FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Buch "Und Alle So Still" von Mareike Fallwickl

Rowohlt Verlag

buch

Keine Care-Arbeit mehr: Und alle so still

Eines Tages liegen Menschen einfach so auf der Straße. Besser gesagt: Frauen. Dabei handelt es sich weniger um einen koordinierten Protest als eher um ein synchrones Nicht-mehr-Können. Von diesem kollektiven Erschöpfungszustand erzählt der neue Roman der Salzburger Autorin Mareike Fallwickl, „Und alle so still“.

Von Jenny Blochberger

Iris liegt auf der Straße vor dem Krankenhaus. Sie ist nicht ohnmächtig, sie wurde auch nicht angegriffen, sie liegt nur da. Ungefähr 20 andere Frauen liegen auch da. Das ist der Anfang einer Bewegung ohne Anführerinnen, ohne Slogans, ohne Forderungen. Eines Tages legen sich immer mehr Frauen auf der ganzen Welt einfach hin und machen nicht mehr weiter mit ihren Jobs, mit der Carearbeit, mit ihren Beziehungen. Die junge Influencerin Elin steht zunächst ratlos vor diesem Phänomen, bevor ihr klar wird, dass das Ganze viel mehr mit ihr zu tun hat, als sie sich eingestehen will. Elin ist jung, schön und erfolgreich, aber zutiefst unsicher. Ist sie schön genug, sexy genug, dünn genug? Die Bestätigung dafür holt sie sich beim schnellen Sex mit fremden Männern.

Die zweite Hauptfigur, Ruth, ist eine fünfzigjährige Krankenpflegerin am Rande ihrer Kräfte; eine, die sich immer aufgeopfert hat und immer stark war - und als plötzlich die Hälfte der Menschheit als Arbeitskraft ausfällt, schultert sie die zusätzliche Arbeit auch noch, weil sie sich dafür verantwortlich fühlt, dass das System nicht zusammenbricht.

Buch "Und Alle So Still" von Mareike Fallwickl

Rowohlt Verlag

„Und alle so still“ (368 Seiten) von Mareike Fallwickl ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Ruth kann nicht mehr stillsitzen, muss sich bewegen, die Hände ausschütteln. Was soll das denn, so geht das nicht, das geht doch nicht.

„Was ist schlecht daran, sich zu kümmern?“, fragt sie. „Warum sollten wir es nicht tun? Daran ist doch nichts verkehrt! Wieso lehnt ihr das plötzlich ab? Ihr macht es ja hier auch. Seit ihr da seid, habt ihr gekocht und geputzt und aufgeräumt und abgewaschen und einander zugehört, oder nicht? Das ist Sorgearbeit. Wo ist der Unterschied?“

Sie holt Luft, folgt den Blicken, die durch den Raum gehen, von einer Frau zur anderen.

„Hier ist es anders“, sagt Elif, „wir tun es für uns. Füreinander. Es wird nicht auf uns geworfen, weil wir Frauen sind.“

Auch eine männliche Hauptfigur gibt es: Nuri, einem neunzehnjährigen Schulabbrecher mit Migrationshintergrund, der sich mit prekären Jobs gerade so über Wasser hält. Fallwickl verknüpft durch seine Figur die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit mit der Unsicherheit der Gig Economy. Denn Nuri ist um nichts besser dran als viele der Frauen. Er mag weniger Angst haben, nachts durch den Park zu gehen, aber angesichts dessen, dass er nicht weiß, wo er nächste Nacht schlafen soll, fühlt er sich trotzdem wenig privilegiert.

Die drei werden in diese seltsame neue Bewegung verwickelt. Und dadurch stellen alle drei auch ihr bisheriges Leben in Frage. Ist Schönsein vielleicht gar nicht so wichtig, oder sich Aufopfern, und wie kann man solidarisch sein?

Wie der stille Protest gehandhabt wird, hat ein wenig etwas von Fantastischem Realismus - es wird nicht erklärt, welche Mechanismen hinter der globalen Synchronizität der Bewegung stehen, und es ist auch nicht relevant für die Story. Fantastisch (aber wenig realistisch) ist auch, dass sich der ganze Plot innerhalb weniger Tage abspielen soll, was schon deswegen unwahrscheinlich ist, weil so schnell keine neuen Gesetze beschlossen werden wie behauptet.

