission wiederum ist mit dem designierten Binnenmarktkommissar Thierry Breton ebenfalls ein Franzose für die Weltraumagenden federführend zuständig. Zudem soll für diese Agenden ein eigenes Generaldirektorat in der Kommission geründet werden. Beides hatte der französische Präsident Emmanuel Macron unter der Bedingung durchgedrückt, dass ein Kommissar aus Frankreich diese Agenden übernimmt.
Nicht ganz überraschend ist es auch ein französischer Konzern, der beide Prototypen federführend entwickeln wird. Es ist die auf Raketenantriebe spezialisierte MBDA (ehedem „Matra“), von der auch die berüchtigen Anti-Schiffs-Raketen vom Typ „Exocet“ stammen, deren verheerende Wirkung im Falklandkrieg demonstriert worden war. Die Prototypen je eines suropäischen „Gliders“ und www.mbda-systems.com Marschflugkörpers mit Hyperschallantrieb waren bereits auf der Dubai Air Show ausgestellt. Von Tests mit Hyperschallantrieben ist in Europa derzeit jedoch nichts bekannt.
GreyTrafalgar
Die Flugbahnen der Hyperschallvehikel
Die USA haben die Materialfrage bei Hyperschallwaffen noch nicht gelöst. Dabei geht es um eine geeignete Legierung für Außenhülle und Leitwerk, die Temperaturen von 3.000 Grad widersteht
Bezeichnet werden die im Rahmen des PESCO-programms der Kommission geförderten Flugkörper als „Interceptors“, als Abwehrwaffe gegen manövrierfähige ballistische Sprengköpfe, also zwar fortgeschrittene, aber doch herkömmliche Technologie. Dazu sollen aber auch hyperschallschnelle Flugkörper wie Cruise Missiles mit „Scramjet“-Antrieb und sogenannte Space Glider abgefangen werden können. Während die Marschflugkörper von hochfliegenden Bombern abgefeuert werden, wird der Glider-Typ etwa 100 Kilometer senkrecht hochgeschossen und stürzt dann ebenso steil wieder herunter.
Wie der spektakuläre Test der Russischen Luftwaffe mit Vanguard-Glider kurz vor dem Jahreswechsel von 2018 gezeigt hat, werden dabei unglaubliche Geschwindigkeiten erreicht. Laut russischen Angaben raste das „Avangard“-System zuletzt mit 27-facher Schallgeschwindigkeit in Richtung Ziel auf der Halbinsel Kamtschatka. Angeblich soll der Glider bis zum Schluss manövrierfähig gewesen sein. Und nur darum geht es bei diesem Flugvehikel, das in einer 3000 Grad heißen Plasmawolke aus komprimierter Luft durch die Atmosphäre auf sein Ziel zurast.
RAND analysis
Die USA haben die Materialfrage bei Hyperschallwaffen noch nicht gelöst. Dabei geht es um eine geeignete Legierung für Außenhülle und Leitwerk, die Temperaturen von 3.000 Grad widersteht
Ziel anvisieren. Diese Raketenwaffe fliegt eine weit kürzere Flugbahn als herkömmliche Interkontinentalraketen, damit werden die Vorwarnzeiten drastisch verkürzt. Obendrein verläuft der letzte Teil der Flugbahn mit etwa siebenfacher Schallgeschwindigkeit absolut erratіsch. Mehr muss man über die (Un)Möglichkeit einer Abwehr gar nicht wissen. Die Grafik stammt aus einer umfangreichen Studie des militärischen Thinktanks RAND Coporation. ]]
„Interceptors“, die keine sind
Wie die USA (und Europa) seit Ende 2018 im Hyperschallbereich von Russland weit abgehängt wurden in drei ausführlichen Stories
Die größte technische Herausforderung ist es nämlich, den Kurs des Gliders stabil zu halten. Vor allem die Leitwerksstummel müssen dafür aufwendig gekühlt werden, denn sonst verliert das Hyperschallvehikel seine Steuerungsfähigkeit und stürzt ab. Dasselbe gilt im Wesentlichen auch für die Cruise Missiles, die mit „nur“ 7- bis 10.000 Km/h unterwegs. Es braucht also spezielle Metall-Keramik-Legierungen oder Karbonverbindungen, die solchen Temperaturen mehrer Minuten lang widerstehen. Anscheinend hat bis jetzt nur Russland die Materialfrage gelöst, denn weder die USA noch China haben eine solche Waffe bis jetzt erfolgreich vorgeführt.
Dazu kommt noch, dass bei Typen von Hyperschallraketen in der letzten Phase des Angriffs erratische Flugmanöver fliegen, die bei so ungeheuren Tempo von den wechselnden atmosphärischen Bedingungen und der wechselnden Dichte der verdrängten, 3.000 Grad heißen Luft erzwungen werden. Das Gerede von „Interceptors“ - auch die USA benutzen den Begriff - entbehrt also jeder technischen Grundlage: Wer nämlich die Technik der Hyperschall-Angriffswaffen nicht beherrscht, braucht von deren Abwehr vorerst nicht zu reden.
MBDA
Militärbasen- und Flugzeugträgerkiller
Russland hingegen hat mit seinen Demonstrationen beide Waffenarten bereits definiert. In Militärkreisen gilt das Avangard-System, das mit einer Interkontinentalrakete (SS19) ins All geschossen wird, als Vernichtungswaffe etwa gegen statische Ziele wie Marinebasen. Den Marschflugkörper Zirkon, der bereits an die russischen Seestreitkräfte ausgeliefert wird, sehen die Militärs als Flugzeugträgerkiller. Beide Waffen transportieren keinen Sprengkopf, weil eine Tonne einer Keramik-Metall-Legierung auf 5.000 Km/h und mehr beschleunigt, allein durch die entfesselte, kinetische Energie vernichtend wirkt.
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Publiziert am 27.11.2019