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Der geschlossene Honigtopf

Zentrum für Politische Schönheit

Denunzieren für den guten Zweck?

Das Kunstkollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ hat mit „SOKO Chemnitz“ eine Webseite gelauncht, auf der rechtsextreme DemonstrantInnen denunziert werden sollen, die vor drei Monaten bei den Demos in Chemnitz dabei waren. Dafür hagelt es Kritik.

Von Lukas Lottersberger

Vor gut drei Monaten war Chemnitz im deutschen Bundesland Sachsen einige Tage lang Schauplatz teils gewalttätiger Demonstrationen. Nach dem Tod eines Deutsch-Kubaners, der in einem Streit mit Asylwerbern durch Messerstiche ums Leben gekommen war, ging ein wütender Mob als Reaktion auf die Straße.

Mindestens 6.000 Menschen sollen es gewesen sein, viele von ihnen offenbar rechtsextrem. Die Polizei rechnete nicht mit so vielen Teilnehmern und war mit der Situation teilweise überfordert. Einige Demonstranten griffen wahllos Flüchtlinge an, auch Journalisten und die Polizei wurden zur Zielscheibe. Die Demonstrationen wurden zum Politikum.

Drei Monate nach diesen Protesten gibt es die SOKO Chemnitz - keine Polizei-Sonderkommission, sondern ein Projekt des Zentrums für Politische Schönheit - kurz ZPS. Das Kollektiv habe zahlreiche Bilder von den Chemnitzer Demo-Tagen analysiert und eine Datenbank mit 7.000 Verdächtigen erstellt, die online identifiziert werden sollen.

„Wir wollen, dass diese Leute, die öffentlich Straftaten begehen und ihre rechtsradikale Gesinnung nach außen tragen durch uns öffentlich an den Pranger gestellt werden“, sagt Cesy Leonard vom Zentrum für politische Schönheit. Die Gesellschaft solle sich damit auseinandersetzen, in welche Richtung manches gerade abdrifte, so Leonard und, „dass das in Chemnitz nicht nur brave, besorgte Bürger waren, sondern auch Neonazis.“ Für jede Identifizierung soll es auch eine Belohnung geben: Eine Art digitale Kopfgeldjagd also - ein äußerst umstrittenes Unterfangen.

Der Zustand der Seite im "Denunziations-Modus"

Zentrum für Politische Schönheit

Kopfgeld für die Identifizierung

Der sächsische Innenminister Roland Wöller warf dem ZPS etwa vor, mit der Aktion den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Auch der deutsche Kulturrat sprach von einer „problematischen Kunstaktion“. Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) lehnte eine Zusammenarbeit mit der KünstlerInnengruppe ab, die Bilder des JFDA verwenden wollte. Auch zahlreiche Medien berichteten über das Projekt und äußerten sich in Kommentaren kritisch über die Methode.

Doch diese Provokation des Zentrums für Politische Schönheit und ihr Spiel mit autoritärer, auch rechter Rhetorik ist freilich gewollt und geht für Künstlerin Cesy Leonard nicht zu weit: „Um eine Demokratie zu erhalten, brauchen wir Mut zur Intoleranz“, sagt Leonard. Weder sollen Brücken gebaut, noch gesellschaftliche Gräben zugeschüttet werden, sagt sie: „Das ist ein absoluter Fehler - das verharmlost die auf der anderen Seite des Grabens, die sich einfach Hass und Abgrenzung vorgenommen haben.“ Aus der Sicht der Geschichte sei die Aktion nicht drastisch, „sondern genau richtig“, so Cesy Leonard.

Einige dieser Aussagen dürften Teil der gezielten Provokation gewesen sein, doch letzteres unterstreicht wohl das Selbstverständnis des ZPS: Die Kunstaktionen werden nicht nach aktuellem Nutzen, sondern aus der Perspektive zukünftiger Generationen beurteilt.

Die Honigfalle

Am Nachmittag des 5. Dezember 2018, zwei Tage nachdem die Seite online gegangen war, lässt das ZPS die Bombe platzen: Die ganze Aktion war ein Honeypot, der Aufruf zur Denunziation nur Oberfläche. Das eigentliche Ziel: „Das gesamte Netzwerk selbst auszuliefern und zwar ohne es zu merken“, schreibt das ZPS. Die genaue Methode wird auf der Webseite von SOKO Chemnitz beschrieben.

Was nun mit den Daten passiert, die mit der „Honigfalle“ gewonnen wurden, ist ungewiss. „Natürlich besteht von unserer Seite weiterhin das Angebot für die Strafverfolgungsbehörden - vor allem des Freistaats Sachsen - darauf Zugriff zu nehmen“, sagt Thilda Rosenfeld, Vertreterin des ZPS. Doch die, sagt Rosenfeld, sei nicht besonders kooperationsbereit. „Die müssten eigentlich froh sein, dass jemand ihre Arbeit gemacht hat - und das auch noch sehr gründlich.“

Vielleicht wird ja auch schon das nächste provokante Projekt mit den Daten der sich selbst entlarvten Rechtsextremen geplant. Oder werden die Datenträger gar in Banksy-Manier zerstört werden? Wer weiß.

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