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Titania Seidl in ihrem Atelier

Susanna Hofer

Vienna Art Week

Wir besuchen die Malerin Titania Seidl in ihrem Atelier

Diesen Samstag (24. November) machen über 60 Künstlerinnen und Künstler in ganz Wien ihre Arbeitsateliers zugänglich, eine gute Gelegenheit um Menschen, ihr Werk und die Entstehungsbedingungen von Kunst kennenzulernen.

Von Lukas Tagwerker

In der Wielandgasse in Wien Favoriten gibt es nur ein Haus, das sich weigert, mit allen anderen eine Front auf Augenhöhe zur Straßenseite zu bilden: das Haus Nr.16 zwischen Bier-Beisl und Schnitzel-Fan. Hier hat die Malerin Titania Seidl im ersten Stock ihr Atelier, das sie am 24.11.2018 im Rahmen des traditionellen Open Studio Day für Neugierige öffnet.

Titania Seidl ist am Keplerplatz aufgewachsen. Gemeinsam mit Lukas Thaler betreibt sie den Kunstraum Mauve, ihre Malereien haben mich hierher, in dieses freundlich vor sich hin verwitternde Hinterhofhaus gelockt.

Die Wände sind voller Kartonschachteln und Holzbretter, ein Gewirr aus Rohren und Schläuchen dazwischen, von der Decke hängen Kabel.

Das ist also der Ort, wo du deine Bilder malst.

Titania Seidl: Genau, das ist mein Atelier, das ich mir mit vier anderen Künstlern und Künstlerinnen teile, im zehnten Bezirk, ganz nah am Reumannplatz, eine sehr schöne Gegend.

Jetzt hat es schon mehrere Tage keine Sonne gegeben, es ist Mitte November, der Himmel ist grau, mir schlägt das ein bisschen auf die Laune. Aber hier, hast du gesagt, wenn die Sonne scheint, ist das eine andere Atmosphäre. Das Atelier hat viele Fenster, und hier haben wir eine große Terrasse, wir sind im Freien, am Dach.

Wir sind zwischen den Häusern auf der Garage, auf dem Lager drauf. Du kannst dir vorstellen, im Sommer ist das wirklich sehr, sehr, sehr, sehr schön. Im Herbst auch noch, aber jetzt nicht mehr so.

Ich finde es jetzt eigentlich auch sehr schön. Es regnet gerade nicht, aber es hat geregnet. Und hier gibt es einen kleinen Blick auf die Straße, auf die Wielandgasse.

Ja und auf die 14A-Station. Man hat überhaupt sehr schöne Blicke von hier und man kann sehr viel sehen. Also immer, wenn man eine Pause vom Arbeiten braucht, kann man sich einfach hier raussetzen und schauen, was so passiert.

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Dort unten steht ein Herr und wartet auf den Bus. Und hinter ihm ein Graffiti „Sacco & Vanzetti“ und ein Anarchismus-A. Ist das eine gefährliche Gegend?

Ja, total. Man merkt die Nähe zum EKH.

Das EKH ist ein Kulturzentrum der autonomen anarchistischen Weltrevolution und ist hier ums Eck, oder?

Genau, nicht mal ums Eck. Einfach so die Wielandgasse runter.

Unmittelbare Nachbarschaft, aber man sieht es nicht von hier.

Nein, leider nicht, da sind noch zwei Blocks dazwischen.

Hört man das manchmal, wenn die dort so fünftägige Gabba-Raves machen?

Na, da muss man schon hingehen extra.

Verrückt ist, dass direkt neben dem EKH das Dorotheum ist, also eine Filiale.

Jajajajajajaja.

Ist das alles stadtplanerisch gut ausgedacht? Du machst hier deine Kunst, lässt dich inspirieren vom Anarchismus und dann gehst du zum Dorotheum und das wird dann dort versteigert?

Klingt gut. Aber ich finde auch das Schaufenster vom Dorotheum hier ganz toll. Da gibt es schöne alte Service und Vasen und so Zeug, die im Schaufenster herumstehen. Da kann man gut spazieren gehen. Und natürlich der Viktor Adler-Markt.

Jetzt kommt gerade der Bus. „Sicher-sauber-ökologisch“. Ich finde super, dass du hier diesen kleinen Ausschnitt auf die Straße hast, das ist wie so ein kleines Fenster.

Ja genau.