Wie schon Fallwickls Vorgängerroman „Die Wut, die bleibt“ liest sich „Und alle so still“ gut und flüssig. Aber: vieles klingt wie ein Vortrag, die Figuren sprechen, als würden sie gerade aus einem Seminar über Geschlechtergerechtigkeit kommen. Das verstärkt sich im Laufe des Buchs immer mehr; die Charaktere durchlaufen eine Wandlung wie aus dem Lehrbuch und erklären am Weg dorthin den anderen die Welt. Alle haben das gleiche Vokabular, alle reden ganz selbstverständlich von Carearbeit und Patriarchat und wie der Kapitalismus die Menschen zerstört. Die Guten sind sich einig, auch wenn einige etwas länger brauchen; und die, die blind für ihre Privilegien sind, sind als Figuren schwach gezeichnet und kommen nur am Rand vor, um den Plot voranzutreiben. Das ist schade, weil der Roman viele wichtige und interessante Fragen stellt und weil die Idee eines globalen passiven Widerstands spannend ist.

Porträtfoto Mareike Fallwickl

Gyöngyi Tasi

Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, lebt mit ihrer Familie im Salzburger Land. 2018 erschien "Dunkelgrün fast schwarz". 2019 folgte "Das Licht ist hier viel heller". Ihr Bestseller "Die Wut, die bleibt" war ein großer Erfolg bei Presse und Publikum. Die Bühnenfassung hatte im Sommer 2023 Premiere bei den Salzburger Festspielen. Mareike Fallwickl setzt sich für Literaturvermittlung ein, mit Fokus auf weiblichen Erzählstimmen.

radio FM4 Mit deinen drei Hauptfiguren hast du den Finger draufgelegt auf wunde Punkte, die es gerade momentan gibt in unserer Gesellschaft, vor allem die Pflegekrise. Ist für dich die Conclusio, dass erst einmal alles stillstehen muss, damit etwas weitergeht?

Mareike Fallwickl Nicht unbedingt, sondern ich habe ausgehend von (dem Vorgängerroman, Anm.) „Die Wut, die bleibt“ so unglaublich viele Gespräche geführt über Sorgearbeit, also das, was Frauen tun, was Mütter tun, was im Gesundheitswesen passiert. Und dann gibt es immer so einen Satz, der fällt in all diesen Gesprächen: „Ja gut, aber ohne diese Sorgearbeit bricht das System zusammen.“ So als Endpunkt. Und ich hab mir gedacht: ich will aber, dass dieser Satz der Anfang ist. Ich will wissen: was soll das bedeuten, ein System bricht zusammen? Was genau passiert dann? Was sind die Konsequenzen? Wo fängt es an zu bröckeln? Wer merkt es als erster? Wie schnell geht das? Und das war der Ausgangspunkt, es sozusagen literarisch auszuprobieren.

Die Frauen im Roman vernetzen sich nicht durch Demos, Aufrufe, Flugblätter, sondern - und das geht dann fast Richtung phantastischer Realismus - es passiert einfach irgendwann. Der Druck wird zu groß und die Frauen wissen es wie intuitiv, dass man das jetzt machen muss. Was steckt da dahinter, dass das auf diese Art passiert?

Ich wollte es als als kollektives Burnout erzählen. Wie beim Overshoot Day, an dem die Ressourcen des Planeten für das restliche Jahr zu Ende sind. Aber wir machen genauso weiter, als wär nix. Und ich wollte das so erzählen, dass man sich sehr lange der Ressource Arbeitskraft bedienen kann - aber plötzlich ist sie aus, und deswegen stehen die auch alle nicht mehr auf. Kein organisierter Prozess, wo es wieder eine anführende Person geben müsste oder konkrete politische Forderungen, sondern eine vollkommene Erschöpfung.

Du hast da den Weg des gewaltfreien Widerstandes gewählt. Es gibt ja da auch andere Beispiele, in Naomi Altmans „The Power“ werden Mädchen plötzlich physisch überlegen, sodass sich die Machtverhältnisse umkehren. Bei dir geht es um komplette Gewaltfreiheit. Ist das für dich der Weg, der es sein sollte?

Also tatsächlich sind gewaltfreie Proteste doppelt so erfolgreich wie gewalttätige. Ich mache ja zum Beispiel auch viele Workshops in Schulen. Und dann frage ich die Jugendlichen immer: Was glaubt ihr, wie viel Prozent der Bevölkerung müssen sich aktiv beteiligen, damit sich was ändert? Dann sagen alle immer, mindestens die Hälfte - und tatsächlich sind es ja nur 3,5 %. Und ich finde das erstens wichtig zu thematisieren, weil es dieses gesamtgesellschaftliche Framing von unserer großen Hilflosigkeit und Machtlosigkeit gibt, was wir auch gerne so Politikverdrossenheit nennen. Wenn man aber sieht, so viele von uns braucht es gar nicht, um tatsächlich etwas zu tun, dann resultiert daraus die Erkenntnis, dass wir viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben, als wir denken und als wir denken sollen. Aber wir haben daraus resultierend auch viel mehr Verantwortung, tatsächlich zu agieren.

Und damit hängt zusammen, dass es ja auch notwendig ist, sich zusammenzuschließen, um was zu verändern. Du hast in „Und alle so still“ Menschen mit ganz unterschiedlichen Backgrounds. Allerdings sehr wenige Frauen aus sehr konservativen oder gehobenen Verhältnissen.

