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Button auf dem Kleidungsstück einer Person "Keine Gewalt gegen Frauen"

Foto: kollektiv fischka/kramar © Volkskundemuseum Wien

40 Jahre Wiener Frauenhäuser

Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern im Interview über Überwachung via Handy, Sprachenvielfalt im Frauenhaus und unsichtbare psychische Gewalt.

Von Daniela Derntl

Im November 1978 wurde in Wien das erste Frauenhaus in Österreich eröffnet. Die bewegte, 40-jährige Geschichte dokumentiert jetzt die Ausstellung „Am Anfang war ich sehr verliebt...“ im Wiener Volkskunde Museum. Sie ist noch bis 30. September geöffnet.

Zum Jubiläum haben wir Andrea Brem, der Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, zum Interview getroffen und mit ihre über die Vergangenheit und Gegenwart der Frauenhäuser gesprochen.

1978 wurde das erste Frauenhaus in Wien eröffnet. Mittlerweile gibt es vier. In welchen Abständen hat sich denn das weiterentwickelt?

Andrea Brem: Wir waren gleich von Anfang an so voll, dass klar war, wir brauchen ein zweites und dann ist in Wien 1980 schon das zweite entstanden. Und erst dann ist es Fraueninitiativen in den Bundesländern gelungen, auch dort Frauenhäuser zu errichten. 1996 ist das dritte gekommen. Wir haben aber auch zig Übersiedlungen vorgenommen. Es waren zu Beginn viel kleinere Häuser, wirsind dann in Größere übersiedelt. Ich denke, wir stehen demnächst vor einem fünften Frauenhaus. Der Bedarf ist weiterhin gegeben. Wir haben ein breites, vielfältiges Angebot, denn nicht alle Frauen, die von Gewalt betroffen sind, brauchen auch einen Frauenhaus-Platz. Wir brauchen fixe Finanzierungen von Frauen-Beratungsstellen, weil viele Frauen sich zuerst eine ambulante Beratung holen. Und wir brauchen natürlich die Interventionsstellen, wo Männer aus der Wohnung weggewiesen werden können.

Müssen sie Frauen auch abweisen, weil sie keinen Platz haben?

Frauenhaus Notruf: 05 77 22

In Wien haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir immer aufnehmen. Wir hatten heuer beispielsweise einen Tag, da gab es 23 Notrufe. Und 23 ist so viel, das kann man fast nicht auffangen, weil da müsstest du ein ganzes Frauenhaus leer stehen haben. Ich glaube, es wird in der Frauenhaus-Arbeit immer Phasen geben, wo so viele Anrufe sind, das kann man nicht in den Alltag integrieren. Aber es geht um einen Schnitt, den wir gut halten können, wo man mit den Plätzen hinkommt, und den haben wir derzeit gerade noch.

Andrea Brem

APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER

Was war das für ein Tag mit den vielen Notrufen?

Ich weiß es nicht mehr genau. Aber wir haben festgestellt, dass signifikant mehr Notrufe kommen, nachdem in Medien massiv über die Ermordung von Frauen berichtet wurde. Also wenn Frauen von ihren Männern ermordet worden sind. Das geht dann ja durch alle Medien, manchmal durchaus in einer fragwürdigen Darstellung. Und natürlich lesen das auch Frauen, die selber von Gewalt betroffen sind und denken sich, dass sie sich auch endlich Hilfe holen müssen, weil sich bei ihnen die Situation langsam zuspitzt. Dann rufen sie an und holen sich Rat. Nicht alle 23 wollen aber einen Platz. Wir haben ja auch noch eine ambulante Beratungsstelle, wo sich Frauen anonym und kostenlos beraten lassen können. Im Übrigen kommen natürlich nicht nur Frauen zu uns kommen, die Deutsch sprechen. Wir haben Dolmetscher_innen oder Video-Dolmetscher_innen, dass wir wirklich alle Sprachen der Welt innerhalb eines gewissen Zeitraums übersetzen können. Das ist ein großer Schritt. Das haben wir vor 40 Jahren noch nicht gebraucht. Da hat sich natürlich die Bevölkerungsstruktur verändert und insofern haben wir auch unser Angebot verändert.

Was hat sich sonst noch strukturell in den letzten 40 Jahren verändert?

Was sich wirklich gut verändert hat, ist, dass wir in Österreich wirklich viele gute Gesetze geschaffen haben. Alles, was jetzt selbstverständlich ist, gab es ja vor 40 Jahren noch nicht. Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar, Stalking… Da sind ganz viele Initiativen aus der Frauenhaus-Bewegung gekommen und die wurden von engagierten Politikerinnen aufgegriffen. Wir waren auch in vielen Arbeitsgruppen mit dabei, um diese Gesetze zu erarbeiten. Ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit ist diese politische Arbeit: Gesetze voranzutreiben, die Stellung der Frau weiter zu verbessern, Probleme zu erkennen und zu handeln.

Welche Probleme sind neu?