Der Rest ist fast ein 360-Grad-Blick auf die Nachbarhäuser, die alle sehr viel höher sind. Dieses Haus, wo dein Atelier drinnen ist, ist ein einstöckiges, uraltes Haus.

Genau und drunter ist einer der alteingesessensten Eisenwarenläden im zehnten Bezirk, der Atzler. Wunderbar. Man kriegt jede Schraube, jeden Nagel, den man sich nur erträumen kann.

Ist das Eisen ein wesentliches Element in deiner Kunst?

Man braucht es, um Bilder an die Wand zu hängen.

Ah so. Ganz praktisch.

Ganz praktisch.

Es gibt ja auch Leute, die mischen ihre Farben selber an, aus rostigem Metall und so. Bist du schon in diese Richtung gegangen, dass du dir selber Farben mischst aus irgendwas?

Ich hab das im Studium eine Zeit lang gemacht, weil’s lustig ist und halt so dieses alchemistische Element in den Prozess hineinbringt. Aber für den Alltag ist das einfach zu mühsam und zu zeitaufwendig und außerdem kann ich das nicht gut genug.

Du erwirbst die fertigen Farben.

Ja. Ich hab auch eine sehr große Farbsammlung, die zeig ich dir dann.

Hier stehen viele Pflanzen, denen es teilweise gut geht und die sich teilweise schon auf den Frühling freuen. Und dann ist hier ein umgestürzter Eiffelturm! Oder sind das Strommasten?

Ja, das sind Strommasten. Das ist eine Arbeit von Paul Horn, die er im Frühjahr bei der Knoll-Galerie ausgestellt hat. Und jetzt rasten die hier über den Winter.

Die Strommasten ruhen sich aus, die Pflanzen ruhen sich aus. Im dem Pflanzentopf sind Spielzeug-Autos, Renn-Autos versteckt.

Genau, das ist auch eine Arbeit vom Paul Horn. Es ist auch hier auf der Terrasse sehr viel Kunst.

Sehr künstlerische, eigenartig geschnitzte Holzbänke.

Die Bänke sind vom Armin Spitzer, der auch hier arbeitet. Es ist eine sehr gestaltete Terrasse.

Die Regenlacken in den Plastiksesseln machen mich traurig und erinnern mich daran, dass wir uns am besten wieder hineinbegeben werden.

Gute Idee.

Was ist das hier? Eine große Plastikmuschel!

Das ist eigentlich ein Kinderschwimmbecken...

... ein umgedrehtes Kinderschwimmbecken...

... und Teil von einer Arbeit von Marianne Vlaschits, die auch mal hier gearbeitet hat und die uns das vermacht hat, wie sie ausgezogen ist.

Künstlerin im Blaumann

Susanna Hofer

Titania, wie lange nutzt du dieses Atelier schon?

Ich bin hier seit Sommer 2015, also eh schon eine Zeit. Da bin ich gemeinsam mit dem Lukas Thaler eingezogen, mit dem ich mir das Atelier teile. Es ist das erste Atelier, das ich habe, wo es eine richtige Heizung gibt, was wunderbar ist.

Das ist wichtig, dass man im Winter überhaupt arbeiten kann. Wie ist das hier? Seid ihr ein Verein, der das gemeinsam mietet oder teilt ihr euch das?

Wir teilen uns die Kosten, jeder hat so seinen Bereich und dann gibt es diesen Gemeinschaftsbereich, die Küche und die Terrasse, die wir uns teilen.

Was sind die Quadratmeterpreise?

Ich zahl 220 Euro für meinen Arbeitsplatz inklusive Heizung, Strom, Internet und Gemeinschaftsflächen. Das Atelier als Atelier gibt es schon länger. Da war früher die Künstlergruppe Gelatin drinnen. Und die haben das auch zum großen Teil so umgebaut und hergerichtet. Die Küche ist auch von ihnen und die Terrasse.

Das heißt, ihr seid die künstlerischen, räumlichen Atelier-Erben von den gelatin, die sich dann gelitin genannt haben!?

Genau.

Die haben hier ihre ganzen argen Sachen ausgeheckt?

Mhm.

Waren die lange hier? Haben die hier Spuren hinterlassen?

Ähh...

Musstet ihr einen Exorzismus machen dann?

Nein, Exorzismus auf je... auf keinen Fall.

Exorzismus ist das falsche Wort, aber so eine Um- oder Ausräucherung oder sowas?

