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Bilder vom Seenotrettungsschiff Lifeline

FM4/Lukas Lottersberger

Die Verwaltung des Stillstands

Die gesamte Flotte privater Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer ist aktuell inaktiv. Allein in Valletta, der maltesischen Hauptstadt, dürfen drei NGO-Schiffe den Hafen nicht verlassen. Gegen die NGO „Mission Lifeline“, die mit dem gleichnamigen Schiff auf See war, läuft ein Gerichtsverfahren in Malta. Wir waren an Bord des festgehaltenen Schiffs.

Von Lukas Lottersberger

Aus dem Bord-Lautsprecher krächzt es: „Guten Morgen, Lifeline-Crew!“ Es ist 7:30 Uhr auf dem Schiff, das im Hafen von Valletta vor Anker liegt. Crewmitglied Marc trommelt die Besatzung zusammen: „The morning meeting is about to start. Please head to the deck with bags of enthusiasm and your brightest smile.” Die Crew sammelt sich auf der Brücke des Schiffs, um den Tag zu planen und aktuelle Ereignisse zu besprechen.

Die sichtbar müde Neeske, die für Koordinationsaufgaben auf dem Schiff zuständig ist, ergreift das Wort. Panama habe den NGO-Kollegen der „Aquarius“ gedroht, dem damals einzigen aktiven Seenotrettungsschiff im Mittelmeer die Flagge zu entziehen. Was das für das Schiff und seine Zukunft bedeutet, ist zu dem Zeitpunkt noch ungewiss.

Nächster Punkt der Tagesordnung: Einige Crewmitglieder werden beauftragt, Menschen zu finden, die von der Lifeline gerettet wurden und noch in Malta sind, obwohl sie auf andere EU-Länder aufgeteilt werden hätten sollen. Und zuletzt wird besprochen, was aus dem Baumarkt gebraucht wird.

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Ein Rundgang über das Seenotrettungsschiff „Lifeline“

Aufgenommen im September 2018, in Senglea/Valletta (Malta).

„Es ist ein altes Schiff, da gibt’s immer was zu tun“, sagt Hans-Werner, der sich als „Deckshand“ um allerlei Wehwehchen des ehemaligen Forschungsschiffes kümmert. Die Lifeline hat immerhin schon 50 Jahre auf dem Buckel und ist dementsprechend reparaturanfällig. Eines der aktuell zehn Crewmitglieder ist also immer damit beschäftigt, etwas zu erneuern, zu streichen oder zu reparieren. Mindestens drei Crewmitglieder müssen seit der Festsetzung immer an Bord sein.

Um das Innenleben des Schiffs kümmert sich Maschinist Henner. Mit seinen 76 Jahren ist er das älteste Crewmitglied. Der seeerfahrene Rentner möchte bis mindestens Ende Oktober auf der Lifeline bleiben. Seit Jahren engagiert er sich für Geflüchtete. In seiner Wahlheimat Freiburg hat er zum Beispiel einem Flüchtling aus Gambia geholfen, Fuß zu fassen. Hier an Bord, sagt Henner, sei es in seinem Alter nicht immer leicht: „Das ständige Auf und Ab bei den Treppen, die schmalen Gänge, die vielen Ecken und das körperliche Arbeiten. Das ist schon anstrengend.“ Doch der rüstig wirkende Pensionist nimmt das auf sich, um zu helfen.

Bilder vom Seenotrettungsschiff Lifeline

FM4/Lukas Lottersberger

Drinnen im Deckshaus sitzt Neeske am Laptop in ihrem „Büro“: backbord in einer kleinen Kabine. Sie ist mit Colibri in Kontakt, einem privaten Aufklärungsflugzeug, das nördlich der libyschen Küste nach Booten Ausschau hält. Das Flugzeug wird von Pilotes Volontaires betrieben, einer französischen Initiative von freiwilligen Piloten. „Diese Flugzeuge sind ein unglaublicher Mehrwert für die Search and Rescue-Arbeit der NGOs“, sagt Neeske.

Wie viele Menschen zurzeit versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, weiß niemand so genau. Die Lage sei sehr unübersichtlich, sagt Neeske. NGO-Schiffe werden behindert, dürfen wie hier in Valletta nicht auslaufen oder anderswo nicht mehr anlegen, wenn sie Gerettete an Bord haben.

Die letzte Mission

Wieder an Deck treffe ich auf Richard, der in der Früh bei der Sitzung gefehlt hat. Der Maschinist und Harbour-Mechaniker ist mit zu ständig für „die Verwaltung des Stillstands“, wie er sagt. Der 36-Jährige war im Juni bei der sechsten und letzten Mission der Lifeline dabei, bevor sie im Hafen von Valletta gestrandet ist. „Da haben wir über 465 Leute gerettet“, sagt er. „234 haben wir mit nach Malta nehmen dürfen.“

Die Lifeline bietet eigentlich Platz für eine Besatzung von gut 15 Personen. Wo wurden all die geretteten Menschen untergebracht? „Alle Gäste waren ausschließlich an Deck“, erklärt Richard. „Hier war kein Zentimeter frei – gerade bei Nacht, wenn die Leute schlafen mussten.“ Denn das Deckshaus werde für die Crew gebraucht. Die Besatzung müsse ja das Schiff weiter bedienen, mit all den Menschen wäre es drin sonst zu eng, sagt der Maschinist.

Bilder von der Lifeline

FM4/Lukas Lottersberger

Der Erste-Hilfe-Raum an Bord der Lifeline.

Zu ernsten Situationen sei es während dieser Zeit zum Glück nie gekommen, sagt Richard. Mit dem Wetter hatte man die ersten Tage Glück. Doch selbst als nach ein paar Tagen die Wellen höher wurden, blieben die Geretteten ruhig. „Die Crew hat das auch selber so vorgelebt“, meint Richard. Die „Gäste“ hätten auch stets mitgeholfen, schrubbten das Deck, teilten Essen aus. „Es war eigentlich für die dramatische Situation sehr angenehm, das so in dieser Menschlichkeit zu erleben“, sagt Richard.

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Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen von eurotours 2018 – einem Projekt des Bundespressedienstes, finanziert aus Bundesmitteln.

Kein Spaß mit Flaggen

Nach der Rettung auf See hätte die Lifeline gemäß internationalem Gesetz eigentlich einen sicheren Hafen ansteuern sollen. Die Lifeline schloss es aus, nach Libyen zurückzukehren, weil es dort keine sicheren Häfen gebe. Doch Malta und Italien verweigerten die Aufnahme.

Eine Woche lang musste das Schiff auf See ausharren, bis Malta schließlich doch grünes Licht gab. Dort angekommen, wurde der damalige Kapitän Claus-Peter Reisch von der Polizei kurzzeitig verhaftet und die Lifeline festgesetzt. Der maltesische Premier Joseph Muscat warf der Lifeline vor, Anweisungen von der italienischen Seenotrettungsleitstelle ignoriert zu haben. Italiens Außenminister und Vizepremier Matteo Salvini beschuldigte die Lifeline, unerlaubterweise unter niederländischer Flagge zu fahren. Dieser Vorwurf wird derzeit gerichtlich in Malta geklärt.

Laut eigenen Angaben ist die Lifeline nicht im offiziellen niederländischen Schiffsregister eingetragen, sondern bei einem niederländischen Wassersportverband als Sportboot registriert. Ein Schlupfloch, mit dem Schiffe unbürokratisch an eine Flagge kommen können. Zahlreiche Agenturen bieten diese Registrierungen im Internet an. Tausende Boote, Yachten und Schiffe sind auf diese Weise registriert und auf See unterwegs. Die Frage, die die Behörden und Gerichte nun beschäftigt, ist: Reicht eine solche Registrierung um ein privates Rettungsschiff zu betreiben?

Bilder von der Lifeline

FM4/Lukas Lottersberger

Verzögerungstaktik?

Die NGO Mission Lifeline ist überzeugt, dass ihre Registrierung korrekt und gültig ist. Wegen fehlender Beweise aus den Niederlanden, schleppt sich der Gerichtsprozess gegen Claus-Peter Reisch in Malta seit Juni hin. Angeblich waren die bisherigen Beweisanfragen Maltas an die Niederlande fehlerhaft oder unvollständig. Der Prozess wurde schon mehrmals vertagt.

„Für uns ist es offensichtlich, dass die [maltesischen] Behörden alles tun, um den Prozess zu verzögern“, sagt Crewmitglied Marc, ein Brite, der bis vor kurzem noch im EU-Parlament gearbeitet hat. „Wir spielen auf einem unebenen Feld.“

Den beiden anderen NGO-Seenotrettungsschiffen Seefuchs und Sea-Watch 3, die momentan in Valletta ankern, wird gerichtlich nichts vorgeworfen. Angeblich verweigern ihnen die Hafenbehörden dennoch die Ausfahrt. Die gesamte Flotte privater Rettungsschiffe im Mittelmeer ist also aktuell lahmgelegt. Auch die Aquarius, der die Flagge Panamas vor kurzem entzogen wurde. Das Schiff sitzt momentan in Marseille fest.

Hafensperre und Seenotrettung

Staaten sind nicht verpflichtet, Schiffe mit Geretteten aufzunehmen. Nach internationalem Recht müssen Schiffe auf See jedoch in Seenot geratene Menschen retten.

Schlepper und Flüchtende würden diese international geltende Regel im Mittelmeer ausnutzen, so der Vorwurf von Kritikern.

„Die Festsetzung von Schiffen ist keine Lösung für den Mangel an Solidarität in der EU“, betont Marc. „Die Arbeit der NGOs unterstreicht, was in der europäischen Asylpolitik falsch läuft.“ Marc kann aber verstehen, dass sich Mittelmeerländer wie Italien und Malta von anderen EU-Mitgliedsstaaten seit Jahren im Stich gelassen fühlen.

Doch die Aufgabe der Seenotrettungs-NGOs sei es, Menschen vor dem Ertrinken zu retten, nicht Politik zu betreiben. Solange die Probleme und Widersprüchlichkeiten der europäischen Asylpolitik nicht geklärt sind, werden Schiffe wie die Lifeline ihre Anker wohl nicht so schnell wieder einholen können.

Mittwoch, 10. Oktober 2018, in der FM4 Homebase

Eine Spezialstunde aus Malta. Lukas Lottersberger hat sich mit UnterstützerInnen der ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia getroffen, einen Einblick in die maltesische Indie-Szene bekommen und die Crew des Rettungsschiffs „Lifeline“ besucht.

Die Sendung gibt es auch für sieben Tage in FM4 Player und in der FM4 App.

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