Das aktuellste Problem gibt es mit neuen Medien, Smartphones und die ganze Spyware, die es gibt. Das bietet vielfache Möglichkeiten für gewalttätige Männer, ihre Frauen auszuspionieren, zu verfolgen. Viele Frauen, die bei uns sind, sind leider nicht sehr technikaffin. Die lassen sich vom Mann das Handy einrichten, den Computer, und er hat alle Passwörter, er kann alles mitlesen. Es gibt auch Spyware, wo man abgehört wird. Dieses Thema beschäftigt uns im Moment ganz besonders. Andererseits nützen Männer auch Social Media, um ihre Frauen zu demütigen und zu beschämen. Stellen Sie sich vor, sie haben einen öffentlichen Job und ihr Mann droht ihnen, ein Nacktfoto, das im Zuge der anfänglichen großen Liebe entstanden ist, an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie können sich vorstellen, was für ein wahnsinniges Druckmittel das sein kann.

Woher kommen denn die Frauen, die ins Frauenhaus gehen? Aus allen Schichten quer durch? Oder sind das eher Frauen mit Migrationshintergrund, die vielleicht weniger Möglichkeiten haben?

Da muss man sehr unterscheiden zwischen Wien und den Bundesländern, denn in den Bundesländern ist die Situation anders. In Wien ist es uns gelungen, die Zielgruppe der Migrantinnen gut anzusprechen und sie zu informieren. Denn Frauen, die die Sprache nicht sprechen, sind natürlich auch als Zielgruppe viel schwieriger zu erreichen. Viele Frauen mit Migrationshintergrund haben auch keine andere Möglichkeit, irgendwo hinzugehen. Wenn sie zum Beispiel mit der Familie des Mannes nach Österreich geflüchtet sind, und es kommt da zur Gewalt des Mannes, dann verstößt sie diese Familie und die Frauen stehen dann vollkommen alleine da. Die brauchen uns noch mehr, als vielleicht österreichische Frauen, die ein ganz anderes soziales Netz haben. Deswegen sind Migrantinnen in einem hohen Ausmaß bei uns. Aber viele Gewalttäter sind auch Österreicher, das ändert sich nicht. Und wir haben schon Frauen aus allen Schichten, durchaus auch hoch gebildete. In der Beratungsstelle verschiebt sich das auch wieder. Da wenden sich mehr österreichische Frauen hin. Ich denke, die können dann eben eine Zeitlang bei einer Freundin wohnen oder haben Familie im Hintergrund, die sie unterstützt. Allerdings muss man sagen, dass das ein großes Risiko birgt. Wir haben nicht umsonst so hohe Schutzvorkehrungen getroffen. Als wir angefangen haben, gab es kaum Schutz, vielleicht ein Gitter vor dem Fenster. Mittlerweile sind wir schon eine Hochsicherheitseinrichtung. Diesen Schutz hat die Frau natürlich nicht, wenn sie bei einer Schwester oder sonstwo unterkommt. Es ist wichtig, diese Gefährdung wirklich ernst zu nehmen und sich zumindest mal Beratung zu holen.

Keine Frau, die sich im Frauenhaus wiederfindet, wird wohl je daran gedacht haben, auf diese Einrichtung angewiesen zu sein, weil sich ihr Mann als Gewalttäter herausstellt. Auch, weil Gewalt ja sehr oft psychisch und äußerst subtil sein kann. Bedarf es hier noch mehr Aufklärungsarbeit bei den Frauen?

Ich glaube, dass viele Frauen gerade im Bereich der massiven psychischen Gewalt, eine Weile gar nicht erkennen, was mit ihnen passiert. Die Gewalt passiert so schleichend, und sie steigert sich und steigert sich. Gerade, wenn keine körperliche Gewalt im Spiel ist, sondern massive Beschimpfungen, Abwertungen, Kontrolle jedes Schrittes, Demütigungen. Dann ist das etwas, was man nicht so schnell als Gewalt definiert.
Wenn Frauen zu uns kommen, stellen wir auch die Frage, ob sie es normal findet, wenn sie dem Mann den Kassabon vorlegen muss, damit er sieht, ob sie auch wirklich und zu welcher Zeit sie einkaufen war auf dem Heimweg von der Arbeit. Weil du lebst in einer extremen Gewalt-Situation, und du musst auch Strategien auch finden, wie du überlebst, und wie du das aushältst. Da ist es ganz wichtig, dass man die Frau hier stützt und stärkt und hilft und ihr klarmacht, dass das nicht normal ist.

Bei einem blauen Auge ist jedem klar, dass es sich um Gewalt handelt. Bei psychischer Gewalt eben nicht. Hat diese unsichtbare Form der Gewalt über die letzten Jahre zugenommen?