Die Künstlerin lacht.

Eine Geister- und Dämonenentfernung?

Also wie wir eingezogen sind, waren die schon ein bisschen länger weg. Da waren sicher so zwei Jahre andere Leute dazwischen drin. Es gibt zwei Künstler, die schon länger als wir hier drin sind. Das hat sich eher organisch weiterentwickelt, kein Exorzismus.

Ich finde es schön, weil es widerspricht dem Bild, das man manchmal hat, dieses Klischee des einsamen Künstlers, der einsamen Künstlerin, die alleine in irgendeinem Raum, in irgendeinem Atelier sich von der Welt elfenbeinturmmäßig abschottet. Aber das hier ist ein Ort mit einer kollektiven Geschichte eigentlich?

Ja, absolut. Für mich ist es total lustig, weil ich im Studium mal mit meiner Klasse bei gelatin im Atelier war und die haben uns ihre Arbeiten gezeigt und darüber geredet und das war halt hier. Und ich hab nie gedacht, dass ich wieder hier sein werde, aber, ja, so entwickelt sich das.

Ist das eine Mausefalle hier, ernsthaft?

Ja.

Habt ihr Mäuse?

Im Moment Gott sei Dank nicht. Aber wir hatten welche.

Naja, klar. Weil hier sind natürlich auch die Nudeln und die Kekse und der Haferbrei. Und nicht alles ist abgeschlossen, also die Mäuse klettern dann auf dieses Holzregal und wirken auch mit am Gesamtkunstwerk?

Richtig erkannt, aber wir versuchen, sie nicht zu lassen.

Ist das inspirierend, wenn man Mäuse im Atelier hat?

Nein, es ist schon eher eine Plage.

Lenkt es ab von der Arbeit?

Äh, naja, man muss sich halt wirklich damit auseinandersetzen. Also man kann nicht so gut nebeneinander leben, weil man hört es dann in der Nacht rascheln. Ich kenn das noch von früher, da war ich mal in einem Raum, wo es eine Mäuseplage gab, die lange unentdeckt war, und die haben das ganze Papier angefressen und Nester draus gebaut. Das will man im Atelier eigentlich nicht haben.

Die Mäuse machen dann künstlerische Konkurrenz direkt.

Genau.

Ich finde, dieses Atelier hat etwas von einem Walfischbauch und einer Fabrik. Und es ist auch eine Soundmaschine. Es dröhnt hier etwas, es knistert hier.

Ja, genau, das ist die Heizung, die gerade angesprungen ist.

Ihr heizt hier nicht mit Strom, sondern mit Holzpellets, oder was ist das?

Nein, das ist eine Zentralheizung.

Es klingt, als ob da drinnen etwas brennen oder kochen würde, aber es ist das Gas. Wo arbeitest du hier?

Ich arbeite hier hinten. Wir haben zu zweit einen abgeschlossenen Raum, der Lukas Thaler und ich.

Hier ist eine Holzwerkstätte.

Genau, hier arbeiten der Paul Horn und der Armin Spitzer. Wahrscheinlich sollte ich jetzt drinnen auch mal die Musik ausmachen.

Muss nicht sein, was läuft da?

Miharu Koshi.

Musik, die du mitgebracht hast aus Japan, wo du eine residency gemacht hast?

Ja, das ist schon ein paar Jahre her. Das war toll. Aber da habe ich gar nicht so viel Musik gehört damals. Aber ich war jetzt im Sommer wieder dort und irgendwie hat sich die Liebe zu japanischer Musik neu entfacht.

Das ist so eine gut gelaunte Musik!

Ziemlich, ja.

Oder klingt das nur gut gelaunt?

Also es macht mir gute Laune auf jeden Fall.

Ich muss mich entschuldigen, ich habe ein bisschen eine November-Laune. Aber, was ich wirklich toll finde, ist, wenn man deine Bilder anschaut, dann kann man aus der Jahreszeit November heraus in alle möglichen farblichen, was sage ich, in alle möglichen Stimmungen kommen. Was ich spannend finde, ist, dass, wenn man deine Bilder anschaut, man selber diese Bilder eigentlich im Kopf zusammenfügen muss und ein ganzes Bild draus machen muss. Deine Bilder bestehen aus Formen, die lose oder mehr oder weniger verbunden ein Ganzes ergeben können, aber da ist auch die Frage: Was ist das Ganze? Zum Beispiel hier gerade?