Also wenn du genau schaust, am Anfang ist Elin eine unfassbar privilegierte weiße Frau mit Zugang zu allen Ressourcen. Sie ist normschön, hat Beruf und Bildung, sie hat das ganze Vokabular. Und sie hat auch diese Einstellung: Ich bin schön genug, klug genug und gut genug. Ich kann im Patriarchat erfolgreich sein. Und da kommt dann schon die sehr bittere Erkenntnis: Es gibt kein Genug, du kannst nie genügen als Frau im Patriarchat. Und sie lernt im Laufe des Buches diese Solidarität zu erleben und da mitzumachen und dann ihre Privilegien einzusetzen für die anderen Frauen, die diese Privilegien nicht haben - weil ein ganz entscheidender Faktor bei Solidarität ist immer, sie kann nur von privilegierten Menschen zu weniger privilegierten Menschen reichen, nicht umgekehrt. Und da ist Elin eine Schlüsselfigur, was das angeht.

Wenn du deine Workshops in Schulen machst, nimmst du dir da viel Inspiration von den jungen Menschen, mit denen du dort redest?

Ja, bei „Die Wut, die bleibt“ ist die 15-jährige Protagonistin Lola komplett aufgrund dieser Begegnungen mit jungen Frauen entstanden. Die haben mich so inspiriert, dass ich mir damals gedacht hab, ich will so eine junge Frau sein, die alles besser weiß. Und das Schlimme ist, sie weiß es wirklich besser. Mir schreiben Eltern, ihre Töchter seien genau so. Die müssen jedes Wochenende zur FLINTA-Demo und wenn sie irgendwas nicht wissen, dann heißt es educate yourself, Mama. Und da hat es angefangen. Tatsächlich haben viele Schulklassen die „Wut“ gelesen und dann gemeinsam darüber geredet. Und ich finde das, was so unter den jungen Menschen der nächsten Generation passiert, unglaublich spannend. Auch was meinen anderen Protagonisten Nuri angeht. Er ist marginalisiert, das heißt, er ist näher an der Erkenntnis dran, dass nicht alle Männer vom Patriarchat profitieren. Aber wo wendet er sich jetzt hin? Ja, diese toxische Männlichkeit und diese Rollenbilder, die wollen wir nicht mehr. Aber junge Männer haben auch noch keine anderen Vorbilder. Wo sollen die sich hin entwickeln? Das fand ich unglaublich spannend, mit so einem jungen Mann auf so eine Reise zu gehen.

Die Figur von Nuri eröffnet ein weiteres Themengebiet: prekäres Arbeiten, Schulabbrecher, migrantische Biografie. Und die dritte Figur, Ruth, steht quasi für die Pflegekrise.

Ich habe sehr viel recherchiert über prekäre Arbeit und diese digitale Unterschicht. Man hat ein Einkommen, das bedeutet ein Dach über dem Kopf. Aber du hast keinen Feierabend. Du hast überhaupt keine Art von Absicherung. Es ist alles eng verzahnt miteinander - die Ausbeutung der Natur, die Ausbeutung der Frauen, Kapitalismus... Der Plan war eigentlich nicht, über die Pflege zu schreiben, sondern ich wollte so eine Frau haben, die wir alle als typisch weiblich bezeichnen würden, die so Mitte 50 ist, und die opfert sich auf, die kümmert sich ihr ganzes Leben schon um andere, die geht wirklich über sämtliche Grenzen. Und was muss ich machen als Autorin mit dieser Figur, damit die dann nicht mehr aufsteht? Und dann habe ich relativ random erst mal ins Internet reingeschrieben: Hallo, ich suche Frauen, die im Altersheim oder Krankenhaus arbeiten. Und dann haben sich da auch wirklich viele Frauen gefunden, die sich dankenswerterweise trotz ihrer kompletten Überlastung die Zeit genommen haben und mirechte Geschichten erzählt haben aus dem Gesundheitswesen, sodass ich mir dann gedacht hab: Um Gottes willen, das muss in diesen Roman. Wir brauchen dringend mehr Aufmerksamkeit, mehr Raum für das, was da passiert. Und tatsächlich ist das, was in den Krankenhaus-Kapiteln geschieht, nicht ausgedacht. Das ist alles echt.

Und wenn wir schon beim Schreiben sind: Du bist ja heuer in der Jury vom FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut. Wie begegnest du dieser Aufgabe?

Ich bin total gespannt, vor allem auf die große Fülle an verschiedenen Geschichten. Und bin auch sehr gespannt auf die Jury-Diskussion, wer was aus welchen Gründen gut findet. Und ja, ich freu mich, dass ich dabei sein darf.

mehr Buch:

Aktuell: