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Drifter von Ulrike Sterblich: Cover - ein gemalter Schmetterling auf einer Pflanze

Rowohlt

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Wenn sich das Leben wie ein Traum anfühlt: „Drifter“ von Ulrike Sterblich

Mit ihrem zweiten Roman steht Ulrike Sterblich auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Von Alica Ouschan

Vor zwei Jahren hat die Titanic-Autorin und Journalistin Ulrike Sterblich, auch bekannt als „Supertopcheckerbunny“, ihren ersten Roman veröffentlicht. Während „The German Girl“ im Stil dokumentarisch-fiktiver Prosa die Geschichte der „Feelgood Doctors“ im New York der 60er Jahre aufarbeitet, widmet sich Ulrike Sterblich in ihrem neuen Roman „Drifter“ vollkommen dem Wahnsinn und dem Fantastischen des Alltags und stand damit auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Eine Geschichte, die auch langweilig sein könnte

Erzähler Wenzel Zahn und sein bester Freund mit dem Spitznamen „Killer“ kennen sich seit Kindertagen und hanteln sich an ihren gemeinsamen Insidernwitzen durchs Erwachsenenleben, Pferderennen und Parties in Berlin. Es hätte eine furchtbar langweilige Geschichte sein können, die man so oder so ähnlich schon tausendmal gelesen hat. Ulrike Sterblich macht aus dem Alltäglichen aber einen schwindelerregenden Balance Akt zwischen Realität und Fiktion.

Durch Ereignisse, die manche als Fügungen des Schicksals lesen würden und wieder andere als unvermeidbare Hindernisse, die einem das Leben nun mal ab und zu entgegenwirf, verändert sich die Wahrnehmung der beiden Freunde. Killer wird vom Blitz getroffen und seine Mutter wird schwer krank, Wenzel lernt die mysteriöse Influencerin Vica kennen und verfällt ihrer rätselhaften Persona.

„Sie hatte diese jugendliche Alterslosigkeit, die Verrückte oft haben. Womit ich nicht sagen will, dass Vica verrückt war. Nicht im konventionellen Sinne verrückt jedenfalls.“

Während die Handlung sich zu Beginn noch im Rahmen des Vorstellbaren abspielt, driftet sie im Verlauf immer mehr ins Absurde und wird zum regelrechten Spektakel. Andauend geschehen Dinge, von denen man sich eigentlich denkt, dass sie im echten Leben so nie passieren würden und sich genau deshalb mit Sicherheit genau so zugetragen haben.

Drifter von Ulrike Sterblich: Cover - ein gemalter Schmetterling auf einer Pflanze

Rowohlt

„Drifter“ von Ulrike Sterblich ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Eine „barbie­fizierte Version von Pippi Langstrumpf“ (Vicas persönliche Assistentin) bringt einen Haufen Schnösel auf ihrer Dachterassenparty dazu, ihre Gedanken und Gefühle in eine Fusselrolle zu sprechen. Vicas riesiger Zottelhund tanzt auf ihrem Videokanal eine Hip Hop Choreografie. Und der titelgebende, fiktive Lieblingsautor des Erzählers „K:B Drifter“ schreibt Bücher mit den Titeln „Elektrokröte“, „Hätte ich was zum anziehen, würde ich gern mal rausgehen“ oder „Der Shitstorm gegen die heilige Johanna“.

Figuren entwachsen ihrer eigenen Sprache

Das wahre Genie steckt bei „Drifter“ also nicht nur in der Handlung, sondern vor allem in der Sprache. Ulrike Sterblich verfügt über das Talent, jeder einzelnen Figur ein vollkommen ausgeprägtes Sprachbild anzudichten, das beim Lesen wirkt, als wäre es über Jahre hinweg gewachsen und antrainiert worden. Neologismen, Insiderwitze und Wahrnehmungsbeschreibungen bewegen sich alle innerhalb desselben Wortschatzes und verwenden dieselben Sprachwerkzeuge, so dass man sich schon nach wenigen Seiten immer wieder denkt: „Ein klassischer Wenzel Zahn!“ Die Figuren erwachen erst durch ihre eigene Sprache zum Leben.

„So, dachte ich, jetzt ist es amtlich: Bei Killer hatte sich was verschoben. Es ist nicht so, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Aber er hat das Geschirr neu sortiert.“

Wie schon bei Ulrike Sterblichs erstem Roman „The German Girl“ ensteht auch hier während dem Lesen sofort der Wunsch, das ganze auf der Kinoleinwand oder zumindest in einer gut produzierten Serie zu sehen - selbst wenn der Hauptgrund für diesen Wunsch darin liegt, abzugleichen, ob man sich das auch alles selbst bildlich so vorgestellt hat, wie die Figuren es erleben.

Wie der Butterfly-Effekt, nur viel viel weirder

Spannend ist an dieser Stelle vielleicht noch die Info, dass Ulrike Sterblich eigentlich ein Buch schreiben wollte über den unmöglichen Umgang mit der Nachrichtenflut, der wir jeden Tag ausgesetzt sind. Die fertige Geschichte lässt diesen Ursprungsgedanken zwar noch erahnen, für solch irdische Dinge spielt sich die Handlung dann aber doch zu sehr über den Wolken ab.

Mit der Figur der Vica wollte Ulrike Sterblich übrigens unbedingt eine weibliche Tricksterin in ihren Roman einweben. Also eine Figur, die das Weltbild der handelnden Hauptpersonen durch Tricks, Trug und Täuschung durcheinander bringt und deren einziger Sinn und Zweck der Schabernack zu sein scheint. Weibliche Tricksterinnen gibt es bis dato in der Literatur nur wenige, die bekannteste davon ist wahrscheinlich Pipi Langstrumpf. Vica nimmt in „Drifter“ auf verdrehte Art und Weise die Rolle des Orakels, der Hexe, der guten Fee ein - in moderner Version, als Influencerin auf Social Media. Auch ein spannender Take.

Obwohl in „Drifter“ irgendwie einfach nichts so richtig Sinn ergibt, macht das Lesen selbst so viel Spaß, dass man beginnt, das ständige Sinnsuchen zu hinterfragen. Gleichzeitig ertappt man sich dabei, genau das zu tun, wovor die Trickster-Figur Vica einen warnt: „Man neigt dazu, Verbindungen zu ziehen zwischen Ereignissen.“ Das Artwork auf dem Buchdeckel lässt einen zu dem Schluss kommen, dass „Drifter“ vielleicht nur ein sehr verschobener, wirrer und überaus gelungener Take des Butterfly-Effekts ist. Denn hier entsteht aus einer einzigen, zufälligen Begegnung regelrecht Magie. Oder anders gesagt: Es entsteht ein reales Märchen, das sich anfühlt wie ein Traum.

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