Also das ist eigentlich so die neueste, großformatige Arbeit, bei der ich mir noch nicht so ganz sicher bin, ob die fertig ist oder nicht. Es hat angefangen mit ... ich hab schon einmal für eine Ausstellung früher dieses Jahr so ein Motiv verwendet für einen Text, den ich geschrieben hab, und auf der Rückseite war ein Motiv gedruckt von so einem ganz schnell gemalten Bild, von einer abgezogenen Haut vom Heiligen Bartholomäus, glaub ich.

Der gehäutet worden ist?

Ja, genau, und es gibt so eine ganz tolle mittelalterliche Darstellung, wo er die eigene Haut fast schon so als Stola trägt. Und ich hab eben nur die Haut rausgegriffen als Element, weil es mir in der Ausstellung sehr stark um Gefäße gegangen ist und eben auch wie Kleidung ein Gefäß sein kann. Und dann eben auch die Haut als Kleidung. Dieses Motiv habe ich dann hier noch einmal aufgegriffen. Das siehst du vielleicht da noch, da sieht man die Hand, die runterhängt, und da sieht man so einen Fuß mit sechs Zehen. Das war das erste Motiv, das da drauf war. Und dann hat sich das Bild so aufgebaut, wie das bei mir öfter der Fall ist. Also lose assoziativ. Dann gab es so eine Form von einem Stein, das ist dieses blau-grüne Teil, das da auch so im Hintergrund ist, das sehr groß ist. Und das, was eigentlich gerade so auf dem Bild am präsentesten ist, ist so ein Motiv von zwei Händen, die sich etwas reichen. Und es ist nicht ganz klar, was es ist. Ich glaub, es ist vielleicht ein Schriftband, aber noch ohne Schrift, ich bin mir auch nicht sicher, ob da noch Schrift draufkommt oder nicht. Aber es ist auf jeden Fall eine Geste von sich etwas reichen, oder etwas austauschen.

Es tun sich jetzt ganz viele Fragen auf.

Atelier

Susanna Hofer

Zum Beispiel?

Was ich mir am Anfang gedacht habe, ist: Kannst du über Arbeiten, die gerade noch im Entstehen sind... was bedeutet es da eigentlich, über die zu sprechen und die Leuten zu zeigen? Das Bild ist ein Prozess, was heißt es, das jetzt zu sehen?

Naja, für mich heißt das natürlich irgendwie so eine gewisse Unruhe oder Ungeduld, weil ich gerne wüsste, was damit als nächstes passiert. Ähm, ich weiß nicht, was es für dich heißt, das so unfertig zu sehen. Also vielleicht empfindest du es ja auch gar nicht so als unfertig oder doch, ich weiß es nicht.

Ich bin eigentlich selten an den Orten, wo Künstler, Künstlerinnen produzieren und sehe ja meistens dann die Sachen, wenn sie fertig sind, angeleuchtet in einer Galerie, in einer Ausstellung, und dann ist man ja in dem Moment, wo gesagt wird: Das ist fertig, das will ich jetzt, dass du dir anschaust. Und da hat man eine ganz andere Haltung, als wenn man jetzt etwas sieht, was im Prozess ist, was sich noch verwandelt. Und ich trau mich eigentlich gar nichts zu sagen. Weil das ist wie gefährlich eigentlich, oder? Ich will das nicht beeinflussen, was hier passiert. Wie lange arbeitest du schon an diesem Bild?

Seit Juni. Also an dem Bild schon richtig lang. Da gibt es Bilder, die deutlich schneller gehen. Aber es ist natürlich auch das große Format. Oder für mich ist es ein großes Format. Für andere Leute ist es so eine Kleinigkeit. Aber für mich ist es sehr groß und allein der Farbauftrag dauert seine Zeit und ich brauch für so ein Bild ziemlich lang für Entscheidungsfindungen, weil ich mir eigentlich keine Skizzen mach. Es passiert alles direkt auf der Leinwand. Aber das heißt, ich muss mich vorher für irgendwas entscheiden, das ich dann umsetzen kann, auch wenn es sich im Prozess noch verändert.

Im Juni hast du angefangen, jetzt ist Mitte November. Das Bild braucht seine Zeit. Wie arbeitest du mit Zeit und wie arbeiten die Bilder?

