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Die Rache

Interessant und mit viel Witz erzählt Shūgorō Yamamoto in diesem kleinen Buch mit dem Titel „Die Rache“ die Geschichte vom Sohn eines mittellosen Kochs, der von einem Samurai ermordet wurde.

Von Christian Pausch

In einem Korridor der Burg von Kumamoto in Higo tötete der namhafte Schwertkämpfer Miyamoto Musashi einen namenlosen Koch. Das war alles.

Auch wenn es der erste Absatz in „Die Rache“ suggeriert, weiß man es eigentlich sofort: Das war natürlich noch lange nicht alles.

Buch "Die Rache"

Radio FM4/ Christian Pausch

Jede Tat hat Folgen und so auch diese. Auch ein jetzt ermordeter und namenloser Koch hatte zuvor ein Leben, einen Namen und eine Familie. In dieser Geschichte hat er einen Sohn namens Iwata. Der ist ein Gauner und Taugenichts und zur Tatzeit betrunken in seinem Lieblingsbeisl, wie fast immer. Doch die Nachricht vom Tod des Vaters irritiert den jungen Mann, denn es kommt nicht alle Tage vor, dass ein unbewaffneter Koch von einem Schwertmeister getötet wird. Was ist da nur geschehen?

„Ich kann es nicht glauben“, schüttelte Iwata den Kopf. „Wieso?“
„Genau weiß ich es nicht, aber offenbar wollte dein Vater den Herrn von Chibajo auf die Probe stellen. Er soll sich im Korridor auf die Lauer gelegt und ihn aus dem Hinterhalt angegriffen haben."
"Machst du Witze? Das kann nicht sein!"
"Nimmt es mit einem Meister der Schwertkunst auf! Mit einem, der nicht einmal Piep macht, wenn er... du weißt schon ... Dein Vater ist Koch, auch wenn er meint, er sei ein Samurai, er verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Küchenmesser. Das ist, als zerträte ein Elefant eine Mücke."
"Ich kann es nicht glauben. So etwas Dummes kann er nicht getan haben.“

Und hier, wo man als Leser*in natürlich wissen möchte, wie es zu dem tödlichen Duell zwischen Vater und Samurai kam, erfährt man darüber absolut nichts mehr. Es ist nämlich nicht die Geschichte des Vaters, sondern einzig und allein die des Sohnes, die erzählt werden soll und die uns einiges Interessantes über Gesellschaftsstrukturen und zwischenmenschliche Beziehungen sagen wird.

Der Autor: Shūgorō Yamamoto

Geboren 1903 und gestorben 1967, war einer der wichtigsten Schrifsteller der Shōwa-Ära. Sein richtiger Name ist Satomu Shimizu, seine unzähligen Bücher veröffentlichte er unter mehr als 14 verschiedenen Künstlernamen, von denen Shūgorō Yamamoto nur einer ist.

Sein schriftstellerisches Debüt gab er 1926 mit dem Roman „Sumadera fukin“ (dt. „In der Nähe des Sumadera“). „Die Rache“ ist unter dem Originaltitel „Yo Jō“ erstmals im Jahr 1952 in der Zeitschrift Shūkan Asahi in Tokyo erschienen.

Die Aufgabe der Literatur“, sagte Yamamoto einmal in einem Vortrag, „ist nicht festzuhalten, was am Soundsovielten Soundsovielten des Jahres 1600 in der Burg von Osaka geschah, sondern das, was sich selbigen Tags in der Burgunterstadt im Kopf eines einsamen Ladenbengels abspielte.

Zu seinen Fans zählt auch der große Regisseur Akira Kurosawa, der immer wieder erwähnt, dass mehrere seiner Filme von Yamamotos Geschichten inspiriert seien.

Zeit seines Lebens hat Yamamoto verweigert Preise anzunehmen, obwohl ihm viele angeboten wurden. Es grenzt also an Ironie, das einer der renommiertesten Literatur-Preise Japans seinen Namen trägt.

Buch "Die Rache"

Radio FM4/ Christian Pausch

Brilliante Wendung

Als Iwata nach Hause torkelt, um den Leichnam des Vaters in Empfang zu nehmen, schämt sich die Familie so sehr für den immer noch betrunkenen Nichtsnutz, dass sie ihn für immer verstößt. Ohne Dach über dem Kopf und ohne Ziel vor Augen, baut sich Iwata eine kleine Hütte vor den Toren der Stadt, direkt neben der Straße, um sich fortan seinen Lebensunterhalt zu erbetteln.

Sein Plan funktioniert viel besser, als Iwata das gehofft hatte, denn plötzlich bringen ihm die Stadtbewohner*innen köstlichstes Essen, handgenähte Kimonos und jede Menge Gold in seinen erbärmlichen Verschlag. Sie verneigen sich tief und behandeln ihn mit den größten Ehren, ja sogar die sonst so groben Polizisten begegnen ihm plötzlich mit Hochachtung und Respekt und vor Verehrerinnen kann er sich auch nicht mehr erwehren.

Irgendwann dämmert es Iwata dann: Diese Leute erwarten sich etwas. Doch er kann sich einfach nicht entsinnen, was dieses „etwas“ sein sollte.

„Es wird schon gutgehen. Du wirst ihn mit Bravour erledigen“, sagte O-Kita. „Er ist ja auch bloß nur ein Mensch, kein Teufel oder böser Geist. Deine Rache wird bravourös sein, nicht wahr, Iwa-san?"
"Was?“ entgegnete Iwata perplex. „Rache? Wer?“

Buch "Die Rache"

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„Die Rache“ von Shūgorō Yamamoto (Autor), Hideki Nagai (Illustrator), übersetzt aus dem Japanischen von Katja Cassig, erschienen im Cass Verlag, 2018.

Ein Gleichnis

Es gibt Geschichten, deren Bedeutung man nicht verstehen kann, wenn man sich nicht über den Ort und die Zeit informiert hat, aus der sie stammen. Und obwohl das bei einer japanischen Geschichte aus dem Jahr 1645 sehr nahe liegt, trifft das auf „Die Rache“ keineswegs zu. Die hier erzählte Handlung ist wie ein Gleichnis für Gesellschafts-Strukturen, in denen es keinen Platz gibt für Individuen, die augenscheinlich nichts Produktives beitragen zu eben jener Struktur, oder - um ein zeitgenössisches Bild zu bemühen - morgens gerne liegen bleiben.

Ohne zu viel verraten zu wollen, wird in „Die Rache“ eindrucksvoll und mit sehr viel Witz gezeigt, wie falsch die Gesellschaft liegen kann und wie sehr ihre Erwartungshaltungen nicht auf alle zutreffen. Diese Erzählung aus der Edo-Zeit berührte ihre Rezipient*innen schon im Jahr 1952, als sie der Autor Shūgorō Yamamoto zum ersten Mal niedergeschrieben hat, wie auch jetzt, wo die hier vorliegende erste deutsche Ausgabe erschienen ist.

„Die Rache“ funktioniert aber nicht nur zeitlos, sondern auch über kulturelle Grenzen hinweg und zeichnet einen Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft Japans wie auch Österreichs. Dieses Buch ist ein entzückender Geniestreich auf nur 64 Seiten, gespickt mit wunderschönen Illustrationen von Hideki Nagai und von hoher gesellschaftlicher Relevanz.

Das war alles.
いじょうです.

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