Ich glaube, dass körperliche Gewalt in Beziehungen immer mit psychischer Gewalt einhergeht. Aber es gibt auch viele Fälle, wo nur psychische Gewalt vorliegt. Wir haben viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Wir haben gute Gesetze geschaffen. Männer wissen natürlich, wenn sie Frauen blau schlagen, müssen sie mit Konsequenzen rechnen. Dass jemand Anzeige erstattet, dass ein Strafverfahren läuft bis hin zur Gefängnisstrafe. Und so verschiebt sich die Gewalt ein bisschen. Sie verschiebt sich in eine unglaublich sadistische Quälerei. Das hat nichts mit Streit zu tun, denn ich glaube, dass Streit wichtig ist in einer Beziehung – und auch in jeder Beziehung vorkommt. Davon reden wir nicht. Auch nicht von einer einmaligen Beschimpfung, die einem danach furchtbar leid tut. Das ist natürlich nicht okay, aber es passiert. Aber bei psychischer Gewalt ist eine gezielte Absicht dabei, den anderen zu zerstören und völlig zu kontrollieren. Frauen erzählen oft, dass die nicht so schwere körperliche Gewalt, also die Ohrfeige oder das Gestoßen werden, auch schlimm war, aber dass der Psychoterror eigentlich viel schlimmer ist, weil man sich von dem viel schwerer verabschiedet. Wenn du isoliert wirst, niemanden mehr treffen darfst und dann die ganze Zeit hörst: du bist schirch, du bist blöd, du kannst nichts, du schaffst nichts, du bist von mir abhängig… Das macht mit jeder Person etwas. Aus dieser schwierigen Situation wieder rauszukommen braucht besonders viel Kraft und Unterstützung von außen.

Nicht jede Frau, die sich ans Frauenhaus wendet, will gleich dort wohnen oder sich trennen. Aber wie viele Frauen, die eine zeitlang im Frauenhaus wohnen, schaffen denn den Absprung aus einer schädlichen Beziehung?

Rund ein Viertel der Frauen geht wieder zurück. Aber das ist auch nicht Nichts. Denn die Frauen haben, wenn sie bei uns waren, viele Informationen gekriegt. Sie wissen, wie sie rechtlich dastehen und was sich hinter der Türe eines Frauenhauses tut. Da werden ja immer wieder falsche Bilder kolportiert, das ist ja auch im Sinne der. Das heißt, sie weiß, was sie erwartet. Und jede Frau, die bei uns geht, hört öfters den Satz: Wenn wieder etwas ist, zögern Sie nicht, uns anzurufen. Ich glaube, das gibt auch ein Stück weit Sicherheit, wenn man es noch einmal probiert. Ich finde das auch normal. Jeder, der sich einmal nach Jahren von einem Partner getrennt hat weiß wie schwierig das ist – vor allem, wenn Kinder da sind. Fakt ist, dass die Gewalt selten aufhört, wenn der Mann nicht bereit ist, sich einem entsprechenden Anti-Gewalt-Training zu unterziehen. Da haben wir noch massiven Nachrüstungsbedarf. Das müsste österreichweit vorhanden sein, dass gewalttätige Männer Anti-Gewalttrainings besuchen können und dass das auch finanziert ist. Männerberatungsstellen gibt es, aber das Geld dazu gibt’s einfach noch nicht.

Stichwort Geld: Vielen verschiedenen Fraueninitiativen werden momentan die Förderungen gestrichen. Das Frauenhaus Wien ist davon aber nicht betroffen?

Die Finanzierung der Frauenhäuser ist Ländersache und deshalb unterschiedlich. Wir haben in Wien einen fixen Vertrag mit der Stadt Wien. Das finde ich auch sehr wichtig, dass wir nicht jedes Jahr fürchten müssen, ob wir Geld bekommen, oder nicht. Das müsste auch in allen Bundesländern längst Status Quo sein. Es müsste auch möglich sein, was in Wien längst möglich ist, Hochrisiko-Frauen, wo wir Angst haben, dass eine Tötung oder schwerste Verletzung im Raum steht, in ein Frauenhaus in einem anderen Bundesland gehen lassen können. Es ist unglaublich, dass wir da noch immer an der Länder-Zuständigkeit scheitern. Aber nicht nur Frauenhäuser sind wichtige Player im Gewaltschutz-Netz. Auch Familienberatungen und die Staatsanwälte und Richter, die ausreichend Personal haben müssen, haben eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen und brauchen entsprechende Budget-Mittel.

Seit 40 Jahren macht das Frauenhaus wichtige Arbeit, aber von verschiedenen Parteien bekommen sie nach wie vor massiven Gegenwind. Wie erklären sie sich das?

Der Gegenwind kommt quer durch. Indem wir parteilich für Frauen zu einstehen, sind wir patriarchalen Strukturen und Patriarchen ein Dorn im Auge, weil wir an dieser Form der Männlichkeit massiv kratzen. Wir wollen gleichgestellte Beziehungen. Wir wollen, dass Männer und Frauen gleich viel bezahlt bekommen, gleiche Aufstiegschancen haben. All das steht ja auch hinter unserer Arbeit. Und natürlich stellen wir uns auf Seiten der Opfer und das ist Gewalttätern nicht sehr recht.

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