Eben, das ist eher so der Punkt: Wie arbeiten die Bilder? Weil irgendwann... es ist halt so ein sehr seltsamer Dialog mit einem unbelebten Objekt, mit dem man tatsächlich auch sehr viel Zeit allein verbringt. Es wird fast schon eine Beziehung zu diesem Objekt, wo man dann irgendwann das Objekt beginnt zu fragen, was es eigentlich will. Auch wenn es total esoterisch klingt, aber mir geht es zumindest einfach so.

Es ist ja auch nicht immer unbelebt. In dem Moment, wo man hinschaut, lebt es und bewegt sich und ruft irgendwas und schreit und macht irgendwas und dann malst du weiter dran und es lebt weiter, also es ist sehr lebendig.

Ja. Aber halt eigentlich ist es nur ein Stoff mit ein bisschen Farbe drauf.

Das auch. Es hängt hier in der Mitte von deinem Atelier an der Wand. Und dann, jetzt sehe ich überhaupt erst, was hier noch alles ist. Unterhalb von dem Bild fallen mir zwei Sachen auf: Einmal sind hier zwei Farbtöpfe übereinandergestapelt und drauf ein Pinsel. Und links davon eine zusammengeknüllte Leinwand. Was ist mit der zusammengeknüllten Leinwand? Ist die zum Abwischen oder ist da etwas passiert? Ist das ein zerstörtes Bild?

Du meinst den Fetzen? Ja, der ist einfach zum Pinselabwischen. Deswegen ist der auch so bunt, weil da so jede Farbe von fünf verschiedenen Bildern drauf ist. Außerdem ist das der Tropfschutz, damit nicht alles auf den Boden geht.

Und lebt das alles hier?

Wie meinst du?

Mein Eindruck ist, es lebt hier alles. Rechts unterhalb von dem großen Bild, wo der heilige Bartholomäus der Ausgangspunkt war, ist ein Bild, auf dem ich erkennen kann: ein Gespenst, einen Geist, eine mit Leintuch überzogene Spukfigur, und die Figur zeigt mit der Hand, mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach links in die Richtung von dem großen Bild.

Ja genau, die zeigt aus dem Bild hinaus.

Das ist ein Motiv, das ich schon einmal gesehen hab in einem von deinen Bildern, das kommt manchmal wieder?

Ja, das gab es schon einmal so Anfang des Jahres ungefähr. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wo das damals hergekommen ist, aber es ist ein Bild, das ich rückblickend sehr mag. Deswegen dachte ich, ich muss mich da noch mal damit auseinandersetzen, was es eigentlich auf sich hat mit diesen Geistern. Vielleicht ist es die Idee, die immer wiederkehrt und das ist dann der Geist. Aber genau hab ich das auch noch nicht rausgefunden, deswegen mache ich jetzt diese relativ schnellen Aquarelle, um mir ein bisschen klarer drüber zu werden, was das sein soll. Da gibt es halt auch noch das vom zweiten Geist.

Das ist der andere Geist, ein rätselhafter Geist, der in einem Faltenwurf... jetzt sehe ich ihn überhaupt, ahja.

Jaja, genau.

Der hat sogar eine Nase, dieser Geist, eine Nase und einen Mund. Und er zeigt in die andere Richtung, er zeigt nach rechts. Also diese beiden Geister zeigen jeweils in die Mitte des Raumes und es kommuniziert hier alles miteinander.

Ja, irgendwie schon. Es gibt ganz viele Motive, die sich so von Bild zu Bild spielen und die in einem Bild den Ursprung haben und dann im anderen wiederkommen. Es gibt tatsächlich so eine Art Dialog zwischen den Bildern untereinander, aber natürlich auch zwischen dir als Betrachter und den Bildern.

Wie ist das jetzt, wenn wir weiter nach rechts gehen? Hier ist eine Leinwand, die ist genauso groß wie dieses Bild, das vom gehäuteten Heiligen ausgegangen ist, eine riesengroße Leinwand, was ist das, 120x200cm?

Das ist ein komisches Format, weil ich mir falsche Keilrahmen bestellt hab. Ich glaub, es ist irgend sowas wie 195 hoch und 139 breit, ein bisschen unverhofft.

Und diese Leinwand steht hier weiß und leer an die Wand gelehnt. Das ist wahrscheinlich einer der spannendsten Momente, nämlich, dass die weiße Leinwand schon hier aufgespannt steht und auch schon mitkommuniziert. Wie beginnt das bei dir, wenn du ein Bild machst?

Ja, es geht immer von einem Motiv aus. Also es gibt immer so ein Grundmotiv. Eben bei dem war es diese Haut. Und ich weiß noch nicht, was es bei diesem sein wird. Ich hab schon so ein Gefühl vielleicht. Aber ich les sehr viel und ich hör auch so zum Malen sehr viele Texte mir an und da kommen dann meistens Motive raus, die mich interessieren und wo ich dann so Motivsuche betreib, meistens im Internet, manchmal auch in Katalogen. Meistens gibt es dann also einen visuellen Impuls, wo ich das Gefühl hab, den muss ich umsetzen, manchmal geht es auch von ganz konkreter alter Malerei aus, wo ich ein Gemälde gesehen hab und da ist, ich weiß nicht, so eine schöne Landschaft drauf oder so ein unglaublich gemalter Blumenstrauß oder eben diese unfassbar grausige, aber trotzdem schöne Haut. Und dann will ich das irgendwie selber umsetzen, als könnte ich es dadurch irgendwie haben.

Du eignest es dir an, baust damit aber auch etwas Neues, was es noch nie gegeben hat.

Ja, genau, also das ist eine Art Übersetzungsprozess, denke ich. Ich gehe einfach direkt von diesem Motiv aus und versuche das auf einer Leinwand umzusetzen, sodass es irgendwie funktioniert oder passt oder irgendetwas macht mit diesem weißen Rechteck.

Wie lang steht diese leere Leinwand schon hier?

Die ist ganz, ganz frisch. Die habe ich am Wochenende erst aufgespannt und da fehlt auch noch eine Schicht Grundierung, die muss ich dann nachher machen.

Du befindest dich dann in Inspirationszeiten, wo du dich mit Geschichten und Bildern auseinandersetzt, bis etwas dich dazu ruft, dann nach der Grundierung etwas zu beginnen.

Ja, aber das läuft sehr parallel ab. Also ich arbeite auch an sehr vielen Arbeiten gleichzeitig immer, weil ich bin auch wahnsinnig ungeduldig und ich muss so Motive meistens gleich umsetzen und deswegen ist es gut, mehrere Baustellen zu haben, wo man dann auch mehrere verschiedene Ideen umsetzen kann.

Ausstellung

Sean Campbell

Drei Malereien von Titania Seidl zwischen Installationen von Lukas Thaler und Céline Struger

Gegenüber von dem Bartholomäus-Bild sind noch ein Bild auf einer Staffelei und eins am Boden.

Also die zwei sind total unfertig, die habe ich letzte Woche erst angefangen. Da kann ich eigentlich gar nicht so viel dazu sagen. Da ging es mir tatsächlich jetzt erst einmal um die Farben, die da drin vorkommen und um zwei unterschiedliche Zugänge zu einem malerischen Strich. Und die Motive sind eigentlich sehr zweitrangig im Moment.

Kann es sein, dass du von einem Motiv ausgehst und das Motiv im Malprozess verschwindet?

Ja. Jajaja, auf jeden Fall.

Weil die Bilder, die dann von dir fertig sind, sind gar nicht so oft erkennbare Motive. Ist es so, dass du von denen ausgehend, die also auflöst?

Ja, absolut, also warte mal, ich kann dir das zeigen. Ich glaube, das beste Beispiel ist ... sowas: Da sind schon sehr viele Bilder drunter und es war wie so ein Problem, das ich nicht lösen konnte. Da war so viel drauf, das sich gesperrt hat. Und ich hab gar nicht mehr gewusst, was ich damit machen soll. Und dann hab ich ziemlich dunkel so eine mexikanische Vase draufgemalt und alles, was unter dieser Vase liegt, wird dann eigentlich zu dem Muster auf der Vase. Und ja. Aber was da genau war, ist jetzt eigentlich verschwunden. Also man sieht noch ein bisschen diese Ranken, aber das war’s eigentlich auch schon.

Wie Blumenmuster, pflanzliche Formen, die aus der Vase herausgehen, aber die Vase eigentlich wie überwuchern. Aber die Vase ist noch sichtbar.

Aber die Vase ist ja das Letzte, was da noch draufgekommen ist. Also da lagen sehr viele andere Schichten drunter, eben dieses Blumenmuster und darunter waren aber auch [seufzt] ja, ganz viele andere Dinge eben, die sich gegenseitig ein bisschen gestört haben.

Ich verstehe es jetzt technisch überhaupt nicht. Wie kann die Vase ganz zum Schluss kommen? Es sieht so aus, als ob sie ganz hinter allen anderen Dingen, hinter diesen Ranken, diesen Schatten, diesen Pflanzen, als ob die Vase am Grund von dem Bild liegen würde! Aber das ist nicht so? Das ist ein optischer Trick?

Genau, das ist ein Effekt, jajajajaja. Also es ist echt am Schluss erst drüber gemalt. Es ist wie... ja, wie Aquarell drüber malen, so ganz dünne Farbe, die dann halt eben hier dann dicker wird, dort, wo es ganz dunkel ist. Eigentlich ist das so die allerletzte Schicht und davor, ja, da siehst du eh noch hier diese Formen zum Beispiel. Also das war eben schon ganz anders strukturiert, dieses Bild.

Wenn man das Bild so gegen das Licht hält, dass man diese Farbschichten sieht, die aber gar nicht mehr farbig sind, weil sie schon übermalt sind, dann kann man rätseln, was da alles passiert ist und warum das eigentlich verschwunden ist, also nicht warum, sondern das ist ja immer noch vorhanden, aber nicht mehr sichtbar.

Genau, es ist eigentlich nur mehr Textur, was da drunter liegt oder ein ganz leichtes Relief vielleicht. Aber ja. Manchmal ist die Lösung einfach so übermalen.

Also kann das sein, dass diese Figuren hier auf den neuesten Bildern, diese Hände vor dieser Landschaft, die zum Himmel gerichtet sind, oder diese Figur, die aussieht wie eine tanzende Figur oder als hätte sie einen Schlag in die Magengrube bekommen und würde zurückweichen, dass diese Dinge einfach irgendwann nicht mehr sichtbar sein werden und verschwunden sein werden und etwas ganz anderes in dem Bild ist?

Ja, absolut. Das kann ich jetzt noch nicht genau festmachen, aber kann sein, dass die verschwinden.

Um noch einmal auf die Vase zurückzukommen: Die Vase ist doch eines der Motive, oder das Gefäß, der Krug, das bei dir so etwas wie ein ständiger Begleiter ist – das Gefäß. Hier ist wieder ein Gefäß, ein Gefäß wie mit einer Maske, ein Gesicht. Es kann eigentlich alles ein Gefäß sein. Sind unsere Gesichter Gefäße? Die Malerei selber ist ja auch für dich...

... genau, ein Gefäß. Ja, absolut. Das geht alles sehr stark auf diese eine Ausstellung zurück, die ich in Oslo gemacht habe, Anfang des Jahres, wo ich versucht habe, mir Gedanken darüber zu machen, was ein Bild eigentlich sein kann, also, was es bedeutet, so ein Bild zu haben, und auch, was es bedeutet, genau von diesen Motiven irgendwie angezogen zu sein. Und eben dann ist mir klargeworden, dass das alles Gefäße sind, wie auch eben der eigene Körper ein Gefäß ist. Und, ja, wie auch so eine Idee ein Gefäß sein kann. Ja, jetzt bin ich mir gar nicht mehr ganz so sicher, wie ich noch stehe zu diesen ganzen Vasen. Aber ich war letztens auf einer Reise nach New York und dann hab ich in den Museen ganz viele Vasen wieder gesehen, die mir gefallen haben. Und jetzt bin ich schon wieder bei den Vasen und dabei, die zu verarbeiten. Diese Gesichtsvase war aus dem Schaulager im Brooklyn-Museum und die stand ganz oben auf einem Regal und ich hab mich einfach so gefreut, dass ich die so von unten entdeckt hab.

Du hast sie dir aufgehoben und verwandelt und jetzt bleibt sie hier. Die Vasen lassen dich nicht los oder du lässt die Vasen nicht los, weil das so etwas wie eine Urform des Gefäßes... das Gefäß an sich, die Idee des Gefäßes ist...

... die mich irgendwie interessiert, aber auch als eine Form von Text oder eine Form von Wissensvermittlung. Weil es eben auch ganz viele gestaltete Krüge oder Vasen oder Gefäße gibt, wo tatsächlich auch Geschichten oder Geschichte eingeschrieben ist und das Faszinierende gerade eben an so Keramiken ist, dass die ja unfassbar lange haltbar sind, und dass diese Wissensvermittlung halt immer weiter und weiter und weiter und weiter geht. Das ist so der Punkt, der mich daran am meisten interessiert, aber natürlich ist es auch ein visuelles Interesse.

Was auffällig ist, finde ich, ist, dass deine Bilder sehr starke, sehr erzählende Titel haben. In deiner Serie „The painter & the rectangle“ gibt es Titel wie “I am enjoying what’s going on, the autobiographical narrative, but the edges are a little too hard for me”. Ein anderer Titel: „It will be good for you, they said, you will learn what the surface is and what it isn’t”, oder: “Of course I always dreamed about being more desirable, but I’d never actually transform my own body, it’s all I own”, noch ein Titel: “When I picked up the phone, it was still warm from his touch, a small unsettling intimacy”. Wie kommen diese Titel zustande? Sind es die Bilder, die die Titel machen?

Also gerade bei der Serie sind die Titel ziemlich anekdotisch. Da ging es mir um ein Nachdenken über das Verhältnis Malerin zu Bild. Und auch so ein Verhältnis Biographie zu Bild vielleicht. Teilweise sind die Titel Zitate aus Gesprächen, die ich hatte, als die Bilder so halb fertig waren, also so wie wir es jetzt hatten zum Beispiel. Und dann gab es eben so Kommentare, die bei mir total hängen geblieben sind und nach denen ich dann die Bilder, wie sie fertig waren, benannt habe. Auf der anderen Seite sind das Alltagserfahrungen vielleicht und auch abgewandelte Zitate aus Texten, die ich gelesen hab, während ich die Bilder gemalt hab. Aber die Texte hatten auch immer eine Verknüpfung zu meiner Stimmung oder meiner persönlichen Erfahrung zu der Zeit. Also irgendwie ist es sehr autobiographisch, aber sehr beiläufig autobiographisch, also nicht so große Erzählungen, sondern eher kleine, nebensächliche vielleicht.

Was ich spannend finde, ist, dass deine Malereien, man muss sagen, abstrakt, also entfernt vom Gegenständlichen, manchmal schon mit gegenständlichen Elementen, aber eigentlich sehr visuell herausfordernd sind und etwas erzählen, wo man alles Mögliche darin sehen kann. Also, was sie erzählen, weiß man nicht. Selten sind Menschen oder soziale Situationen zu erkennen, aber mit den Titeln passiert ja etwas ganz anderes: Da gibt es ein „ich“, da gibt es ein „er“, da gibt es ein „sie, diese Leute“, und da kommt eine ganze soziale Welt dazu – kann ich die dann auch im Bild sehen? Ist es beabsichtigt, dass ich die soziale Gemachtheit von allem, von wie wir sehen, von wie wir sind, dass das im Bild stattfindet?

Ja, glaube ich, auf jeden Fall. Ich weiß nicht, wie stark man das sehen kann. Man kann vielleicht Spuren oder Fragmente davon sehen oder man kann es sich dazudenken. Im Moment denke ich, die Bilder könnten auch das sein, was im Hintergrund passiert, während diese sozialen Situationen sich im Vordergrund abspielen. Also die sind vielleicht so das setting dafür.

Wie Bühnenbilder für Dramen und Begegnungen?

Ja, Mikrodramen vielleicht. Das, was in den Titeln angesprochen wird, dafür ist das Bild der Hintergrund.

Titania Seidl in ihrem Atelier

Susanna Hofer

Die Türen deines Ateliers werden diesen Samstag offen sein. Man weiß nicht, wer kommt, es ist ein bisschen eine Lotterie, ob überhaupt irgendjemand kommt? Dieser alchemistische Walfischbauch wird zu einem öffentlicher Ort, das Gefäß öffnet sich. Was bedeutet für dich der Open Studio Day bei der Vienna Art Week?

Vienna Art Week Open Studio Day, Samstag, 24. November 2018, 14–17 Uhr

Für mich bedeutet das eine gute Gelegenheit, wieder mal das Atelier zu putzen und natürlich ist es auch eine schöne Gelegenheit, Leute einzuladen, die man ohnehin gerne einladen würde. Ich freu mich natürlich, wenn ansonsten auch Leute kommen, aber es kommt aufs Wetter an, es kommt drauf an, wer gerade im zehnten Bezirk spazieren geht.

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